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# taz.de -- Mobbingvorwürfe gegenüber Lush: Noch mehr Tränen hinterm Schaum
> Mehr ehemalige Mitarbeiter*innen des Kosmetikherstellers Lush klagen über
> unerträgliche Arbeitsbedingungen. Das Unternehmen selbst äußert sich
> nicht.
Bild: Fragil – beim Seifenhersteller Lush zerplatzen Träume vom guten Job wi…
Lush feiert: die Wiedereröffnung seines Freiburger Ladens; seine Produkte,
die für „schaumiges Schwabbeln“ sorgen; den Berliner CSD, an dem der
Hersteller naturnaher Kosmetik eine Anti-Hatespeech-Initiative sponsert.
[1][Zu den Recherchen der taz] schweigt das Unternehmen hingegen
beharrlich. Nur eine dürre Standardantwort erhalten Nutzer, die in den
sozialen Medien nachfragen: „Wir bieten eine flächendeckende Betreuung
unserer Filialen an und gehen den im Artikel dargestellten Vorwürfen
derzeit nach.“
Gespräche mit weiteren ehemaligen Angestellten aus anderen Filialen, die
sich nach dem Erscheinen gemeldet haben, erhärten unterdessen den Eindruck,
es handele sich bei den beschriebenen Zuständen um mehr als Einzelfälle.
Auch sie berichten von unablässigem Verkaufsdruck, [2][Mobbing] und Angst.
Nicht nur die große Ähnlichkeit der beschriebenen Fälle erstaunt dabei;
sondern auch der Kontrast zwischen dem Bild, das Lush als sich vorbildlich
gebende Firma mit einer regelrechten Fan-Szene nach außen darstellt, und
den Zuständen im Inneren. Nicht einmal die offen vermarktete
LGBT*-Solidarität scheint dabei gewährleistet – zumindest nicht für
diejenigen, die in der falschen Filiale anfangen. Das Problem ist wie die
Produkte: hausgemacht. Denn wer sich unwohl fühlt in einem Unternehmen, so
ethisch einwandfrei, vegan und fairtrade wie Lush – den darf es eigentlich
nicht geben. Oft verschwindet so jemand auch bald.
Moritz ist zunächst begeistert von der lockeren Stimmung im Team, hat keine
Scheu im Kund*innenkontakt, kann gut reden. „Die Verkaufsstrategien gingen
mir allerdings von Anfang an schon auf die Nerven. Ich habe eigentlich
immer nur das angepriesen, worauf die Leute selber auch Bock hatten. Wenn
du schon merkst, dass jemand was nicht will, dann verschreckst du ihn so
doch eher noch.“ Aber die Filialleiterin habe darauf bestanden, dass er und
seine Kolleg*innen die Kund*innen wieder und wieder ansprachen. „Wer das
nicht streng befolgt hat, den hat sie angeschrien, auch offen im Laden.“
Viele Mitarbeiter*innen hätten Stresssymptome gezeigt, Depressionen,
Burn-out. Elf seien gegangen – innerhalb von knapp einem Jahr.
Fortbildungen, Schulungen über Produkte habe es nicht gegeben. „Man musste
sich das zu Hause erarbeiten.“
## Sadisten als Manager
Moritz ist trans. Für Arzt- und Operationstermine habe ihm die Chefin nicht
freigegeben. Im Gegenteil: „Da kommt wieder das Mädchen bei dir raus“, so
ihr Spruch, als er nach einer ihrer Tiraden angefangen habe zu weinen.
Überhaupt oft Bemerkungen „unterhalb der Gürtellinie“. Nachdem das Team an
die Zentrale in Berlin geschrieben habe, sei ein gemeinsamer
Gesprächstermin mit einem weiteren Manager vereinbart worden – „damit ihr
alle mal zusammen quatscht“. Mehr könne man nicht machen. Geändert habe
sich danach nichts. „Nach meinem Ausscheiden wurde ich dann sogar in den
offiziellen Briefen von Lush mit ‚Frau‘ tituliert“.
„Warum stellen die denn so viele Sadisten als Manager ein?“, fragt
Charlotte, die in derselben Filiale eine Ausbildung zur
Einzelhandelskauffrau absolviert hat – für schlappe 480 Euro
Ausbildungsgehalt im ersten Lehrjahr. „Die Starken wurden bevorzugt. Bei
wem meine Chefin eine Schwachstelle entdeckt hat: Der war unten durch.
‚Wenn mir jemand nicht gefällt, da finde ich meinen Weg, wie der wegkommt‘,
hat sie einmal vor allen im Laden gesagt.“ Viele hätten im Büro geweint
oder auf dem Klo; aber bloß nicht zu oft, nicht zu lange, sonst sei man
wiederum dafür unter Beschuss geraten. Also wieder ab ins grelle Licht und
den blumigen Duft, Seife verkaufen. Am Schluss sei Charlotte jeden Tag mit
Bauchschmerzen zur Arbeit gefahren.
So auch Lea, die ein halbes Jahr in einer anderen Stadt bei Lush verkauft
hat und nach dieser Probezeit nicht übernommen wurde. Zu Beginn sei sie
noch froh gewesen über die informelle Arbeitsatmosphäre: „Du musst nicht
höflich sein, keine Etikette einhalten.“ Aber nach einigen Wochen habe sie
gemerkt, dass die Chefin einige Mitarbeiter*innen deutlich besser
behandelte als andere, außerdem oft spontan Arbeitspläne änderte ohne
Rücksicht auf die Betroffenen. Einmal habe Lea nach einer solchen Änderung,
die eine lange gebuchte Reise verhindert hätte, einen Nervenzusammenbruch
erlitten und eine Stunde im Pausenraum geweint. Einziges Anliegen ihrer
Chefin daraufhin: dass sie sich aus dem Zeiterfassungssystem abmelde. „Ich
habe mich noch nie so wertlos gefühlt“, meint Lea.
„Man fängt an, seine Persönlichkeit zu verändern“, berichtet Janine. Sie
habe eigentlich ihre Depressionen überwunden gehabt. Bei Lush sei es
innerhalb von Monaten so schlimm geworden, dass sie sich krankschreiben
ließ. Wieder im Laden, habe sie eine ganz eigene Art der Aggressionsabfuhr
empfohlen bekommen: „Es gab mal einen Ratschlag von einer Kollegin: ‚Wenn
du einen unfreundlichen Kunden hast, lass ihn nicht unter hundert Euro aus
dem Laden.‘ Aber was habe ich denn selber davon?“ Unter den Kolleg*innen
lästere jede*r mit jede*m und verpetze einander bei der Chefetage, sie
vertraue fast niemandem mehr. „Und sobald jemand Macht bekommt, also einen
höheren Posten, ist die Person ohnehin nur noch ekelhaft im Umgang.“
## Spaß, Lockerheit und gute Laune
Begreift man die einzelnen Lush-Filialen als teilautonome
Herrschaftsbereiche, dann ist es erhellend zu sehen, unter welchen
Umständen die Arbeit dort auch angenehm sein kann – und für wen. Denn Lush
ist ein topmodernes Dienstleistungsunternehmen, das Kund*innen nicht nur
Produkte verkauft und den Distinktionsgewinn, den diese versprechen;
sondern auch Aufmerksamkeit: umsorgt und eingecremt zu werden. „Viele
Stammkunden haben uns bedauert, wollten bald nicht mehr von unserer Chefin
bedient werden – aber sind trotzdem immer wieder gekommen“, erzählt Moritz.
Für diesen fesselnden Service verlangt Lush viel von seinen
Verkäufer*innen, nämlich ihre Persönlichkeit. Spaß, Lockerheit und gute
Laune sollen als Arbeitsressource eingesetzt werden – natürlich nur
freiwillig und ja auch zum eigenen Vorteil. Manchen gelingt das besser und
anderen eben schlechter. Das System produziert beides: Gewinner*innen und
Verlierer*innen. Wo getadelt wird, muss auch gelobt werden.
Sandra zum Beispiel. Sie erlebte kaum Druck, am Anfang zumindest war das
so: „Ich hatte großes Glück, weil mein Geschäft in Heidelberg lag, mitten
in der Fußgängerzone. Da wohnen wohlhabende Leute, ständig kamen Touristen
mit dicken Konten rein, sodass wir immer gute Verkaufszahlen hatten und
diesen ganzen Zinnober nicht mitmachen mussten, also dieses Zutexten. Der
Filialleiter hat uns da den Rücken freigehalten. Gegen seine Vorgesetzten
konnte er das recht charmant durchsetzen, vor allem ja auch, weil die
Zahlen stimmten.“
Als die Bereichsleitung gewechselt sei, habe sich das geändert. „Da fing es
an mit Verkaufs-‚Competitions‘, bei denen einen Tag lang jeder möglichst
viel von einem bestimmten Produkt verkaufen sollte, um ein Geschenk zu
bekommen, oder damit, dass besonders lange Kassenzettel im Pausenraum
aufgehängt wurden. Auf Kollegen, die nicht so gut abgeschnitten haben,
wurde psychischer Druck gemacht. Und immer mehr verdeckte Einkäufer kamen.
Damals fand ich das gar nicht so schlimm, aber mittlerweile denke ich mir:
Das hat ja schon was von Überwachung.“
Innerhalb des Systems gibt es Nischen, das hat auch Yannik aus Oldenburg
erfahren. Auch er hat sich alleingelassen gefühlt damit, die Produkte und
Inhaltsstoffe zu lernen. Aber er habe zu den „Lieblingen“ seiner Chefin
gehört. „Andere hat sie angeschrien oder ihnen gesagt: ‚Ich mag deine Art
nicht‘; mir nie.“ Dafür habe sie ihm ungefragt Details aus ihrem
Privatleben erzählt und nach seinem gefragt, vor ihm über Aussehen und
Verkaufsverhalten seiner Kolleg*innen gelästert. „Die, die rausgedrängt
wurden, hatten keine Chance, sich zu wehren. Mir ist das heute unangenehm,
dass ich da nicht klar Stellung gegen bezogen habe. Ich wollte es mir
damals mit der Chefin nicht verscherzen. Und es gab auch keinen klaren
Beschwerdekanal. Selbst als ich einmal Kontakt zur Personalabteilung haben
wollte, um nach einer Gehaltserhöhung zu fragen, habe ich den nie
bekommen.“
Dafür habe er sich auf seine Art mehr Geld beschafft. „Vor allem bei
älteren Kundinnen habe ich mich ein bisschen prostituiert, also: denen viel
Zeit gewidmet, sie auch mal an der Hand berührt, alles erklärt, Witze
gemacht. Die mochten das, wenn die so ein junger Mann umschwärmt hat. Und
wir bekamen ja einen Bonus, wenn wir viel verkauft hatten.“ Wer sich unwohl
fühlt bei Lush: Den darf es eigentlich nicht geben. Es ist wie mit den
Produkten: Die Blasen platzen, und bliebe nicht dieser Geruch, würde man
bald nicht mehr ahnen, dass da was war.
Anmerkung: Alle Gesprächspartner*innen außer Sandra und Yannik heißen in
Wirklichkeit anders, wollen aber zu ihrem Schutz anonym bleiben.
1 Sep 2019
## LINKS
[1] /Seifenhersteller-Lush-als-Arbeitgeber/!5610203
[2] /Mobbing-in-Hostel-Kette/!5592966
## AUTOREN
Adrian Schulz
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