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# taz.de -- Rugby-WM in Japan: Skeptiker anwerben
> Die WM in Japan ist eine PR-Aktion des Rugby-Weltverbandes. Kann sich der
> Sport auf dem asiatischen Markt behaupten?
Bild: Eröffnungsfeier in Tokio: Zwei Kabuki-Darsteller, Vertreter des traditio…
Tokio taz | Seine Kultur ist weltweit bekannt für Verfeinerungen auf allen
Gebieten. Weltweit gibt es wohl kaum ein Volk, das sich mit solcher
Leidenschaft der Perfektion und Fehlervermeidung widmet wie die Japaner.
Fast ein wenig ungläubig staunten am Freitagnachmittag deshalb Hunderte
Rugby-Fans, als sie in Tokios meist frequentierten Bahnhof Shinjuku von
lediglich einem Bahnmitarbeiter mittels eines selbst gemalten Schildes zum
einzig möglichen Bahnsteig 3 der Keio-Linie Richtung Ajinomoto-Stadion im
Tokioter Vorort Chofu geleitet wurden.
Gestaunt hatte am Tag zuvor auch Lance Michael Santos im Pressezentrum.
„Die Tische sehen hier so aus, als wären sie gerade hastig aufgestellt
worden. Zwar wieseln Hunderte Mitarbeiter herum, aber ein richtiges
Organisationssystem ist hier fast nirgends erkennbar“, so der
südafrikanische Journalist. Am Ende funktioniert dann irgendwie alles und
doch wirkt es ein wenig so, als würden sich die Japaner bezüglich dieses
Sport-Events in ungewohnter Lässigkeit üben. Und das ausgerechnet [1][bei
diesem Rugby World Cup], den der Weltverband World Rugby als wichtigsten
der jüngeren Geschichte bezeichnete, einen, der möglichst eine neue Epoche
markieren soll.
Denn mit dem Turnier soll endlich ein Brückenkopf hinein in den asiatischen
Markt gebaut werden. Selbst Brett Gosper, der Chef des globalen
Dachverbandes, gab kurz vor dem Eröffnungsspiel zu, dass man mit Japan als
Gastgeberland eine strategische Option gezogen hat, die auf dem Wunsch
beruht, den Sport in der gesamten Region zu entwickeln. 2002 hatte die
Fußball-WM in Japan und Südkorea einen Boom ausgelöst, der den Kontinent in
einen milliardenschweren Fußballmarkt verwandelte.
Gleiches soll nun auch beim Rugby funktionieren. Immerhin bezeichnet World
Rugby seine WM hinter der [2][Fußball-WM] und den Olympischen Spielen als
drittgrößtes Sport-Event der Welt. Und untermauert diese forsche Behauptung
auch in diesem Jahr mit beeindruckenden Zahlen.
## Mehr Gewinne als bei WM in England
Mehr als 400.000 Ausländer werden sich in den kommenden sechs Wochen in
Japan aufhalten. Die 1,8 Millionen Tickets für 48 Spiele sind bis auf
wenige übrige verkauft. Für die Begegnungen mit japanischer Beteiligung
wird mit bis zu 40 Millionen Fernsehzuschauern gerechnet. Das entspricht
fast einem Drittel der gesamten Bevölkerung. Der Rugby World Cup wird der
japanischen Wirtschaft zusätzliche 1,8 Milliarden Euro Umsatz bringen und
wie Brett Gosper mitteilte, würde auch seine Organisation eine weitere
Gewinnsteigerung verzeichnen.
„Als Japan zum Gastgeberland ernannt wurde, prognostizierten wir einen
Rückgang der kommerziellen Einnahmen um 20 bis 25 Prozent“, sagte Gosper.
„Tatsächlich wissen wir jetzt, dass die gesamten kommerziellen Einnahmen in
Japan höher sein werden als in England.“ Er erwarte einen Gewinn von rund
360 Millionen Pfund aus der Weltmeisterschaft 2019 im Vergleich zu 330
Millionen Pfund vor vier Jahren.
Doch ein brummendes Geschäft allein reicht nicht, um das Rugby-Evangelium
endlich über seine Hochburgen in Europa, Südafrika sowie Australien und
Ozeanien hinweg zu verbreiten. Was jetzt fehlt, sind spannende Spiele,
echte Emotionen und epische Momente. Eine besondere Rolle soll dabei die
Mannschaft des Gastgebers spielen. Cheftrainer Jamie Joseph gab für seine
„Brave Blossoms“ schon mal das Erreichen des Viertelfinales als Ziel aus.
Von den Nationalmannschaften, die hinter den acht führenden Rugby-Nationen
England, Irland, Schottland, Wales, Frankreich und Italien (Six Nations)
sowie Südafrika, Neuseeland, Australien und Argentinien (Rugby
Championship) die zweite Garde bilden, haben lediglich Kanada (1991), Samoa
(1991 und 1995), sowie Fidschi (1987 und 2007) die Runde der letzten 8
erreicht. Für das Ziel, Rugby in Japan und vielleicht auch in Ländern wie
China, Indonesien oder Indien als Massensport zu etablieren, wäre ein
Erfolg der Japaner essenziell.
## Kurze Wellen der Begeisterung
Was das bedeuten kann, das zeigte der Auftritt der „Kirschblüten“ in ihren
rot-weiß quergestreiften Shirts bei der WM in England vor vier Jahren.
Nachdem man dort mit einem 34:32-Sieg über die für Japan eigentlich
unschlagbaren Südafrikaner für ein wahre Sport-Sensation gesorgt hatte,
waren die Zuschauerzahlen von ursprünglich 700.000 auf gigantische 25
Millionen hochgeschnellt.
Was folgte, war ein kurze Episode der Rugby-Begeisterung im Land der
aufgehenden Sonne, die aber schnell wieder abebbte. Die Teams der
nationalen Liga treten nicht für Städte oder Regionen an. Meist kaufen die
Eigentümer, Wirtschaftsunternehmen wie Toyota, Toshiba oder Panasonic, über
die Hälfte aller Stadion-Tickets selbst auf und schicken dann ihre
Angestellt zu den Spielen.
Wirkliche Begeisterung kommt da selten auf. Im Schnitt sehen nicht mehr als
5.000 Zuschauer die Spiele. Und das, obwohl mittlerweile einige der größten
Rugby-Stars in Japan aktiv sind. Dan Carter zum Beispiel gilt als einer der
besten All Blacks aller Zeiten, hält verschiedene WM-Rekorde und verdient
geschätzte 1,2 Millionen US-Dollar pro Jahr, bei Kobelco Steelers, dem Team
des Industrie-Giganten Kobe Steel.
## Dreckige Touris
Für die Entwicklung der japanischen Nationalmannschaft ist die Anwesenheit
der ausländischen Profis in der Liga nicht gerade förderlich und auch
ansonsten lässt sich nun nicht unbedingt jeder Japaner vom Rugby-Hype
anstecken.
Während Zentralregierung und die meisten Unternehmen die Gäste aus Übersee
mit offenen Armen empfangen, äußerten laut einer Umfrage von Kyodo-News
eine Mehrheit der japanischen Gemeinden ihre Skepsis. Touristen seien mit
den Gepflogenheiten der japanischen Kultur nicht vertraut, verhielten sich
auf Toiletten nicht angemessen, hinterließen zu viel Müll an öffentlichen
Plätzen und fielen auch ansonsten durch grobe Verstöße gegen die japanische
Etikette auf.
Man darf gespannt sein, wie es von den traditionsbewussten Japanern
aufgenommen wird, wenn Engländer, Australier und Schotten ihre ersten
Trinkgelage abgehalten haben. Wie stark solche im Kontrast zu den
tradierten Gepflogenheiten in Fernost stehen, illustriert eine Verordnung
der Stadtverwaltung von Kamakura. Darin werden ausländische Besucher
aufgefordert, in der Öffentlichkeit während des Laufens kein Essen zu
verzehren.
Schon zur Fußball-WM 2002 waren Hunderttausende Gäste aus dem Ausland in
Japan unterwegs. Doch die Vorzeichen haben sich seitdem etwas geändert. Die
Regierung unter Premier Shinzo Abe hatte seit 2012 den Inland-Tourismus zu
einer zentralen Priorität gemacht. Seitdem ist die jährliche Zahl der
Touristen von 8,4 Millionen auf enorme 31 Millionen im vergangenen Jahr
explodiert. Kein Wunder, dass sich in manchen Teilen des Landes eine
gewisse Abneigung gegenüber den Gaijin breit macht.
Zwischen 1603 und 1867 hatte sich Japan schon einmal komplett abgekapselt
und das Land für Fremde verschlossen. Bis heute ist die Skepsis gegenüber
Fremdeinflüssen geblieben. Es wird interessant sein zu sehen, ob die beiden
sportlichen Großereignisse Rugby-Weltmeisterschaft in diesem und
Olympische Spiele im nächsten Jahr daran etwas ändern werden.
20 Sep 2019
## LINKS
[1] https://www.rugbyworldcup.com/matches
[2] /Frauen-WM-2019/!t5476467
## AUTOREN
Christian Henkel
## TAGS
Rugby
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Henning Harnisch
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