# taz.de -- Tunesien vor der Wahl: „Ich verstehe die Angst nicht“ | |
> Ein Islamist will Präsident von Tunesien werden. Was Abdelfattah Mourou | |
> verändern will und warum seine Partei am demokratischen Prozess | |
> teilnimmt. | |
Bild: Konservativer Shootingstar: Ennahda-Kandidat Abdelfattah Mourou | |
taz: Herr Mourou, für die [1][Präsidentschaftswahl im September] stellt | |
Ennahda zum ersten Mal einen eigenen Kandidaten auf. Warum treten Sie an? | |
Abdelfattah Mourou: Wir sind eine Partei wie jede andere und können ebenso | |
vom allgemeinen Wahlrecht Gebrauch machen. Wir sind bei früheren | |
Präsidentschaftswahlen nicht angetreten, weil die Lage es nicht erlaubte. | |
Daher haben wir auf Parlamentsarbeit gesetzt, aber heute hat sich das | |
geändert. Im Übrigen hat der Präsident keine exekutive Macht, diese wird | |
vom Premierminister ausgeübt. Ich verstehe daher die Angst nicht, dass die | |
Islamisten das Präsidentenamt übernehmen könnten. | |
Auch bei der Parlamentswahl im Oktober dürfte Ihre Partei erneut stärkste | |
Kraft werden. Ennahda könnte also eine sehr dominante Rolle in Tunesien | |
spielen. | |
Wie läuft es in parlamentarischen Systemen ab? Wer im Parlament die | |
Mehrheit hat, in dessen Händen liegt die exekutive Macht. Das soll für | |
alle gelten, nur nicht für Ennahda? Alles, was wir verlangen, ist die | |
Anwendung derselben Prinzipien. Es ist kein Problem, wenn Ennahda den | |
Präsidenten stellt und eine parlamentarische Mehrheit hat. Wir müssten | |
sowieso mit zwei anderen Parteien koalieren. Und ein Präsident hat ohnehin | |
zwei Dinge außen vor zu lassen: seine Familie und seine Partei. Der | |
Präsident ist nicht da, um seine Partei zu repräsentieren. | |
Zur Präsidentschaftswahl treten nicht nur Sie, sondern gleich mehrere | |
ehemalige Ennahda-Politiker an, zum Beispiel Hamadi Jebali … | |
Er ist nicht mehr Teil von Ennahda. Auch Hatem Boulabiar ist kein Mitglied | |
Ennahdas. | |
Seit zwei Monaten! | |
Ja, aber das heißt, dass er nicht als Ennahda-Mitglied antritt. Der | |
Ennahda-Kandidat bin ich. | |
Dennoch unterstützen vier Ennahda-Abgeordnete Boulabiars Kandidatur. Hat | |
Ennahda mit Spaltungen zu kämpfen? | |
Wenn man zu dem Schluss kommt, dass man mit dieser oder jener Person | |
befreundet ist, dann unterstützt man sie eben. Das heißt aber nicht, dass | |
der Ennahda-Kandidat nicht unterstützt wird. Meine Kandidatur wurde (bei | |
der parteiinternen Wahl, Anm. d. Red.) mit 98 Stimmen unterstützt, bei | |
keiner Gegenstimme und nur drei Enthaltungen. Das ist fast einstimmig, so | |
etwas hatten wir noch nie. | |
Wie sieht Ihr Wahlprogramm aus? | |
Ich will versuchen, Missstände in Tunesien zu beheben. Es ist nicht der | |
Präsident, der das machen muss, aber er muss einer Kommission vorstehen, | |
deren Aufgabe es sein sollte, die verheerenden Folgen des Wahlgesetzes zu | |
studieren. Wir haben ein Wahlgesetz, mit dem man nicht regieren kann (Anm. | |
d. Red.: Aufgrund niedriger Hürden für den Einzug ins Parlament ist dieses | |
stark zersplittert, was Mehrheitsfindungen erschwert). Auch deshalb haben | |
wir das Verfassungsgericht immer noch nicht eingesetzt. | |
Zweitens müssen wir die Missstände in Südtunesien beheben. Wir werden dort | |
von bewaffneten Gruppen angegriffen. Dieses Problem zu beheben ist aber | |
nicht nur Aufgabe der Armee. Im Süden gibt es Tausende Jugendliche ohne | |
Arbeit. Wir müssen entlang der Grenzen Unternehmen gründen. Das ist | |
eigentlich Aufgabe der Regierung. Aber wenn das durch den Präsidenten | |
mitgesteuert und gestützt wird, dann können wir Institutionen einrichten, | |
die diese Jugend, ihre Arbeit, die Stabilität des Landes und die Sicherheit | |
unserer Grenzen retten können. Die Jugend nach Europa zu schicken, wird die | |
wirtschaftlichen und sozialen Probleme nicht lösen. Wir müssen die Jugend | |
hier stabilisieren. Allerdings kann Tunesien das nicht alleine. Europa muss | |
uns dabei helfen. | |
31 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Sofian Philip Naceur | |
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