# taz.de -- Grundrente und Gerechtigkeit: Bedarfsprüfung muss sein | |
> Die Aufstockungsrente wird mehr Gerechtigkeit schaffen – und auch neue | |
> Ungerechtigkeiten. Aber sie ist ein Experiment, das man unbedingt wagen | |
> muss. | |
Bild: Wie viel Rente sie wohl demnächt kriegen werden? | |
Die Arbeitsgruppe aus Union- und SPD-PolitikerInnen zur „Grundrente“ hat am | |
Freitag getagt und man hat sich nicht einigen können. Leider reicht es | |
nicht, das Geschachere der Politik zu geißeln, das eine wichtige | |
milliardenschwere Sozialleistung blockieren könnte, die eigentlich schon | |
2021 kommen soll. Die Grundrente wirft tatsächlich heikle | |
Gerechtigkeitsfragen auf, die sich nicht mit ein paar Klischees beantworten | |
lassen. | |
Die Grundrente nach dem [1][Konzept von SPD-Arbeitsminister] Hubertus Heil | |
ist die Aufstockung von Kleinrenten, die Leute bekommen, die mindestens 35 | |
Jahre lang zu geringem Lohn gearbeitet haben und die am Ende im Alter mit | |
Renten in Höhe von Hartz IV dastehen. | |
Eine Aufstockung ist absolut notwendig, zumal es sich dabei oft um Menschen | |
handelt, die sich in der schlecht bezahlten privaten Dienstleistung | |
abrackerten. Das sind HilfspflegerInnen, VerkäuferInnen, FriseurInnen, | |
PaketzustellerInnen. Klar verdienen sie eine Aufstockung, um nicht in | |
Altersarmut zu fallen. Aber ebenso klar sollte sein, dass es ohne | |
„Bedürftigkeitsprüfung“ nun mal nicht geht. Denn es hätte keinen Sinn, | |
durch eine Sozialleistung ein vielfältiges Verhetzungspotential zu | |
schaffen, das am Ende nur wieder deren Gegnern in die Hände spielt. | |
## Arbeitszeit wird nicht erfasst | |
Das Gerechtigkeitsproblem fängt schon damit an, dass „KleinrentnerInnen“ | |
Menschen sein können, die aufgrund einer schlecht bezahlten | |
Vollzeittätigkeit eine kleine Rente bekommen. Es können aber auch Menschen | |
sein, die aufgrund bequemer jahrzehntelanger Teilzeitarbeit am Ende nur | |
eine kleine Rente erhalten. Die Rentenversicherung erfasst immer nur den | |
Monatslohn, aber nicht die Arbeitszeit, die dafür geleistet wurde. | |
Diese Ungerechtigkeit lässt sich durch die Systematik der | |
Rentenversicherung fürs erste nicht beheben. Hier könnte man zudem | |
argumentieren, dass es sich bei den Teilzeitkräften oft um Mütter handelt, | |
die viel unbezahlte Familienarbeit leisten. Aber es könnte auch ein | |
Angestellter in Teilzeit sein, der zusätzlich noch gute Einkünfte als | |
Freiberufler hat. Auch er hätte später Anspruch auf Aufstockung im Alter. | |
Man sieht schon hier: Die Anspruchsfrage ist heikel. | |
Wenn jemand nun mit kleiner Rente einen Partner oder eine Partnerin hat, | |
die sehr gut verdient, so dass das Haushaltseinkommen hoch ist, oder wenn | |
diese Person zur Generation Erbe gehört, die eine kleine Rente mühelos aus | |
dem Vermögen aufstocken kann, dann sind die Einkommensverhältnisse im Alter | |
gut. Und dann wäre die Gewährung einer Aufstockungsrente aus dem Geld der | |
Versichertengemeinschaft oder aus Steuergeldern nicht fair. | |
## Bedarfsprüfung mit hohen Freigrenzen | |
Das heißt aber nicht, dass man eine „Bedarfsprüfung“ a là Hartz IV bei | |
allen KleinrentnerInnen machen muss. Man könnte und müsste die Freigrenze | |
für das Haushaltseinkommen und für das Vermögen ganz anders und deutlich | |
höher ansetzen als bei den Empfängern von Hartz IV oder in der Sozialhilfe. | |
Das Argument, man wolle den KleinrentnerInnen nicht zumuten, sich „nackig“ | |
machen zu müssen vor den Behörden, um Grundrente zu beantragen, wird von | |
der SPD gegen eine Bedarfsprüfung ins Feld geführt. Aber das Argument, hier | |
würden Menschen gedemütigt, ist ein Fetisch und es ist nicht stark genug, | |
um die Ungerechtigkeiten, die ohne jede Prüfung entstünden, aufzuwiegen. | |
Vielerorts müssen sich BürgerInnen „nackig“ machen und Informationen von | |
sich preisgeben. Das passiert schon beim Abschluss einer privaten | |
Pflegezusatzversicherung, zum Beispiel, oder in der Steuererklärung, in der | |
Abklärung einer Unterhaltspflicht. Von Hartz-IV-EmpfängerInnen ganz zu | |
schweigen. | |
## Experiment mit ungewissem Ausgang | |
Es wird allerdings immer Ungerechtigkeiten und Abbruchkanten in der | |
Aufstockungsrente geben, auch mit „Bedarfsprüfung light“. Menschen haben | |
viele Jahre hart gearbeitet, zum niedrigen Lohn, haben aber auch Krankheit | |
und Arbeitslosigkeit erlebt und kriegen daher die 35 Jahre | |
Versicherungszeit vielleicht nicht voll. Ostdeutsche Spitzenpolitiker haben | |
auf diese Problematik hingewiesen. | |
Die Aufstockungsrente ist insofern ein Experiment, sie wird mehr | |
Gerechtigkeit, aber auch mancherorts neue Ungerechtigkeiten schaffen, die | |
sich nicht verbergen lassen. Aber man muss das Experiment trotzdem wagen. | |
Unbedingt. Die Grundrente soll laut Heil 2021 kommen. Die Zeit drängt. | |
27 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spd.de/aktuelles/grundrente/ | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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