# taz.de -- Linke Demonstration in Essen: Gegen Rechtsruck und Rassismus | |
> In Essen macht sich eine selbsternannte Bürgerwehr aus Neonazis, | |
> Hooligans und Rockern breit. Ein buntes Bündnis hat sich ihnen in den Weg | |
> gestellt. | |
Bild: Klare Ansage: Die Essener Nazis wollen den Stadtteil Steele für sich | |
Essen taz | Die aufgepumpten, nicht selten stiernackigen und glatzköpfigen | |
Muskelmänner nennen sich selbst „Steeler Jungs“. Fast jeden Donnerstag | |
gegen 18 Uhr tauchen sie auf dem zentralen Grendplatz im Stadtteil Steele | |
im Essener Süden auf. Oft schweigend patrouillieren sie in Gruppen von mal | |
50, mal 100 Leuten durch die Straßen, tragen uniformartig das gleiche | |
T-Shirt. „Steeler Jungs sind immer da“, steht darauf. | |
Der Spruch ist eine Drohung. Denn die Truppe ist eine üble Mischung aus | |
[1][Neonazis] und Rockern. Die wollten „den Eindruck erwecken, dass | |
Flüchtlinge generell eine Bedrohung darstellen und der demokratische | |
Rechtsstaat nicht handlungsfähig sei“, schreibt der nordrhein-westfälische | |
Verfassungsschutz in seinem in Juni veröffentlichten [2][Jahresbericht]. | |
Nicht umsonst wurde auf einer Versammlung der „Steeler Jungs“ ausgerechnet | |
am 21. März, dem Internationalen Tag gegen Rassismus, der Hitlergruß | |
gezeigt. | |
Der Kern des Haufens kennt sich seit Jahren aus der rechten Hooligan-Szene | |
des Fußballvereins Rot-Weiss Essen – und ist in Neonazi-Kreisen bestens | |
vernetzt: Erst Anfang August tauchte bei einem Aufmarsch in Steele nicht | |
nur der Dortmunder Rechtsextremist Siegfried Borchardt, genannt „SS-Siggi“, | |
auf: Vor Ort waren auch Michael Brück, NRW-Landesvize der extremistischen | |
Kleinstpartei „Die Rechte“ und der Landeschef der NPD, Claus Cremer. | |
„Die Situation ist ernst, wirklich ernst“, sagt die Rechtsanwältin Irene | |
Wollenberg, die mit Unterstützung der evangelischen | |
Friedenskirchen-Gemeinde die Initiative „Steele bleibt bunt“ mitgegründet | |
hat. „Wir werden beobachtet, bis nach Hause verfolgt. Selbst in unsere | |
Wohnungen wird hineinfotografiert.“ Mitte August wurden zwei unpolitische | |
Jugendliche in den Treffpunkt der „Steeler Jungs“, die „Sportsbar 300“ | |
gelockt – und dann durchsucht und geschlagen, weil sie „links“ ausgesehen | |
haben sollen. | |
## Der Nazi-Chef ist auch Motorrad-Rocker | |
Betrieben wird die Kneipe vom Anführer der rechtsextremen Truppe, dem | |
muskelbepackten Umzugsunternehmer Christian „Bifi“ Willing. Auf das | |
gegenüberliegende Kulturzentrum Grend wurde sogar scharf geschossen – | |
Willing ist auch „Präsident“ des Rockerclubs Bandidos in der Nachbarstadt | |
Bottrop. | |
Trotzdem glaubten noch immer manche in Steele, Willings Truppe sei | |
„unpolitisch“, sagt Christian Baumann von Bündnis Essen stellt sich quer. | |
„Die tun doch nichts, tragen sogar alten Leuten die Einkaufstaschen hoch“, | |
höre er noch immer. Dabei drohe im Essener Süden die Entstehung eines | |
Nazi-Kiezes wie schon im bundesweit bekannten Dortmunder Stadtteil | |
Dorstfeld, [3][wo Rechtsextreme einen ganzen Straßenzug okkupiert haben]. | |
Doch die Aktivist*innen von Essen stellt sich quer und Steele bleibt bunt | |
wollen das nicht hinnehmen. Zusammen mit der Initiative Aufstehen gegen | |
Rassismus hatten sie am Samstag unter dem Motto [4][„Der Pott bleibt | |
unteilbar“] zu einer Demonstration gegen den Rechtsruck aufgerufen. | |
Gerechnet haben sie mit etwa 1.000 Teilnehmer*innen, gezählt wurden 2.500. | |
„Wir sind mehr“, stand auf den Transparenten der Protestierenden, darunter | |
auch viele Ältere aus dem bürgerlichen Spektrum. Stimmung machten die Band | |
Compania Bataclan, die Punkrocker von Männi und die Rapper King Louie und | |
Canuto. Grüne, Linke, Gewerkschafter waren ebenso vor Ort wie | |
antirassistische Initiativen. „Faschismus ist ein Verbrechen“ stand auf | |
ihren Plakaten und: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur | |
auf“. | |
## Die Polizei lässt den Rechten freie Hand | |
Denn in der rechtsextremen Szene finden die „Steeler Jungs“ nicht nur in | |
Essen Nachahmer. In einem Nachbarstadtteil tauchen jetzt „Huttroper Jungs“ | |
auf. In Düsseldorf ist die selbsternannte Bürgerwehr „Bruderschaft | |
Deutschland“ auf den Straßen, in Köln nennen sich die rechten Schläger | |
„Begleitschutz“. Trotzdem verharmlose zumindest Essens Polizei die | |
Nazitrupps noch immer, klagt Christian Baumann von Essen stellt sich quer. | |
Zwar wurde ein Stadtteilpolizist, der im Februar ganz offen mit den | |
„Steeler Jungs“ freundschaftlich auf Fotos posierte, versetzt. Dennoch | |
vermittle die Polizei den Eindruck, das größte Problem Steeles seien die | |
Gegendemonstrant*innen: „Wenn die Rechtsextremen aufmarschieren, werden sie | |
von vier Dorfsheriffs begleitet“, sagt Baumann. „Wenn wir demonstrieren, | |
rückt eine Einsatzhundertschaft an.“ | |
Gezeichnet werde so ein Bild, nach dem die „Steeler Jungs“ friedlich, der | |
bürgerliche Widerstand gegen die Rechtsextremen dagegen gewaltbereit sei. | |
Dabei klagen Vertreter*innen der Initiative Aufstehen gegen Rassismus, sie | |
seien selbst am Rand der Demonstration am Samstag von „Steeler Jungs“ | |
angepöbelt worden. Die mit Beamt*innen selbst aus Baden-Württemberg | |
verstärkte Polizei sei trotzdem [5][nur langsam und zögerlich | |
eingeschritten]. | |
Die Proteste werden deshalb weitergehen: Am Mittwoch ist ein Friedensgebet, | |
am Donnerstag eine Aktion von Aufstehen gegen Rassismus geplant. Auch die | |
autonome Szene mobilisiert. | |
16 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Neonazis/!t5008534/ | |
[2] https://www.im.nrw/system/files/media/document/file/VS_Bericht_2018.pdf | |
[3] /Rechtsextremismus-im-Ruhrgebiet/!5595208&s=nazistra%C3%9Fe/ | |
[4] https://essq.de/index.php/2019/09/15/buendnisrede-der-pott-bleibt-unteilbar/ | |
[5] https://www.facebook.com/AgREssen/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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