# taz.de -- Beschluss des Landgerichts Kassel: Aufnahme von Polizei geht klar | |
> Weil eine Frau eine Polizeikontrolle filmte, wurde ihr Smartphone | |
> beschlagnahmt und ihr drohte eine Strafe. Das Landgericht Kassel sah das | |
> anders. | |
Bild: Filmt gern, wird aber unfreundlich, wenn sie selbst aufgenommen wird: die… | |
KARLSRUHE taz | Wie das Landgericht Kassel in einem der taz vorliegenden | |
Beschluss entschied, muss die Kasseler Polizei ein beschlagnahmtes | |
Smartphone zurückgeben. Außerdem beschloss das Gericht, dass es nicht | |
strafbar war, einen Polizeieinsatz Ende Juli zu filmen. | |
Konkret ging es um einen Vorfall am 20. Juli 2019. In Kassel demonstrierte | |
die Neonazi-Partei „Die Rechte“, parallel lief eine Gegendemonstration. Vor | |
dem Kasseler Bahnhof kontrollierte die Polizei Personen, die sie für | |
potenzielle Störer hielt. Eine 35-jährige Politologin filmte dabei mit | |
ihrem Smartphone eine Kontrolle, an der sie besonderes Interesse hatte. | |
Denn kontrolliert wurde ihr Freund. | |
Daraufhin beschlagnahmte die Polizei das Smartphone. Die Staatsanwaltschaft | |
warf ihr eine Straftat vor. Sie habe mit der Tonspur des Smartphones die | |
„Vertraulichkeit des Wortes“ verletzt. Nach Paragraf 201 des | |
Strafgesetzbuches drohe eine [1][Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu | |
fünf Jahren]. | |
Eigentlich geht es der Polizei darum, dass sie bei Einsätzen nicht gefilmt | |
werden will. Doch das „Recht am eigenen Bild“ ist nach dem | |
Kunsturhebergesetz erst verletzt, wenn ein Film „verbreitet“ wird. Bei der | |
„Vertraulichkeit des Wortes“ ist dagegen schon die unbefugte Aufnahme | |
strafbar. | |
Nils Spörkel, der Göttinger Anwalt der Politologin, hat nun beim | |
Landgericht Kassel in zweiter Instanz erreicht, dass die Beschlagnahme des | |
Smartphones aufgehoben wird. Der Beschluss ist rechtskräftig. Die | |
Staaatsanwaltschaft kann also keine Rechtsmittel mehr einlegen. Der Frau | |
droht nun wohl auch keine Strafverfolgung mehr. | |
## Gibt es eine „faktische Öffentlichkeit“? | |
Das Landgericht nahm zwar an, dass grundsätzlich auch bei Polizeikontrollen | |
im öffentlichen Raum die Vertraulichkeit der nichtöffentlichen Worte | |
geschützt ist. Der strafrechtliche Schutz entfalle jedoch immer dann, wenn | |
es eine „faktische Öffentlichkeit“ gebe, zum Beispiel wenn jemand im | |
Zugabteil sehr laut telefoniert und alle mithören können beziehungsweise | |
müssen. | |
Auch bei der Kasseler Polizeikontrolle gab es wohl eine faktische | |
Öffentlichkeit, so das Landgericht. Der kontrollierte Freund war wütend | |
über die Maßnahme und diskutierte lautstark mit den Polizisten. Dies war | |
auch noch für viele Umstehende zu hören. | |
Selbst wenn man keine faktische Öffentlichkeit annehme, sieht das | |
Landgericht keine Straftat, denn der kontrollierte Mann habe der Aufnahme | |
des Geschehens durch seine Freundin mutmaßlich zugestimmt. Damit habe diese | |
jedenfalls nicht unbefugt gehandelt. | |
Interessanterweise stellt das Gericht hier nur auf die Einwilligung des | |
Kontrollierten ab und nicht auf die der Polizisten. Begründet wird dies mit | |
dem Charakter der Polizeikontrolle. Hier gebe nur der Kontrollierte | |
Informationen über sich preis, insbesondere seine Personalien, während die | |
Polizisten lediglich „hinführende Fragen“ stellen. | |
## Ein Smartphone ist von „extrem hoher Bedeutung“ | |
Doch selbst wenn es einen Anfangsverdacht gäbe, so argumentiert das Gericht | |
weiter, müsste das Smartphone „unverzüglich“ herausgegeben werden. Ein | |
Smartphone sei als „zentraler Sammelpunkt“ privater Daten von „extem hoher | |
Bedeutung im täglichen Leben“. Eine zweimonatige Beschlagnahme sei | |
jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn die Kasseler Polizei in dieser Zeit | |
„keinerlei Ermittlungen“ unternimmt und nicht einmal das Smartphone | |
auswertet. (Az.: 2 Qs 111/19) | |
„Ich bin so froh, dass ich mein Smartphone wiederbekomme“, sagte die | |
Politologin, „und natürlich freut mich auch die Entscheidung des | |
Landgerichts, dass man sich nicht automatisch strafbar macht, wenn man der | |
Polizei auf die Finger schaut.“ Das Landgericht München I hatte im Februar | |
in einem ähnlichen Fall eine Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes | |
angenommen. | |
2 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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