# taz.de -- Rugby-WM in Japan: Run in die Herzen der Landsleute | |
> Japan ist alles andere als ein Einwanderungsland. Auch dank der Erfolge | |
> des bunten Rugby-Teams bei der Heim-WM öffnet sich die Gesellschaft. | |
Bild: Türöffner für das Viertelfinale und eine multikulturelle Gesellschaft:… | |
Eine Weltmeisterschaft, gerade wenn es sich um eine so pittoreske wie die | |
im Rugby handelt, schickt ja immer ihre symbolischen Bilder um die Welt. | |
Und spornt damit Kaffeesatzleser an, zu ahnen, vorauszusagen und zu deuten | |
– für welche Entwicklungen des Morgen das Heute schon die Vorzeichen | |
entblättert hat. In Japan lieferte die momentan laufende Rugby-WM schon zum | |
Eröffnungsspiels in Tokio ihr erstes starkes Bild. | |
Auf der Tribüne erhob sich während der Nationalhymnen mit Shinzō Abe nicht | |
nur ein eher konservativer Premier, sondern mit Kronprinz Akishino auch der | |
Erbe des über 2.500 Jahre alten japanischen Kaiserthrons. Und unten auf dem | |
Feld fuhr die Kamera die Gesichter einer japanischen Mannschaft ab, die | |
einen wilden Ethno-Mix aus allen erdenklichen Haut- und Haarfarben | |
repräsentierte und in der von 15 Spielern 7 gar nicht im Gastgeberland | |
geboren sind. | |
Ihre Anwesenheit schien nicht zu passen zu dem Bild des traditionellen | |
Japan, das sich immer noch als geschlossene, monoethnische Gesellschaft | |
sieht, in der nur jedes 50. Kind Eltern migrantischer Herkunft hat und in | |
der der Ausländeranteil mit 2 Prozent der mit Abstand niedrigste aller | |
Industrienationen ist. Auch deshalb stand das Multikulti-Rugbyteam vor der | |
Heim-WM nicht nur einmal im Kreuzfeuer der Kritik. | |
Das alles ist jetzt drei Wochen her, und der Wind in Nippon hat sich in | |
eine komplett andere Richtung gedreht. Die „Brave Blossoms“ gewannen alle | |
Gruppenspiele, zeigten dabei begeisterndes „Running Rugby“ und haben sich | |
nun für das Viertelfinale am Sonntag gegen Südafrika qualifiziert und | |
werden auf allen Kanälen entsprechend gefeiert. | |
## Untypische Japaner | |
Jeder der mittlerweile allgegenwärtigen Rugbyhelden hat seine eigene Story, | |
jeder seine unverwechselbaren Kennzeichen. Und nur wenige sind dabei | |
wirklich typisch japanisch. Da ist zum Beispiel Kotaro Matsushima. Mit | |
seiner Starkstromfrisur stürmte er auf unnachahmliche Weise durch die | |
Reihen der Gegner und hat bisher die meisten Versuche bei diesem Turnier | |
erzielt. Der 26-Jährige hat eine japanische Mutter und einen simbabwischen | |
Vater, ist in Südafrika geboren, lebt aber seit dem 5. Lebensjahr in Japan. | |
Oder der 120-Kilo-Koloss Isileli Nakajima mit seinen platinblond gefärbten | |
Haaren: Als Teenager wurde Nakajima, in Tonga geboren, vom Scout einer | |
Universität nach Japan geholt. Er trägt den Nachnamen seiner Frau. Hendrik | |
Tui, ein in Neuseeland geborener Samoaner, absolvierte eine japanische | |
Universität wie der in Samoa geborene und in Neuseeland aufgewachsene | |
Timothy Lafaele. Beide sind jetzt japanische Staatsbürger. Dann ist da noch | |
Koo Ji-won, der in Südkorea geboren wurde, aber in Japan die Highschool und | |
die Universität besuchte und 2015 japanischer Staatsbürger wurde. Und, | |
nicht zu vergessen, der in Australien geborene James Moore. | |
Zusammengehalten wird das Gebilde von Kapitän Michael Leitch. Der wurde | |
zwar in Neuseeland als Sohn einer Fidschianerin geboren, kam aber mit 15 an | |
eine japanische Highschool und spricht mittlerweile besser Japanisch als | |
Englisch. Leitch hat die japanische Kultur so sehr verinnerlicht, dass sein | |
einstiger Nationaltrainer Eddie Jones angeblich drei Jahre gebraucht | |
hatte, um seinen Kapitän davon zu überzeugen, die Fesseln der japanischen | |
Unterwürfigkeit abzulegen, um ein dynamischer Anführer zu werden. | |
Seit er mit einem riskanten Pass im allerletzten Spielzug den | |
sensationellen Sieg der Japaner gegen Südafrika bei der vergangenen WM vor | |
vier Jahren in England eingeleitet hatte, ist er das Gesicht des | |
japanischen Rugbys und hat auch die Rolle des Ausbilders für Geschichte und | |
Kultur für die nichtjapanischen Spieler übernommen. Dank Leitch ist jetzt | |
wirklich jeder sattelfest, wenn es um das Singen der Nationalhymne oder das | |
Wissen um Geschichte und Kultur des Landes geht. | |
## Kulturwandel durch Sport | |
In Japan gilt die Mission der Rugby-Multikultis mittlerweile als die | |
Blaupause für den Wandel in der japanischen Gesellschaft. Denn der langsam, | |
aber stetig zunehmende Einfluss anderer Kulturen wird auch in anderen | |
Sportarten immer sichtbarer. Mit Naomi Osaka gewann im vergangenen Jahr | |
eine Japanerin die US-Open, die einen haitianischen Vater hat. | |
Zusammen mit dem japanischen Baseballstar Yu Darvish, der einen iranischen | |
Vater hat, der Sprinterin Asuka Cambridge, deren Vater Jamaikaner ist, und | |
dem Kapitän der japanischen Basketballnationalmannschaft, Rui Hachimura, | |
dessen Vater aus dem westafrikanischen Benin stammt, gehört sie zur | |
wachsenden Zahl der japanischen Mixed-Race-Athleten. | |
Dass viele Japaner der Öffnung ihrer Gesellschaft positiv gegenüberstehen, | |
zeigt auch Toshiaki Hirose, der 2012 und 2013 selbst Kapitän der | |
japanischen Rugbynationalmannschaft war. Auf das Erfolgsrezept der „Brave | |
Blossoms“ angesprochen, sagte Hirose in einem Interview: „Außerhalb des | |
Sports schrumpft unsere Bevölkerung und wir brauchen deshalb Ausländer, die | |
einwandern.“ Es sei eine wichtige Lektion, nicht nur für das japanische | |
Rugby, sondern auch für das Land selbst, dass die Vermischung verschiedener | |
kulturelle Einflüsse aus einem mittelmäßigen Team ein erfolgreiches macht.“ | |
Eine Meinung, die auch Hiroaki Muto, Chefökonom am Tokai Tokyo Research | |
Center teilt: „Ausländische Arbeitskräfte, die aus anderen Kulturen und | |
Umgebungen stammen als Japaner, bieten eine gute Chance, das bestehende | |
starre Beschäftigungssystem und den Arbeitsstil zu verbessern.“ | |
19 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Christian Henkel | |
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