# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Europäische Mittäterschaft | |
> Die saudische Koalition stützt ihren Feldzug gegen die Huthis im Jemen | |
> auf Rüstungsgüter aus EU-Ländern. NGOs ziehen dagegen vor Gericht. | |
Bild: Nach einem saudischen Luftangriff: Trümmer eines Gefangenenlagers in Dha… | |
Ende Mai 2019. Im Hafen von Marseille untersuchen Dockarbeiter, die der | |
Gewerkschaft CGT angehören, die Ladung des saudischen Frachters „Bahri | |
Tabuk“. Sie haben den Verdacht, dass das Schiff Artilleriemunition geladen | |
haben könnte. | |
Wenige Tage zuvor hatte die Besatzung eines anderen Schiffs, der „Bahri | |
Yanbu“, in Belgien Fracht an Bord genommen, aber im französischen Le Havre | |
wurde sie am Beladen gehindert. Am 20. und 21. Mai riefen italienische | |
Gewerkschafter einen Streik aus, um die „Bahri Yanbu“ am Auslaufen aus dem | |
Hafen von Genua zu hindern, und erwirkten das Recht, das Ladegut zu | |
untersuchen. | |
In all diesen Fällen wurden die Dockarbeiter von NGO-Vertretern und | |
Abgeordneten begleitet, die die Rolle Saudi-Arabiens und seiner Verbündeten | |
im Jemenkrieg anprangern. Bahnt sich hier nach Jahren der Untätigkeit ein | |
Bewusstseinswandel an? | |
Das bislang jüngste Kapitel des Kriegs im Jemen begann 2014, als die | |
Huthi-Rebellen bis zur Hauptstadt Sanaa vordrangen. Seit 2004 kämpft die | |
von Iran unterstützte schiitische Bewegung gegen die jemenitischen | |
Regierungstruppen. Am 15. Februar 2015 verurteilte der UN-Sicherheitsrat in | |
der Resolution 2201 die Huthi-Angriffe und forderte alle Beteiligten auf, | |
die Feindseligkeiten zu beenden. Diese Verurteilung wiederholte er auch | |
nach dem 26. März 2015, als Saudi-Arabien an der Spitze einer Koalition mit | |
den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Ägypten, Sudan und Marokko | |
[1][erste Militäroperationen gegen die Huthis begann]. | |
## Schlimmste humanitäre Krise des Planeten | |
Die UNO ist in großer Sorge um die 24,1 Millionen Jemeniten, die auf Hilfe | |
angewiesen sind (bei einer Gesamtbevölkerung von 28,5 Millionen), und um | |
die 14,3 Millionen, denen akute Hungersnot droht. Das Kriegsgeschehen hat | |
bis Ende 2018 rund 60 000 Verletzte und nahezu 10 000 Tote gekostet und 4,8 | |
Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht.1 NGOs wie das Armed Conflict | |
Location & Event Data Project (Acled), das eine umfangreiche Datenbank | |
angelegt hat, gehen sogar von mehr als 90 000 Toten aus, darunter 11 700 | |
Zivilisten.2 Im Februar 2018 warnte die UNO vor der „schlimmsten | |
humanitären Krise des Planeten“. | |
Zahlreiche NGOs weisen darauf hin, dass sich Saudi-Arabien und seine | |
Verbündeten wenig um die Zivilbevölkerung scheren. Die folgenreichsten | |
Angriffe auf nichtmilitärische Ziele waren die Bombardierung einer | |
Trauerfeier im Oktober 2016 mit 140 Toten und die einer Hochzeitsfeier im | |
April 2018, mit etwa 30 Toten, darunter 13 Kinder. Beim Beschuss eines | |
Busses am 9. August 2018 gab es 51 Tote, darunter 40 Kinder. In allen | |
Fällen sprach Riad von „bedauerlichen Irrtümern“. Doch die saudische | |
Seeblockade lässt an den Zielen Riads keinen Zweifel: Unter dem Vorwand, | |
man wolle Waffenimporte verhindern, wird die Einfuhr von Lebensmitteln | |
unterbunden, um die Bevölkerung auszuhungern. | |
Seit Beginn des Jemenkriegs kritisieren europäische Organisationen, die | |
sich mit Rüstungskontrolle beschäftigen, dass die in diesem Konflikt | |
eingesetzten Waffen aus den USA und Europa kommen. [2][Saudi-Arabien und | |
die VAE belegen auf den Ranglisten der Abnehmer von Rüstungsexporten | |
regelmäßig die Spitzenplätze]. | |
Unabhängig voneinander haben NGOs aus mehreren europäischen Ländern | |
rechtliche Verfahren beim Internationalen Strafgerichtshof und bei ihren | |
nationalen Gerichten angestrengt. Damit wollen sie eine Mittäterschaft | |
jener Länder nachweisen, die Waffen auf die Arabische Halbinsel | |
exportieren. Doch die rechtliche Bewertung ist in diesen Fällen | |
kompliziert. | |
## Ein erster juristischer Sieg in Großbritannien | |
In Frankreich wurde die Klage der NGO Aser am 9. Juli 2019 vom Pariser | |
Verwaltungsgericht verworfen. In Großbritannien erreichte die NGO Campaign | |
Against Arms Trade (CAAT) vor einem Berufungsgericht in London am 20. Juni | |
der CAAT zwar ein Urteil, in dem die Genehmigungen für Waffenverkäufe an | |
Saudi-Arabien durch die britische Regierung als „rechtsirrtümliche“ | |
Gesetzesauslegung qualifiziert wird. Doch dieses Urteil vom 20. Juni ist | |
nicht bindend, und Liam Fox, der damalige Minister für internationalen | |
Handel, hat zugesagt, den Verfahrensmodus zu ändern. Dennoch ist dies ein | |
erster juristischer Sieg. | |
Der multilaterale Vertrag über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty, ATT)3, | |
der seit dem 24. Dezember 2014 in Kraft ist, wie auch der Gemeinsame | |
Standpunkt der EU zu Waffenausfuhren von 2008 verpflichten alle | |
Unterzeichner dazu, keine Rüstungsgüter zu exportieren, wenn „eindeutig das | |
Risiko besteht“, dass diese eingesetzt werden, „um schwere Verstöße gegen | |
das humanitäre Völkerrecht zu begehen“.4 | |
Doch dieses Risiko wird unterschiedlich definiert. Im Fall Jemen ist für | |
die NGOs jeder tote Zivilist ein Beleg, während die Politiker von | |
„Kollateralschäden“ sprechen, die sie kritisieren, ohne die Intervention | |
als solche zu verurteilen. | |
Die meisten Regierungen äußerten zwar ihre Besorgnis über das Gemetzel im | |
Jemen, aber eine politische Reaktion erfolgte erst nach der Ermordung des | |
Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat von Istanbul im Oktober | |
2018. Seitdem haben Österreich, Dänemark, Norwegen, die Niederlande und | |
Finnland ein Waffenembargo gegen Saudi-Arabien verhängt. Dabei verzichteten | |
die Niederlande und Finnland auf lukrative Verträge, die allerdings mit | |
denen der führenden Exporteure nicht vergleichbar sind. | |
## Geheimdienst gegen Journalistenkollektiv | |
In Frankreich brachte die [3][Veröffentlichung geheimer Dokumente durch das | |
Journalistenkollektiv Disclose] am 15. April 2019 die Verantwortung der | |
Regierung für Waffenlieferungen auf die Arabische Halbinsel ans Licht. | |
Daraufhin leitete der Inlandsgeheimdienst DGSI eine Untersuchung gegen die | |
Journalisten ein, denen die „Verletzung der Geheimhaltung im Rahmen der | |
nationalen Verteidigung“ vorgeworfen wird. | |
Dabei geht es um eine streng vertrauliche Mitteilung des militärischen | |
Nachrichtendienstes DRM an Staatspräsident Macron, Ministerpräsident | |
Philippe, Verteidigungsministerin Parly und Außenminister Le Drian. Der | |
Inhalt: eine Liste wichtiger Rüstungsgüter, die Saudi-Arabien und die VAE | |
im Jemenkrieg einsetzen: Kampfpanzer vom Typ Leclerc, AMX-30 und AMX-10P; | |
das minengeschützte Transportfahrzeug Aravis; Baynunah-Korvetten sowie | |
Al-Madinah- und Al-Makkah-Fregatten; die Artilleriegeschütze AUF-1, LG1, | |
Milan und RTF1; Versorgungsflugzeuge vom Typ A330 MRTT, Hubschrauber | |
(Cougar, Panther, Dauphin), Jagdflugzeuge vom Typ Mirage 2000-9 und der | |
dazugehörige Lasermarkierer Damocles, der die präzise Erfassung von | |
Angriffszielen ermöglicht. | |
Nach Angaben des DRM dienen selbstfahrende Haubitzen vom Typ Caesar des | |
französischen Herstellers Nexter „den Regierungstruppen und den Truppen | |
Saudi-Arabiens bei ihrem Vormarsch im Jemen“. Der Nachrichtendienst spricht | |
zwar von einem „defensiven“ Einsatz, aber die Journalisten von Disclose | |
konnten belegen, dass bei einem Artilleriebeschuss in Reichweite solcher | |
Haubitzen 35 Zivilisten getötet wurden. Einige der Opfer wurden ganz sicher | |
von den französischen Geschützen getroffen, da sie außerhalb der Reichweite | |
anderer Artillerie lagen. Im Unterschied zu den Leclerc-Panzern und den | |
Mirage 2000-9 werden diese Haubitzen seit 2010 und bis 2024 in Raten | |
geliefert: In ihrem Fall ist es also schwierig, sich auf Unwissenheit zum | |
Zeitpunkt der Ausfuhren zu berufen. | |
Die Mitteilung des DRM erwähnt auch Korvetten der Abu-Dhabi-Klasse, die von | |
Italien verkauft wurden, Typhoon- und Tornado-Kampfflugzeuge britischer | |
Herkunft, Al-Murjan-Minenjagdboote und Murayjib-Korvetten, die in | |
Deutschland hergestellt wurden, oder auch schwedische | |
Ghannatha-Patrouillenboote und Radaranlagen zur Luftverkehrsüberwachung. | |
## Ausfuhren im Wert von über 17 Milliarden Euro | |
Dass die Waffenexporte während des gesamten Jemenkriegs weitergingen, war | |
schon den offiziellen Exportberichten zu entnehmen. 2017 genehmigten die | |
EU-Länder Ausfuhren im Wert von über 17 Milliarden Euro für Saudi-Arabien | |
und von 5 Milliarden Euro für die VAE.5 Großbritannien lieferte Waffen im | |
Wert von 1,572 Milliarden Euro; Deutschland war mit 477 Millionen Euro | |
dabei, Belgien mit 52 Millionen, Bulgarien mit 484 Millionen und Spanien | |
mit 174 Millionen Euro.6 | |
Frankreich hat in einem eigenen Bericht vom 4. Juni 2019 angegeben, dass es | |
der saudischen Monarchie 2018 Waffen im Wert von 1,398 Milliarden Euro und | |
den VAE Militärgüter im Wert von 237 Millionen Euro geliefert hat.7 Von den | |
großen klassischen Rüstungsunternehmen aus Frankreich, Deutschland oder | |
Großbritannien beziehen Riad und Abu Dhabi komplexe Systeme wie | |
Kampfflugzeuge oder Schiffe, während sie technologisch einfachere | |
Rüstungsgüter gern in Osteuropa bestellen. Saudi-Arabien ist zum Beispiel | |
der größte Kunde für leichte Waffen und Munition aus Bulgarien. | |
Wie lassen sich diese Lieferungen rechtfertigen? Das Büro der französischen | |
Verteidigungsministerin gibt dazu keine Auskunft. Aber vor der | |
Parlamentskommission für Nationale Verteidigung behauptete die Ministerin | |
Florence Parly am 7. Mai 2019, die Exporte seien „für unsere Souveränität | |
unverzichtbar“. Begründung: „Um über eine militärische Ausrüstung zu | |
verfügen, mit der wir die grundlegende Mission der Verteidigung unseres | |
Territoriums und unserer Landsleute sowie die nukleare Abschreckung | |
gewährleisten können, müssen wir die Existenzfähigkeit und die | |
Unabhängigkeit unserer Verteidigungsindustrie erhalten.“8 | |
In ihrer Rhetorik der Unaufrichtigkeit und Lüge ging die Ministerin sogar | |
noch weiter: Schon am 20. Januar 2019, als ihr der DRM-Bericht bereits | |
vorlag, erklärte Parly im Radiosender France Inter, es sei ihr nicht | |
bekannt, dass französische Waffen „in diesem Konflikt direkt zum Einsatz | |
kommen“. Und am 7. Mai, als Disclose bereits die Existenz des Bericht | |
enthüllt hatte, versicherte sie den Abgeordneten: „Wir haben nie behauptet, | |
dass keine französische Waffe im Jemen benutzt wird. Aber wir haben bis | |
heute keinen Beweis dafür, dass Waffen französischer Herstellung | |
vorsätzlich gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden.“ Dabei enthält | |
der Bericht des DRM präzisiere Angaben über den Einsatz verschiedener | |
Waffensystem. So heißt es über das Raketenschiff der Baynunah-Klasse: | |
„Beteiligt sich an der Seeblockade und der Unterstützung der | |
Landoperationen an der jemenitischen Küste.“ | |
## Keine Einwände gegen Riads militärische Aktionen | |
Der Abgeordnete Fabien Gouttefarde von der Regierungspartei La | |
République en Marche (auch Präsident der Freundschaftsgruppe | |
Frankreich–Jemen und der Studiengruppe für humanitäre Hilfe im Parlament) | |
berichtet, was er bei einem Besuch beim Generalstab der Kriegskoalition von | |
den saudischen Vertreter erfahren hat. Demnach haben weder die | |
US-amerikanischen noch die britische Verbindungsoffiziere Einwände gegen | |
die militärischen Aktionen vorgebracht. | |
Der Jurist Gouttefarde diente früher im Pariser Verteidigungsministerium | |
als Experte für rechtliche Fragen bei bewaffneten Konflikten. Als | |
Abgeordneter rechtfertigt er Frankreichs Waffenverkäufe mit Verweis auf die | |
„strategische Partnerschaft“ mit Saudi-Arabien und den Vereinten Arabischen | |
Emiraten: „Denken Sie an Charlie Hebdo. Die mörderischen terroristischen | |
Attentate kamen von al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, die | |
Rückzugsbasen im Jemen hat. Es bestand wirklich eine terroristische | |
Bedrohung, die die Koalition bekämpft hat.“ | |
Zudem macht Gouttefard geltend, dass die Huthis „fast ebenso viele | |
Kriegsverbrechen begehen“. Außerdem würden die Rebellen täglich die Grenze | |
zu Saudi-Arabien verletzen: „Wenn man so eine strategische Partnerschaft | |
eingeht, ist es auch legitim, Waffen zur Verteidigung bereitzustellen.“ | |
Was den Kampf gegen den Terrorismus betrifft, so haben sich zwar – laut | |
DRM-Bericht – die VAE am Kampf gegen die Dschihadisten beteiligt. Aber aus | |
Presseberichten geht hervor, dass dieser Kampf für die Koalition keine | |
Priorität darstellt und dass in einigen Fällen sogar Absprachen mit den | |
Dschihadisten gegen die Huthis getroffen wurden.9 | |
## Parlamente ohne verlässliche Informationen | |
Angesichts der Staatsräson, auf die sich die Regierungen berufen, haben die | |
europäischen Parlamente große Mühe, sich verlässliche Informationen über | |
Waffenexporte zu beschaffen. Zwar wurde die öffentliche Berichtspflicht in | |
allen Ländern durchgesetzt, aber die Auswertung ist oft eine mühsame Sache. | |
In Frankreich sind nur wenige Abgeordnete bereit, die Berichte mit den | |
seitenlangen Tabellen zu studieren. Die italienischen Parlamentarier müssen | |
sich mit 1400 Seiten unsortierter Dokumente befassen. In Großbritannien | |
haben sich mehrere Abgeordnete auf das Thema spezialisiert und verfassen | |
Gegenberichte mit Fragen, die die Regierung beantworten soll. | |
In Deutschland wird die Debatte über Waffenexporte vor allem im | |
Verteidigungsausschuss geführt. In wenigen Ländern, darunter in den | |
Niederlanden, werden die Abgeordneten über jede Unterzeichnung einer | |
Exportlizenz im Wert von mehr als 2 Millionen Euro informiert. Nur in | |
Schweden wird eine Gruppe von Parlamentariern bei jeder Risikolizenz | |
konsultiert, noch bevor diese erteilt wird. | |
Trotz aller Diskussionen hatte sich keine der großen Exportnationen auf | |
eine entschiedene Politik gegen Saudi-Arabien festgelegt. Großbritannien | |
hatte nach dem Urteil des Londoner Berufungsgerichts vom 20. Juni die | |
Erteilung neuer Lizenzen für Saudi-Arabien zwar ausgesetzt, aber die | |
vereinbarten Lieferungen – samt Wartungsleistungen – gehen weiter. Was | |
Deutschland betrifft, so hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 22. Oktober | |
2018 als Reaktion auf die Ermordung Khashoggis erklärt: „Solange das nicht | |
aufgeklärt ist, gibt es auch keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien.“ | |
## Eurofighter mit Teilen aus deutscher Produktion | |
Diese Ankündigung traf die europäische Industrie wie ein Donnerschlag. Denn | |
die größten Produzenten in Frankreich und Großbritannien waren auf | |
bestimmte Teile aus deutscher Herstellung angewiesen. Die meisten | |
Unternehmen waren hinter den Kulissen aktiv, um die deutsche Seite zu | |
beeinflussen. Nur der Airbus-Vorstandsvorsitzende Thomas Enders, der gerade | |
mit Riad über den Verkauf von 48 Eurofighter-Kampfflugzeugen verhandelte, | |
positionierte sich ganz offen. Am 16. Februar 2019 erklärte er gegenüber | |
Reuters: „Es macht uns bei Airbus seit Jahren verrückt, dass die deutsche | |
Seite sich zum Beispiel das Recht nimmt, den Verkauf eines französischen | |
Helikopters zu blockieren, wenn auch nur ein winziges deutsches Teil | |
involviert ist.“ | |
Dass fast in allen Systemen „deutsche Teile“ zu finden sind, hat | |
historische Gründe, erläutert der Journalist und Friedensforscher Ottfried | |
Nassauer: „Nach dem Zweiten Weltkrieg unterlag die deutsche | |
Rüstungsindustrie strengen Restriktionen. Deshalb verlegte sie sich | |
jahrzehntelang auf die Entwicklung von Einzelteilen, die für andere Länder | |
bestimmt sind. Die finden sich heute auch in den Eurofightern für | |
Saudi-Arabien, obwohl Großbritannien der Exporteur ist.“ | |
Das „Debré-Schmidt“-Abkommen von 1972 sollte verhindern, dass die | |
Partnerländer durch politische Entscheidungen Deutschlands blockiert | |
werden. Demnach dürfen Unternehmen den Zulieferer wechseln, wenn die | |
vertraglich vereinbarten Teile nicht geliefert werden können. | |
Das funktioniert allerdings nur auf dem Papier, denn oft ist es unmöglich, | |
kurzfristig Ersatz zu finden. Im Fall des Eurofighters können die von | |
Berlin blockierten Software-Updates nicht vom erstbesten Start-up geleistet | |
werden. Häufig wäre der einzig mögliche Ersatz ein US-Produkt – aber die | |
europäischen Waffenverkäufer wollen auf keinen Fall von Washington abhängig | |
sein. Deshalb gingen Paris und London auf die Barrikaden, um Berlin zur | |
Raison zu bringen. Am 29. März 2019 beschränkte die Merkel-Regierung das | |
Exportverbot auf ausschließlich deutsche Waren. Die Zubehörteile werden | |
also auch dann geliefert, wenn sie für Saudi-Arabien oder die VAE bestimmt | |
sind. | |
Die deutschen Unternehmen haben auch andere Tricks ersonnen, um das Embargo | |
zu umgehen. So liefert Rheinmetall nach wie vor Munition an Saudi-Arabien – | |
aber auf Umwegen über seine Tochterunternehmen in Italien und Südafrika. | |
Die langfristige Strategie der europäischen Rüstungsgiganten sieht anders | |
aus: Sie siedeln sich direkt in Saudi-Arabien und in den VAE an, wo in | |
diesem Jahr etliche Gemeinschaftsunternehmen gegründet wurden. | |
Den Anfang machten gemeinsame Unternehmen und Fertigungsbetriebe, an denen | |
diverse europäische Konzerne (darunter Thales, die Naval Group und auch | |
Airbus) beteiligt sind und auf arabischer Seite die Staatskonzerne Sami | |
(Saudi Arabian Military Industries) oder Edic (Emirates Defense Industries | |
Company). Die Rüstungsgüter sollen also zunehmend vor Ort gebaut und | |
gewartet werden. Was bedeutet, dass die Regierungen und Parlamente der | |
Partnerländer immer weniger mitzureden haben. | |
Auf unsere Anfragen erhielten wir von keinem französischen Unternehmer eine | |
offizielle Antwort. Nur ein Konzernmanager, der anonym bleiben will, ließ | |
uns wissen: „Ohne die Zusammenarbeit mit Sami geht in Saudi-Arabien gar | |
nichts mehr. Das ist ganz neu und erklärt sich mit der Notwendigkeit, die | |
Produktion vor Ort zu koordinieren.“ Saudi-Arabien sei nun einmal der | |
zweitgrößte Waffenimporteur. „Deshalb trifft man dort sämtliche Verkäufer | |
an.“ | |
1 „Yemen: 2019 Humanitarian Needs Overview“, Amt für die Koordinierung | |
humanitärer Angelegenheiten der UNO, Dezember 2018. | |
2 „Yemen Snapshots: 2015–2019“, ACLED, Juni 2019. | |
3 Der ATT wurde von 104 Staaten ratifiziert, auch von allen EU-Ländern, | |
nicht aber von den USA, China und Russland. (Stand Juli 2019). | |
4 So die Formulierungen im Gemeinsamen Standpunkt der EU vom 8. Dezember | |
2008 (2008/944) in Artikel 2, Abs.2c. | |
5 Der Bericht des Europäischen Auswärtigen Dienstes für 2017, der die | |
Angaben der Mitgliedsländer kompilieren soll, liefert keine umfassenden | |
Informationen zu den Rüstungslieferungen, da nicht alle Länder diese | |
Angaben nach Brüssel melden. | |
6 20. Jahresbericht „über „die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnolog… | |
und Militärgütern“, Amtsblatt der Europäischen Union, 2018/C 453/01, 14. | |
Dezember 2018. | |
7 Bericht an das Parlament über französische Waffenexporte 2019, | |
Verteidigungsministerium, 4. Juni 2019. | |
8 Protokoll der Anhörung Nr. 32 der Kommission für nationale Verteidigung | |
und Streitkräfte, Nationalversammlung, Paris, 7. Mai 2019. | |
9 Maggie Michael, Trish Wilson und Lee Keath, „AP Investigation: U.S. | |
allies, al-Qaida battle rebels in Yemen“, Associated Press, 7. August 2018. | |
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz | |
19 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://monde-diplomatique.de/artikel/!5461441 | |
[2] https://www.sipri.org/sites/default/files/2019-05/fs_1905_gulf_milex_and_ar… | |
[3] http://made-in-france.disclose.ngo/fr/ | |
## AUTOREN | |
Romain Mielcarek | |
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