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# taz.de -- Tunesien vor der Wahl: Neue Grabenkämpfe in Sicht
> Erst Präsidentschafts-, dann Parlamentswahl: In Tunesien könnten die
> gemäßigten Islamisten der Ennahda ihren Einfluss ausbauen.
Bild: Unterstützer des Premierministers freuen sich über dessen Ankündigung,…
Tunis taz | Zu einem veritablen Politkrimi entwickelt sich die anstehende
Präsidentschaftswahl in Tunesien schon im Wahlkampf. Das Rennen um den
Einzug in den Präsidentschaftspalast in Tunis ist völlig offen, die Liste
an Favoriten lang. Sollte in der ersten Runde am 15. September kein
Bewerber die absolute Mehrheit erzielen, könnte sich in der Stichwahl ein
Duell wiederholen, das an Tunesiens politische Grabenkämpfe zwischen
Islamisten und Säkularen [1][seit der Massenrevolte von 2011] erinnert.
Schon der erste Wahlgang im September wird spannend, weil aus allen
politischen Lagern mehrere hochkarätige Bewerber auf dem Stimmzettel
stehen. Im gemäßigt islamistischen, der Muslimbruderschaft zugerechneten
Spektrum treten neben [2][Abdelfattah Mourou, dem Kandidaten der
Ennahda-Partei], auch der ehemalige Regierungschef Hamadi Jebali und der
erst im Juli aus der Partei ausgetretene Hatem Boulabiar an.
Auch aus der chancenlosen Linken treten mehrere Kandidaten an und im
wirtschaftsliberal-säkularen, antiislamistischen Lager tummeln sich gleich
fünf ehemalige Führungsköpfe der Partei Nidaa Tounes des im Juli
verstorbenen Ex-Präsidenten Beji Caid Essebsi.
Klarer Favorit für den Einzug in die Stichwahl ist derweil der ehemalige
Nidaa-Politiker und umstrittene Mehrheitseigner des Fernsehsenders Nessma
TV, Nabil Karoui, der sich als Volkstribun gebärdet und seinen ohne Lizenz
arbeitenden Sender unverblümt für politische Zwecke einspannt, gleichzeitig
aber in einem Sumpf von Korruptionsvorwürfen versinkt.
In der vergangenen Woche erst war Karoui auf Grundlage einer Anklage wegen
Geldwäsche und Steuerhinterziehung verhaftet worden, darf aber nach
aktueller Sachlage trotzdem kandidieren – auch wenn er hinter Gittern
sitzt.
## Ennahda als stabilste politische Kraft
Die von persönlichen Ambitionen und erbitterten Feindschaften unterfütterte
Selbstzerfleischung von Nidaa Tounes dürfte für den moderat auftretenden
Mourou von Vorteil sein. [3][Seine Ennahda], die derzeit stärkste Kraft im
Parlament, erwies sich in der letzten Legislaturperiode als stabilste
politische Kraft im Land. Zwar wurde auch die Ennhada-Fraktion durch
abwandernde Parlamentarier dezimiert, jedoch deutlich weniger heftig als
Nidaa Tounes, die seit 2014 regelrecht auseinandergefallen ist.
Unklar ist jedoch, wie loyal Ennahdas Basis zur Partei steht und ob Mourou
mit seiner auf Überparteilichkeit setzenden Rhetorik auch in andere
Wählerschichten vorzudringen vermag. Die Angst vor einer zu dominanten
Ennahda in Tunesiens Politik bleibt bestehen. Der Partei wird bis heute
unterstellt, sich pragmatisch zu geben, aber eigentlich eine deutlich
konservativere Agenda zu verfolgen.
Vor allem in linken und liberalen Kreisen wird ihr vehement misstraut.
Dennoch sieht es danach aus, dass Ennahda ihren politischen Einfluss in den
kommenden Monaten wird ausbauen können. Auch bei der Parlamentswahl, die
bereits im kommenden Oktober ansteht, dürften die Islamisten stark
abschneiden.
Die Bevölkerung blickt dem im September anstehenden Urnengang derweil
ernüchtert entgegen. Politische Ränkespiele und ein nicht enden wollendes
Kompetenzgerangel zwischen Regierungschef Youssef Chahed und Ex-Präsident
Essebsi haben nicht grundlos den Eindruck entstehen lassen, Tunesiens
politische Klasse sei vor allem mit sich selbst beschäftigt, während
dringende soziale und wirtschaftliche Probleme in marginalisierten Teilen
des Landes kaum angepackt werden. Auch Tunesiens neu gewählte politische
Führung dürfte daran wenig ändern, davon sind viele Menschen überzeugt.
31 Aug 2019
## LINKS
[1] /Tunesien/!t5010674
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[3] /Ennahda-Partei/!t5021539
## AUTOREN
Sofian Philip Naceur
## TAGS
Islamismus
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