| # taz.de -- Vater und Tochter über Aktivismus: „Die Klimakrise führt uns zu… | |
| > Lukas Beckmann hat damals die Grünen mitgegründet, seine Tochter Jolinde | |
| > Hüchtker geht heute zur Klimademo. Was verbindet und was trennt sie? | |
| Bild: Die Gründungs-Grünen: Otto Schily, Lukas Beckmann und Petra Kelly im M�… | |
| Lukas Beckmann ist einer der Gründer der Grünen. Er hat lange für Partei | |
| und Fraktion gearbeitet. Heute ist er selbstständig. Seine Tochter Jolinde | |
| Hüchtker, 22, ist ausgezogen aus der gemeinsamen Kreuzberger Wohnung, | |
| studiert im Ruhrgebiet und schreibt als Journalistin unter anderem für die | |
| taz. Politik zog sich durch das Familienleben: Beim Abendbrot wurde über | |
| Koalitionsverhandlungen diskutiert, an Wahlabenden saß man vor den | |
| Hochrechnungen. Für dieses Gespräch haben sich Vater und Tochter | |
| zusammengesetzt, um über die Grünen und soziale Bewegungen zu sprechen – | |
| und über sich selbst. | |
| taz am wochenende: Papa, Freitag vor einer Woche waren wir zusammen bei der | |
| Klimademo. Das wird ein Aufbruch wie nie, hast du vorher gesagt. War es | |
| das? | |
| Lukas Beckmann: [1][Ein historischer Tag], prägend für eine ganze | |
| Generation von Schülerinnen und Schülern. Wir wissen nicht, was die | |
| Generation, die jetzt auf die Straße geht oder heute auf die Welt kommt, | |
| noch mobilisieren kann. Vielleicht viel mehr, als wir je konnten. Sie denkt | |
| Selbstbestimmung so radikal, dass sie Ausreden und Auswege nicht mehr | |
| zulässt. | |
| Du warst in den 70ern und 80ern in der Umwelt- und Friedensbewegung aktiv. | |
| Hat die Klimademo dich an deine politische Jugend erinnert? | |
| Ja, schon. Aber Fridays for Future ist eine Ausnahme. Diese Bewegung ist | |
| professioneller, weltoffener und richtet sich ideologiefrei an alle. Die | |
| Schülerinnen und Schüler treffen einen Nerv der Zeit, weil sie rausgehen, | |
| um für das zu kämpfen, was wir als Eltern und Großeltern nicht hinbekommen | |
| haben. Es berührt mich sehr, was da möglich wird. Eine weltweite | |
| Mobilisierung ist uns in dieser Form nie gelungen. | |
| Was war bei euch damals anders? | |
| Die Umwelt- und Friedensbewegung war ein Kampf gegen die Welt außerhalb von | |
| uns, nicht gegen unsere Welt. | |
| Das heißt, man musste nichts persönlich aufgeben, um hinter der Bewegung zu | |
| stehen. | |
| Ja, vielleicht. Das ist bei Fridays for Future heute anders, da | |
| verschmelzen das Ich und die Welt, die Klimakrise führt uns zusammen. Die | |
| Welt ist nicht das Draußen, was wir retten müssen, sondern wir sind Teil | |
| davon. | |
| Hattest du die Hoffnung auf die Rettung des Klimas zwischendurch mal | |
| aufgegeben? | |
| Nein. | |
| Aber dafür hätte es doch gute Gründe gegeben. | |
| Vom Kopf her betrachtet ist das vielleicht eher verwunderlich. Aber ich | |
| glaube eigentlich, dass die Menschheit überlebt. | |
| Apropos Klimastreik: Hast du als Jugendlicher selber viel Schule | |
| geschwänzt? | |
| Wenig, außer in Erntezeiten, wo ich auf dem Hof gebraucht wurde. | |
| Was hat dich eigentlich zuerst politisiert? | |
| Der Überfluss in Europa und daneben Fernsehbilder von Tausenden, die an | |
| Hunger starben. Das hat Fragen ausgelöst, mit denen ich als Schüler allein | |
| blieb. | |
| Früher sind wir jede Schulferien auf den Bauernhof meiner Tante gefahren. | |
| Dort steht noch dein knallgrüner Trecker im Schuppen. Bevor du in die | |
| Politik gegangen bist, hast du eine Ausbildung zum Landwirt gemacht. Was | |
| ist davon geblieben? | |
| Die Verbundenheit mit Natur, Landwirtschaft und Menschen. Nach meiner | |
| Ausbildung bin ich zum Kolleg nach Bielefeld gegangen und habe das Abitur | |
| nachgeholt. Danach habe ich Entwicklungssoziologie studiert. Ich wollte | |
| Landwirtschaft und Entwicklungshilfe verbinden, ins Ausland gehen und | |
| Menschen dort helfen. | |
| Wann hat sich das verschoben? | |
| Ich habe einige Jahre für ein Zuchtvieh-Unternehmen Rinder und Bullen nach | |
| Südamerika exportiert und war auf dem Schiff für die Tiere verantwortlich. | |
| Vor Ort habe ich mir dann Entwicklungsprojekte angesehen. Dabei ist mir | |
| klar geworden, dass Entwicklung dort vor allem an den Strukturen bei uns | |
| scheitert: an Handelsverträgen, wirtschaftlichen Interessen, | |
| Kapitalmärkten. | |
| Also wolltest du dich an die Strukturen hier machen. | |
| Ich war wie viele in meinem Umfeld in zahlreichen Initiativen aktiv: bei | |
| Amnesty International, in Dritte-Welt-Gruppen, in der Umwelt- und | |
| Anti-Atomkraftbewegung. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, immer nur | |
| Feuerwehr zu sein und Symptome zu bekämpfen, ohne an den Ursachen etwas | |
| verändern zu können. Das ging anderen auch so. | |
| Und dann habt ihr euch zusammengetan? | |
| Die Zeit war reif für eine neue Partei, die die ökologische Frage in den | |
| Mittelpunkt stellt. 1977 tauchten die ersten Grünen Listen auf lokaler | |
| Ebene auf. Die erste direkte Wahl des Europäischen Parlaments im März 1979 | |
| kam uns entgegen, wir gründeten die Grünen bundesweit nach EU-Recht. | |
| Wie haben deine Eltern damals auf dein politisches Engagement reagiert? | |
| Politik war ihnen vertraut – mein Vater war im Gemeinderat und | |
| CDU-Mitglied. Dass jetzt etwas völlig Neues entstehen sollte, war für sie | |
| befremdlich, das haben sie erst nicht verstanden. | |
| Was müsste ich politisch tun, dass du so reagieren würdest wie deine Eltern | |
| damals? | |
| Für Putin und Erdoğan Wahlkampf machen und Trump oder AfD wählen. | |
| Wieso wäre das vergleichbar? | |
| Das Unverständnis darüber, wie das eigene Kind so geworden sein kann, so | |
| daneben liegen kann und was man in der Erziehung falsch gemacht hat. | |
| Nachdem meine Eltern mich in Bonn in der Bundesgeschäftsstelle besucht | |
| haben, kam meine Mutter aber zu dem Schluss, dass mein Vater in politischen | |
| Dingen wohl auch nicht immer Recht hat. | |
| Ich finde Erdoğan und Trump schrecklich. Aber selbst wenn es anders wäre: | |
| Wahrscheinlich könnte ich dich gar nicht überzeugen, dass es doch eine gute | |
| Idee wäre, für solche Leute Wahlkampf zu machen. | |
| Wohl kaum. | |
| Und wenn ich im Hambacher Forst einen Bagger besetzen und festgenommen | |
| würde – wärst du dann sauer oder stolz auf mich? | |
| Ich würde das unterstützen und hoffen, dass du nicht verletzt wirst. | |
| [2][Die Baumbesetzerinnen und -besetzer] verdienen Respekt, sie sind kleine | |
| Helden. Auch wir haben Regeln gebrochen, ziviler Ungehorsam war Bestandteil | |
| unserer politischen Strategie. | |
| Lange hat es mich eher angeödet, dass es bei uns zu Hause ständig um | |
| Politik ging – es war das, worüber die langweiligen Erwachsenen reden. | |
| Irgendwann ist es dann umgeschlagen. | |
| An welchem Punkt? | |
| Als ich angefangen habe, mich von mir aus mit Gerechtigkeitsfragen | |
| auseinander zu setzen, Feminismus mir viele Fragen beantworten konnte und | |
| ich politisch Aktive in meinem Alter kennenlernte. Inzwischen glaube ich, | |
| ich habe von dir einen gewissen Pragmatismus in politischen Fragen und das | |
| Selbstverständnis, etwas verändern zu können, mitgenommen. Was meinst du | |
| denn, wie du mich politisch geprägt hast? | |
| Politik war jedenfalls kein Erziehungsziel. Sie spielte natürlich im Alltag | |
| eine Rolle, vielleicht hat dich das geprägt. Viel hängt auch davon ab, wem | |
| man außer den Eltern in welcher Lebensphase begegnet und was dadurch in | |
| einem wachgerufen wird. | |
| Hat es politisch etwas für Dich verändert, Kinder zu haben? | |
| Ja, Kinder verändern sehr viel. Und die Verantwortung für sie verändert das | |
| Verhältnis zur Welt. | |
| Was lernst Du heute von meiner Generation? | |
| Meine Antworten auf grundsätzliche Fragen noch mal neu anzuschauen. Und | |
| auch zu sehen, dass persönliche Begegnungen und enge Freundschaften nicht | |
| ihren Platz und Sinn verloren haben, auch wenn ihr vorwiegend digital | |
| unterwegs seid. | |
| Und was lernst du von mir? | |
| Von dir habe ich vor allem auch gelernt, die Bedeutung von Feminismus neu | |
| zu sehen. Als Denkrichtung, die die Lebenswirklichkeit von Frauen als | |
| System in den Mittelpunkt stellt. Hoffentlich verträgt sich das mit Grün | |
| weiterhin und immer besser. | |
| Wenn du über die Gründungszeiten der Grünen sprichst, kommen fast nur | |
| Männer vor – außer Petra Kelly. Woran liegt das? | |
| Einzelne Frauen wie Petra Kelly, Helga Vohwinkel, Gerda Degen und Eva | |
| Quistorp haben in den Gründungsjahren eine sehr wichtige Rolle gespielt. | |
| [3][Petra Kelly war eine Ausnahmepersönlichkeit], die zentrale grüne | |
| Symbolfigur der Gründerjahre. Aber strukturell waren die Grünen zunächst | |
| sehr männlich. Die Frage der Gleichberechtigung war zwar auch am Anfang ein | |
| wichtiges Thema, aber die 50-Prozent-Mindestquote für Frauen kam erst ein | |
| paar Jahre später. Weil wir sie brauchten, nicht, weil alle sie damals | |
| wollten. | |
| Es wird ja oft das Gegenargument gebracht, Frauen wollten nicht nur wegen | |
| der Quote eine Position bekommen, sondern aufgrund ihrer Qualifikation. Ich | |
| dagegen finde die Quote gut. Wie stehst du dazu? | |
| Ich war zunächst skeptisch. Wir hatten viele qualifizierte Frauen dabei und | |
| ich meinte: Wieso soll sich Qualität nicht durchsetzen? Aber dann wurde mir | |
| schnell klar, dass die Machtstrukturen auch in unserer Partei so männlich | |
| geprägt sind, dass wir die Quote brauchen. Meine Generation ist in eine | |
| männerdominierte Welt hineingeboren, nicht vergleichbar mit heute. Ich | |
| denke, die Quote wird noch lange gebraucht. Und wo es sie noch nicht gibt, | |
| wird sie kommen, hoffe ich. | |
| Als die Grünen 1998 an die Bundesregierung kamen, war ich ein Jahr alt. An | |
| Joschka Fischer habe ich kaum noch Erinnerungen. Warum hat man euch | |
| gewählt? | |
| Die Öffentlichkeit hatte die ewige Regierung Kohl satt. Die zentralen | |
| gesellschaftsökologischen Fragen wurden ignoriert: Wie geht es weiter mit | |
| Energie, Landwirtschaftspolitik, der Verseuchung der Böden, | |
| Verkehrspolitik, Chancengleichheit – da gab es nichts, was den Problemen | |
| angemessen gewesen wäre. Mit einer Ausnahme – das war die Europapolitik. | |
| Als ihr 2005 wieder aus der Bundesregierung abgewählt wurdet, verschlang | |
| ich gerade den zweiten Harry-Potter-Band. Von den vierzig Jahren seit der | |
| Gründung wart ihr nur sieben Jahre an der Regierung. Wie ist es, so lange | |
| in der Opposition zu sein? | |
| Es macht mehr Spaß zu regieren, weil man unmittelbar mitgestalten kann | |
| durch neue gesetzliche Rahmenbedingungen – auch wenn Demokratie ohne | |
| Opposition keine ist. | |
| Es heißt ja, die Grünen seien offener geworden, was Koalitionspartner | |
| angeht. Heißt offener nicht einfach angepasster? | |
| Offener heißt, wir haben verstanden, dass wir nicht als Einzige wissen, was | |
| der richtige Weg ist. Die Grünen kamen lange hochnäsig daher. Und in | |
| einigen wichtigen Feldern wie innere Sicherheit oder wirtschaftliche | |
| Stabilität hatten wir zu lange weiße Flecken. Offenheit bedeutet, andere | |
| Menschen nicht mit Glaubenssätzen zu ersticken, sondern sie in ihrer | |
| Biografie, Erfahrung und Perspektive ernst zu nehmen. | |
| Braucht man nicht vielleicht ein wenig Hochnäsigkeit, um Haltung zu | |
| bewahren? | |
| Man braucht Überzeugung, Selbstbewusstsein und vor allem muss man Menschen | |
| mögen. Auch jene, die uns nerven, anders denken, andere Voraussetzungen | |
| hatten oder aus einer anderen Kultur kommen. | |
| Du bist Schwarz-Grün nicht abgeneigt. Schon 1987 hast du eine mögliche | |
| Koalition mit der CDU ins Spiel gebracht – und hast dafür von der Partei | |
| auf den Deckel bekommen. Warum wolltest du das schon damals? | |
| Auch weil wir Gespräche mit der CDU verweigert haben, haben wir die CDU zu | |
| lange in die Arme der FDP getrieben, ohne die sie keine Machtoption hatte – | |
| außer in der großen Koalition. Das war absehbar. | |
| Nach der letzten Bundestagswahl wurde dann Jamaika verhandelt. Was hat sich | |
| verändert? | |
| Wir haben Feindbilder beiseite gelegt, die Energiequelle waren Sachfragen | |
| und unbedingter Gestaltungswille. Es war und ist schwer, die Regierungen | |
| der letzten 15 Jahre zu ertragen. | |
| Die Grünen haben heute doch ein neues Feindbild, die AfD. | |
| Unsere Haltung gegenüber der AfD ist nicht feindbildgeprägt, sondern | |
| inhaltlich substantiell begründet. Dialogbereitschaft heißt ja nicht, dass | |
| wir politische Gegner als solche nicht ernst nehmen. Das wäre fatal. Die | |
| AfD muss jedoch politisch bekämpft und nicht durch Feindbilder gestärkt | |
| werden. | |
| Die Grünen haben sich also von ihrer Feindbildrhetorik entfernt, und | |
| deswegen waren Koalitionsverhandlungen mit FDP und CDU möglich. | |
| Was ja leider nicht geklappt hat. | |
| Du hättest das gern gesehen, oder? | |
| Ja, sehr. | |
| Meinst du nicht, dass die Grünen zu viel hätten aufgeben müssen? Es hat | |
| sich ja schon in den Koalitionsverhandlungen angedeutet, dass sie sehr | |
| flexibel wurden. | |
| Was heißt aufgeben? Parteien sind keine Glaubensgemeinschaften. Sie sind | |
| Mittel zum Zweck. Sie müssen Aufgaben lösen und wenn sie es nicht tun, | |
| braucht man sie nicht. Es braucht schon sehr überzeugende Argumente, | |
| anderen die Gestaltungsmacht zu überlassen. Dabei die eigene Identität zu | |
| beschwören, reicht nicht. | |
| Die Grünen sind heute ziemlich erfolgreich, in den Umfragen liegen sie | |
| momentan bundesweit bei etwa 22 Prozent. Die Parteichefs Robert Habeck und | |
| Annalena Baerbock kommen gut an. Ist das nur ein Hype? | |
| Die Klimakrise stellt Aufgaben, deren Lösung viele uns Grünen am ehesten | |
| zutrauen. Es ist ein Glück zwei Vorsitzende zu haben, die öffnend, fragend, | |
| ernsthaft überzeugend unterwegs sind. Nachhaltig leben und handeln zu | |
| müssen ist kein Hype, die Aufgaben eines sozialökologischen Wandels würden | |
| ohne uns ja nicht weniger. | |
| Du redest immer noch von „Wir“, wenn du über die Grünen sprichst. | |
| Ja, das hat einfach mein Leben stark geprägt, vom ersten Tag der Gründung | |
| an. | |
| In meinem Umfeld heißt es oft „Die Grünen waren mal cool“. Gerade für ju… | |
| Leute. Damals fand man den zivilen Ungehorsam cool, und dass die Grünen | |
| gegen vieles waren. Jetzt sind sie vielleicht eher für etwas. | |
| Die Entwicklungsgeschichte der Grünen ist ein Prozess von Anti zu Pro. Eine | |
| zivilgesellschaftliche Bewegung wurde zu einer Partei, dann lernten wir | |
| Opposition, dann regieren. | |
| Wieso sind die Grünen dann nicht mehr cool? | |
| Sie sind vielleicht für manche nicht mehr cool, weil wir jetzt in der | |
| Wirklichkeit leben. Für mich sind die Grünen bahnbrechend, nicht weil sie | |
| cool sind, sondern weil sie sich den Zukunftsfragen stellen. Und das kann | |
| man cool finden oder auch nicht. Aber man sollte schon, denke ich. Oder? | |
| 28 Sep 2019 | |
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