# taz.de -- EU-Flüchtlingspakt: Mehr Geld für die Türkei | |
> Für die Versorgung syrischer Geflüchteter und für den Grenzschutz: | |
> Bundesinnenminister Horst Seehofer stellt in Ankara mehr EU-Hilfen in | |
> Aussicht. | |
Bild: Berieten über den EU-Flüchtlingspakt: Süleyman Soylu (rechts) und Hors… | |
Berlin taz | Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat bei einem Besuch in der | |
Türkei auf die [1][Einhaltung des Flüchtlingspaktes] mit der EU gedrängt. | |
Der Migrationsdruck auf die Türkei sei „gewaltig“ und steige, sagte | |
Seehofer. „Und deshalb müssen wir schauen, wie dieser Pakt zwischen der | |
Europäischen Union und der Türkei gekräftigt werden kann.“ | |
Am Donnerstagabend traf Seehofer in Ankara dazu den türkischen | |
Innenminister Süleyman Soylu. „Ohne Eure Solidarität wäre das | |
Migrationsproblem in unserer Region so nicht bewältigt worden“, sagte | |
Seehofer diesem zu Beginn des Treffens – und dankte für diese „Leistung, | |
die auch in die Welthistorie eingehen wird.“ | |
In der Türkei halten sich nach einer UNHCR-Statistik allein rund 3,7 | |
Millionen SyrerInnen auf, denen die Türkei offiziell Schutz gewährt. Vor | |
kurzem veröffentlichte allerdings das deutsche Dezim-Institut Berechnungen, | |
nach denen die Zahl vermutlich etwas niedriger liegt –„realistisch“ sei, | |
von 2,7 bis knapp drei Millionen auszugehen. Doch auch damit läge die | |
Türkei noch weltweit auf Platz eins der Aufnahmeländer. | |
Schutz finden hier allerdings fast ausschließlich SyrerInnen. Viele | |
AfghanInnen, Pakistanis und Bengalen durchqueren das Land auf dem Weg nach | |
Europa, sie werden meist nicht aufgenommen. Der türkische Innenminister | |
Soylu sagte nun, möglicherweise kämen noch einmal drei Millionen | |
Flüchtlinge in die Türkei, die vor den Kämpfen um die letzte syrische | |
Rebellenhochburg Idlib flöhen. Allerdings hat die Türkei die Grenze nach | |
Syrien geschlossen, nachdem die Abmachung mit der EU in Kraft getreten war. | |
Seitdem ist es kaum noch möglich, aus Syrien zu flüchten. | |
Als Gegenleistung dafür, dass die Türkei die Grenze nach Griechenland dicht | |
hält, hatte die EU sich verpflichtet, 2016 und 2017 sowie 2018 und 2019 | |
jeweils drei Milliarden Euro, insgesamt also sechs Milliarden, für die | |
Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei bereit zu stellen. Tatsächlich | |
sind bislang jedoch nur insgesamt rund 2,4 Milliarden Euro ausgezahlt | |
worden. | |
Mit dem Geld wird unter anderem der Aufbau von Schulen und | |
Gesundheitsstationen bezahlt, um den durch die SyrerInnen gestiegenen | |
Bedarf zu decken. Zudem erhalten syrische Flüchtlinge eine monatliche Hilfe | |
zum Lebensunterhalt von umgerechnet etwa 25 Euro pro Person – kaum | |
ausreichend angesichts der Lebenshaltungskosten in der Türkei. | |
## Mehr Flüchtlinge nach Griechenland | |
Der türkische Präsident Erdogan hatte zuletzt mehrfach deutlich gemacht, | |
dass die versprochenen EU-Hilfen nicht zufriedenstellend flössen und dass | |
mehr Unterstützung nötig sei. Andernfalls könnte man den Flüchtlingen die | |
Türen Richtung Europa öffnen, hatte er gedroht. | |
Schon jetzt hat die türkische Regierung die Kontrollen an der Land- und | |
Seegrenze zu Griechenland offenbar ausgedünnt. Zuletzt sind immer mehr | |
Flüchtlinge und MigrantInnen aus der Türkei in Griechenland angekommen: In | |
diesem Jahr waren es bislang nach Zählung der UN-Flüchtlingsorganisation | |
UNHCR insgesamt 45.597, im ganzen Jahr zuvor 35.848. Vor allem seit August | |
sind die Zahlen angestiegen. | |
Die EU sieht das mit Sorge. [2][Die Ankünfte in Griechenland] hätten in den | |
vergangenen Wochen und Monaten zugenommen, sagte EU-Migrationskommissar | |
Dimitris Avramopoulos am Donnerstag. „Es ist dringend nötig, ungesetzliche | |
Abfahrten aus der Türkei noch stärker zu verhindern und aufzuspüren.“ | |
## Türkei für Sicherheitszone in Syrien | |
Nach dem Gespräch mit seinem türkischen Amtskollegen Soylu sagte Seehofer, | |
es sei auch um zusätzliche Mittel für die Türkei gegangen. Die Türkei | |
argumentiere, mit den Mitteln der Vergangenheit könne die Zukunft nicht | |
bewältigt werden, sagte Seehofer. Darüber müsse nun mit der neuen | |
Kommission unter Ursula von der Leyen, die am 1. November ihren Dienst | |
antritt, geredet werden. „Ich werde nach Brüssel fahren und der neuen | |
Kommissionspräsidentin meine Eindrücke hier schildern, damit das sehr | |
schnell angegangen wird“, sagte Seehofer. | |
Soylu werde außerdem eine Liste zusammenstellen mit Punkten, bei denen | |
Deutschland helfen könne. Die werde noch mit Präsident Recep Tayyip Erdogan | |
abgestimmt. Denkbar sei beispielsweise Unterstützung bei der | |
Grenzüberwachung, sagte Seehofer. | |
Doch der Türkei ging es nicht nur ums Geld. Sie will politische | |
Unterstützung für [3][ihre Pläne in Syrien]. Soylu hatte angekündigt, mit | |
den Gästen auch über die von der Türkei gewünschte sogenannte | |
Sicherheitszone in Nordsyrien sprechen zu wollen. Die ist kaum ohne | |
militärische de-facto Kontrolle der Türkei in oder nahe der kurdischen | |
Autonomiegebiete in Nordsyrien denkbar – und wird entsprechend von Ankara | |
als Weg forciert, ihre Präsenz dort auszubauen und zu legalisieren. | |
Am Dienstag hatte Erdogan seine Pläne dazu konkretisiert. Demnach sollen | |
zwei Millionen Menschen dort hinziehen, sagte er in einer Rede vor dem | |
Parlament in Ankara. Eine Million werde in neu zu bauenden Gemeinden | |
untergebracht werden. „Mit internationaler Hilfe“ sollen 140 Dörfer gebaut | |
werden. Die Standorte stünden schon fest. Für die Finanzierung werde ein | |
internationales Geber-Treffen organisiert, sobald das Gebiet von | |
„terroristischen Gruppen befreit“ worden sei. | |
## Türkei will Flüchtlinge nicht auf Dauer | |
„Wir haben nicht vor, Millionen Flüchtlinge für immer zu beherbergen“, | |
sagte Erdogan. Er drohte kaum verhohlen mit einem Einmarsch in das Gebiet. | |
Die Türkei wolle keinen Krieg. Aber „wir haben keine Wahl, als an diesem | |
Punkt unseren eigenen Weg zu gehen.“ | |
Soylu sagte vor dem Treffen mit Seehofer, der Türkei einfach mehr Geld für | |
die Flüchtlinge zu zahlen sei „eine Politik der Bestechung“ – und | |
behauptete, die Sicherheitszone liege auch im Interesse Europas: „Wenn der | |
Mittlere Osten nicht sicher ist, dann ist Paris nicht sicher, Berlin auch | |
nicht.“ | |
Der Sprecher der Regierungspartei AKP, Ömer Çelik, sagte die „einzige | |
Formel zur Reduzierung des Migrationsdrucks ist das, was Erdoğan angeboten | |
hat : Eine sichere Zone in Syrien. Die EU sollte sich also darauf | |
konzentrieren.“ | |
Seehofer sagte, dass Soylu bei dem Treffen am Donnerstag „sehr stark | |
insistiert“ habe, dass diese Zone notwendig sei. Hier kam die türkische | |
Seite der deutschen Seite zufolge aber offenbar nicht weiter. „Ich habe | |
deutlich gesagt, dass es ja viele Regierungen gibt, unsere eingeschlossen, | |
die da ihre Probleme haben“, sagte Seehofer. „Und das haben wir dann so mal | |
stehen gelassen.“ | |
(Mit Material von dpa. Mitarbeit: Ali Celikkan) | |
4 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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