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# taz.de -- Olympische Spiele in Tokio 2020: Das Märchen von den Gratisspielen
> Die Olympischen Spiele von Tokio sollen die Steuerzahler nichts kosten.
> Doch trotz Rekorderlösen durch dubiose Sponsoren geht die Rechnung nicht
> auf.
Bild: Im neueröffneten Japan Olympic Museum in Tokio, September 2019
In Japans Hauptstadt stellt man dieses Jahr Rekorde auf. Wenn im Sommer die
Olympischen Spiele 2020 nach Tokio kommen, werden Höchstleistungen aber
nicht erst in den Sportarenen zu finden sein. Schon jetzt, bevor alle
Spielstätten und das Olympische Dorf überhaupt fertig sind, wollen die
Organisatoren neue Standards setzen. „Wir denken weiterhin, dass für die
Spiele kein Steuergeld verwendet wird“, hat der Sprecher des
Organisationskomitees Masa Takaya schon mehrmals erklärt. „Die werden über
Sponsoren finanziert.“
Es ist eine Ansage, die eine Sensation erwarten lassen müsste. Schließlich
wurden die Olympischen Spiele über die vergangenen Jahrzehnte immer
kostspieliger und für die Städte, in denen sie stattfanden, im Nachhinein
meist zu einem teuren Spaß. Die Organisatoren von Tokio aber haben seit dem
Zuschlag für das Austragungsrecht [1][im Herbst 2013] immer wieder
versprochen, dass man es anders machen werde. Tokio 2020, das werden
nachhaltige Spiele, nicht nur ökologisch, sondern auch finanziell.
Was nun tatsächlich ein Rekord ist: Die Organisatoren haben die einmalige
Summe von umgerechnet gut 3 Milliarden US-Dollar durch private Sponsoren
eingenommen. Nie zuvor wurden bei Olympischen Spielen auch nur annähernd so
hohe Werbeerlöse erzielt. Nicht einmal die Spiele 2008 in Peking, bei denen
die chinesische Regierung Zugriff auf diverse potente Staatsunternehmen
hatte, reichten an dieses Niveau heran. Und auch 2012 in London, wo
immerhin das geballte Finanzkapital sitzt, gaben Sponsoren nur ein Drittel
dessen ab, was nun in Japan lockergemacht wurde.
Für das Internationale Olympische Komitee (IOC) sind dies hervorragende
Nachrichten. „Das ist eine unglaubliche Summe“, hat der Chef der
IOC-Koordinierungskommission John Coates über die Sponsoreneinnahmen
gejubelt. Denn wegen der immer wieder ausufernden Kosten hat sich vor allem
in demokratischen Ländern die Meinung verbreitet, von Olympischen Spielen
profitierten neben dem IOC nur noch amtierende Regierungschefs, deren
Gesichter dann im Scheinwerferlicht glänzten, sowie die werbenden
Unternehmen. Die Gesellschaft müsse nach zwei Wochen Sportparty für die
Rechnung aufkommen.
## Hochverschuldeter japanischer Staat
Nicht zuletzt aufgrund dieser Annahme lehnten in den vergangenen Jahren
Bürgerentscheide in Wien, Hamburg, München, Innsbruck, Calgary oder Sion
eine Bewerbung um das olympische Austragungsrecht ab. Über das Fortbestehen
Olympischer Spiele ist sich das IOC zuletzt offenbar derart unsicher
geworden, dass es 2017 erstmals zwei aufeinander folgende Spiele am selben
Tag vergab. Paris und Los Angeles hatten eigentlich gegeneinander um 2024
konkurriert. Nun aber ist Paris 2024 an der Reihe und Los Angeles 2028.
Denn unsicher erschien es, ob sich zu einem späteren Zeitpunkt noch ein
neuer Bewerber gefunden hätte.
Anhand des Beispiels von Tokio soll gezeigt werden, dass es doch möglich
ist, die größte Sportveranstaltung der Welt finanziell seriös zu planen. So
eine Botschaft ist nicht nur für potenzielle Bewerber, sondern auch in
Japan selbst nötig. Der japanische Staat ist mit rund 230 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts verschuldet, anteilig also deutlich höher als die in
Europa berüchtigten Großschuldner Griechenland und Italien. Und auch wenn
Japan im Gegensatz zu den EU-Ländern seine eigene Notenbank hat, also
unbegrenzt eigenes Geld drucken kann, werden die ausufernden Schulden auf
irgendeine Weise von zukünftigen Generationen beglichen werden müssen.
Für allzu extravagante Olympische Spiele fehlt in Japan eigentlich das
Geld. Um deshalb möglichst viele Sponsoren anzuwerben, haben die
Organisatoren mit einer Gewohnheit voriger Spiele gebrochen, nach der es
pro Wirtschaftsbranche immer nur einen Sponsor gibt. Weil die Spiele in
Japan als patriotisches Anliegen gelten, die nicht zuletzt das
Wiederauferstehen nach der Tsunami- und Atomkatastrophe von [2][Fukushima
2011] symbolisieren sollen, machen nun Erzrivalen gemeinsame Sache.
Olympische Spiele in Japan, heißt es, dürfe sich kein einheimischer Betrieb
von Rang entgehen lassen.
So zählen nicht nur die beiden großen Fluglinien Japan Airlines und All
Nippon Airways zu den Sponsoren, sondern auch die zwei
Sanitäranlagenhersteller Toto und Lixil, die Großbanken Sumitomo Mitsui und
Mizuho, die Bahnanbieter Tokyo Metro und Japan Rail sowie die
Bauunternehmen Daiwa House und Mitsui Fudosan. Die Liste von direkten
Konkurrenten, die nun zusammen auftreten, ließe sich fortsetzen. Jeweils
bis zu 100 Millionen US-Dollar haben die 65 japanischen Unternehmen
gezahlt, um bis zum Sommer ihre Produkte mit dem olympischen Banner
bewerben zu dürfen.
## Ausgeklammerte Kosten
Doch so beeindruckend die Tokioter Fundraisingaktivitäten auch sind: Für
die Erzählung der Olympischen Spiele zum Nulltarif für die Steuerzahler
reichen sie wohl nicht annähernd aus. Die 3 Milliarden US-Dollar machen
rund die Hälfte jener Kosten aus, die während der Wettbewerbe anfallen,
also Ausgaben für Strom, Catering, Sicherheit und Transport. Die andere
Hälfte kommt von den IOC-Exklusivsponsoren sowie Einnahmen aus Ticketing
und Merchandising.
Ausgeklammert haben die Veranstalter aber all jene Kosten, die schon vorher
entstehen, nämlich Ausgaben für sämtliche Bauprojekte vom Olympiastadion
über die Schwimmhalle bis zum olympischen Dorf. Diese Kosten machen laut
Plan noch einmal mehr als 6 Milliarden US-Dollar aus und werden durch
Steuermittel finanziert. Eine von der Metropolregierung Tokio eingesetzte
Budgetkommission hat zudem errechnet, dass die Kosten vermutlich in etwa
doppelt so hoch liegen könnten.
Doch nicht nur an dieser Stelle hinkt die Tokioter Story von den günstigen
Olympischen Spielen. Auch die vielzitierten olympischen Werte sind nicht
überall wiederzuerkennen. Die IOC-Charta spricht schon in Absatz 1 vom
„erzieherischen Wert des guten Beispiels“ und der „Achtung universell
gültiger Prinzipien.“ Bei der Suche nach zahlungsbereiten Partnern scheint
das Tokioter Bewerbungskomitee teilweise beide Augen zugedrückt zu haben.
Schließlich fielen mehrere Sponsoren zuletzt durch Vorfälle auf, die sich
mit diesen Idealen kaum vertrugen.
So kam im Herbst 2013, als Tokio gerade das olympisches Austragungsrecht
zugesprochen war, über die zwei Großbanken Sumitomo Mitsui und Mizuho
heraus, dass sie vermehrt Kredite an Yakuza-Gruppen vergeben hatten, also
das japanische organisierte Verbrechen. Für den Status als Olympia-Partner
war dies ebenso wenig nachteilig wie eine Betrugsaffäre Ende 2018 beim
Elektronikhersteller Mitsubishi Electric, der bei Qualitätschecks Daten
gefälscht hatte.
Ebenso im vorletzten Jahr flog auf, dass der Transport- und
Lieferungskonzern Yamato in Rechnungen für Tausende Kunden Beträge
angesetzt hatte, die höher als vereinbart waren, wodurch diese um insgesamt
15,3 Millionen US-Dollar geprellt wurden. Anfang 2019 geriet dann der
Nudelhersteller Nissin, Sponsor der einst Weltranglistenersten im Tennis,
Naomi Osaka, in die Kritik. Für einen animierten Werbespot hatte Nissin die
dunkelhäutige Osaka hellhäutig aussehen lassen. Erst nach Vorwürfen von
Whitewashing und Rassismus zog Nissin den Spot zurück.
Die olympischen Organisatoren haben sich zu diesen Vorfällen bislang nicht
geäußert. Auf die Frage, ob man jemals einen Sponsor verschmäht habe, weil
er zu den olympischen Werten nicht so gut passe, antwortet Sprecher Masa
Takaya nach Zögern nur: „Dazu kann ich nichts sagen.“ Sollte Tokios kaum
wählerische Sponsorenakquise Schule machen, so dürften sich bei künftigen
Auflagen Olympischer Spiele immer mehr fragwürdige Betriebe mit dem
positiven Image des Sports schmücken.
Das IOC scheint sich daran, dass die eigenen Prinzipien offenbar nicht so
ernst genommen werden, kaum zu stören. John Coates, der Chef der
Planungskommission, freut sich stattdessen über die „tolle Unterstützung.“
13 Jan 2020
## LINKS
[1] /Olympische-Sommerspiele-2020/!5059593
[2] /Japanischer-Boden-stark-kontaminiert/!5107362
## AUTOREN
Felix Lill
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Japan
IOC
Anti-Doping-Agentur
Rugby
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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