# taz.de -- Sizilien ist pleite: Das Griechenland Italiens | |
> Die Insel ganz im Süden ist pleite. Über Jahrzehnte wurde der öffentliche | |
> Sektor aufgebläht. Regionalgouverneur Lombardo wiegelt ab – und tritt | |
> zurück. | |
Bild: Sizilien, ganz arm dran, aber reich an Waldbränden. | |
ROM taz | Gleich 464 Beamte der sizilianischen Regionalverwaltung gingen im | |
Jahr 2011 vorzeitig in Rente, nach teils nur 25 Dienstjahren. Die | |
Anwartschaft hatten sie dennoch: Die großzügige Region erlaubt all denen, | |
die über einen behinderten Elternteil verfügen, das frühe Ausscheiden, bei | |
vollen Pensionsbezügen. Eine Region wie ein Schlaraffenland – ein | |
Schlaraffenland am Rand der Pleite allerdings, wenn man Kritikern glauben | |
darf. | |
So gibt sich der sizilianische Unternehmer und stellvertretende Vorsitzende | |
des italienischen Unternehmerverbandes Ivan Lo Bello sicher, dass Sizilien | |
das Risiko läuft, „zum Griechenland Italiens zu werden“: 5 Milliarden Euro | |
Schulden habe die Region, die Kassen seien leer, bald schon könnten | |
womöglich die Gehälter der Regionalbeamten nicht mehr gezahlt werden. | |
Der Regionalgouverneur Raffaele Lombardo dagegen streitet die Notlage | |
rundweg ab. Der laufende Haushalt sei ausgeglichen, reklamiert er stolz, | |
und die Ratingagenturen stuften seine Region immerhin noch höher ein als | |
das norditalienische Piemont, und überhaupt werde er Lo Bello wegen | |
Rufschädigung verklagen. | |
Dabei sind dessen Vorwürfe durchaus ernst zu nehmen, jenseits der Frage, ob | |
denn nun ein schneller Bankrott droht. | |
## Das Hecken-Modell | |
Das „sizilianische Modell“ beruhe „auf ungenierten Einstellungen in den | |
öffentlichen Dienst, oft über prekäre Beschäftigungsverhältnisse, über die | |
Beschäftigung als Forstarbeiter, über Ausbildungsmaßnahmen, in denen nie | |
jemand ausgebildet worden ist“. Das letzte Fiat-Werk auf der Insel hat im | |
vergangenen Jahr zugemacht – und in der Tat ist heute, ganz wie in | |
Griechenland, der öffentliche Dienst der Wirtschaftsmotor Nummer eins. | |
Ein Motor allerdings, der nichts antreibt, der zu allerletzt | |
selbsttragendes Wachstum in Bewegung setzt. Beschäftigung als Selbstzweck, | |
vermittelt von Politikern, die so Wählerstimmen kaufen: Dies ist das | |
vorherrschende Muster. So kümmern sich in Palermo gleich zwei städtische | |
Gesellschaften ums Heckenschneiden: Die eine ist für Hecken bis 2,50 Höhe | |
zuständig, die anderen für jene Pflanzen, die noch höher wachsen. | |
Und so können die Beamten auf der Insel allerlei geltend machen: Im August | |
letzten Jahres flog ein Beamter auf, der allein für den heißen Sommermonat | |
200 Überstunden abgerechnet hatte – für Schneeschippen in Palermo. | |
Überhaupt der Schnee: Gerade erst setzte die Regionalregierung eine | |
Kommission ein, die sich um die Ausbildung von Langlauf-Skilehrern kümmern | |
soll. | |
So hat es Sizilien zu einem Heer von knapp 18.000 Regionalbeamten gebracht, | |
während an die 10.000 weitere bei Tochtergesellschaften der Region oder in | |
Zeitverträgen beschäftigt sind. Die mit knapp 9 Millionen Einwohnern | |
doppelt so große Lombardei kommt mit etwa 4.000 Regionalbeamten aus. | |
## Weitreichende Autonomie | |
Möglich war dieses Wirtschaften über Jahre, weil Sizilien über ein | |
weitreichendes Autonomiestatut verfügt und praktisch alle anfallenden | |
Steuern zu 100 Prozent behalten darf. Zusätzlich flossen über Jahrzehnte | |
Milliarden an Subventionen, vom Zentralstaat genauso wie von der EU. Und | |
auch die wurden oft nach dem vulgär-keynesianischen Prinzip ausgegeben, | |
dass es reicht, erst ein Loch auszuheben und dann wieder zuzuschütten, um | |
Einkommen zu schaffen. | |
So gab es auf der Insel im Jahr 2001 82.000 Hotelbetten, ausgelastet zu 40 | |
Prozent. Dank üppiger Subventionen war die Zahl der Betten dann bis 2009 | |
auf 119.000 geklettert – und die Auslastung auf 26,5 Prozent abgestürzt. | |
Nein, Sizilien steht nicht vor der Pleite, versichert der Christdemokrat | |
Lombardo dennoch weiterhin. Zugleich aber sagte er seinen „definitiven | |
Rücktritt“ zum 31. Juli zu. Der Stichtag ist symbolisch gut gewählt: Zum | |
ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Regionalabgeordneten zum | |
Monatsende ihre Diät (stolze 13.000 Euro netto) nicht pünktlich auf dem | |
Konto finden – die Kasse der Parlamentsverwaltung ist leer. | |
29 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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