# taz.de -- Kalkül und Katastropheim Jemen | |
> Die Intervention der saudisch geführten Koalition entwickelt sich zu | |
> einem Desaster. Riad hat durch seine Blockade des Nachbarlands eine | |
> humanitäre Krise heraufbeschworen. Trotzdem hält der Westen weiter zur | |
> Koalition – und leistet direkte militärische Unterstützung. | |
von Laurent Bonnefoy | |
Seit September 2014 ist der Jemen in einen schrecklichen Konflikt | |
verstrickt, der sowohl ein regionaler als auch ein Bürgerkrieg ist. Da die | |
Großmächte sich kaum engagieren und die Medien nur spärlich berichten, | |
sprechen einige Beobachter auch von einem „vergessenen“ oder "verborgenen" | |
Krieg. Dabei hat nicht einmal die unfassliche humanitäre Krise, die im | |
Jemen herrscht, das Gewissen der Welt aufgerüttelt: trotz der größten | |
jemals verzeichneten Choleraepidemie, mit 600 000 Verdachtsfällen seit März | |
2017, und trotz einer Hungersnot, von der 70 Prozent der 30 Millionen | |
Einwohner betroffen sind. | |
Mehr als 10 000 Menschen sind bereits bis Januar 2017 umgekommen, wie die | |
Vereinten Nationen ermittelt haben. Doch das Leid so vieler Menschen hat | |
keineswegs dazu geführt, dass man auf die Kriegsparteien nennenswerten | |
Druck ausgeübt hätte, damit die Kämpfe in diesem von regionalen Akteuren | |
befeuerten Konflikt endlich aufhören.[1] | |
Auf der einen Seite steht eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition, die | |
vorgibt, die Amtsgewalt des von den meisten Staaten anerkannten | |
jemenitischen Präsidenten Hadi wiederherzustellen und den Einfluss Irans | |
zurückzudrängen. Sie stützt sich auf lokale und salafistische Milizen, | |
Separatisten aus dem Süden des Jemen und Anhänger von Hadi. Auf der anderen | |
Seite kämpfte bis vor kurzem ein Bündnis aus Huthi-Rebellen und Anhängern | |
des früheren Präsidenten Ali Abdullah Saleh. | |
Ende November sagte sich Ex-Präsident Saleh allerdings von den Huthi los | |
und schloss sich der saudisch geführten Koalition an. Daraufhin wurde er | |
von seinen ehemaligen Verbündeten am 4. Dezember getötet. Bereits in den | |
Tagen davor hatte es in der Hauptstadt Sanaa heftige Kämpfe zwischen Salehs | |
Anhängern und den Huthi-Milizen gegeben. | |
## Mit Waffen aus dem Westen | |
Obwohl das von Saudi-Arabien angeführte Bündnis schwerer Kriegsverbrechen | |
beschuldigt wird und sein Erfolg mehr als fraglich ist, werden seine | |
militärischen Aktionen von den USA, Großbritannien und Frankreich weiterhin | |
logistisch und technisch unterstützt (unter anderem durch Luft- und | |
Satellitenaufklärung, Militärberater und Tankflugzeuge). Motiviert ist die | |
Komplizenschaft dieser westlichen Regierungen zweifellos vor allem durch | |
lukrative Rüstungsgeschäfte.[2] | |
Dabei gingen diese Mächte so weit, dass sie sich sogar lange Zeit gegen die | |
Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission im Rahmen der UNO | |
gewehrt haben. Zum Beispiel blockierte der UN-Menschenrechtsrat im Oktober | |
2015 unter dem Druck der Saudis einen Resolutionsentwurf der Niederlande, | |
der die Entsendung unabhängiger Ermittler in den Jemen vorsah. In dieser | |
Sache kam es erst im September 2017 zu einem von Frankreich vermittelten | |
Kompromiss. Doch die Arbeitsfähigkeit der internationalen | |
Expertenkommission bleibt beschränkt, schon weil ihr der Zugang zum | |
Kampfgebiet erschwert ist. | |
Die juristische Rechtfertigung der saudischen Intervention ist ohnehin | |
zweifelhaft: Als Abed Rabbo Mansur Hadi im März 2015 den Nachbarstaat | |
Saudi-Arabien um ein Eingreifen im Jemen bat, war Hadis Mandat als | |
Präsident formal bereits abgelaufen – es herrschte also ein | |
verfassungsrechtliches Vakuum. | |
Das Eingreifen der Saudis ist lediglich indirekt durch die Resolution 2216 | |
des UN-Sicherheitsrats abgesegnet, die erst drei Wochen nach Beginn der | |
Offensive des saudisch geführten Bündnisses verabschiedet wurde. Damit kann | |
sich die Operation „Decisive Storm“ nur auf eine sehr eigenwillige | |
Interpretation des Völkerrechts berufen. | |
Dieses Wegsehen der Großmächte zeugt von einer tiefen Verachtung für die | |
Menschen im Jemen, zugleich aber auch von der fatalen Weigerung, die | |
Triebkräfte eines Konflikts zu verstehen, dessen Folgen weit über den Jemen | |
hinausreichen. Ebenso paradox ist aber auch das Desinteresse der | |
internationalen Öffentlichkeit an einem Konflikt, der offenbar nur als | |
weiterer Krieg „niedriger Intensität“ in einer fernen Weltgegend gesehen | |
wird. | |
7 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Laurent Bonnefoy | |
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