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# taz.de -- Nachhaltige Unternehmen: Mehr als nur Privateigentum
> Das Berliner Start-up Ecosia hat sich einem übergeordneten Zweck
> verschrieben. Doch wie stellt es sicher, dass das auch so bleibt?
Bild: Ecosia pflanzt Bäume und druckt coole Sticker, andere bauen aus Bäumen …
Wer fünfundvierzig Mal etwas im Internet sucht, kann damit einen Baum
pflanzen. Das verspricht die Suchmaschine Ecosia, ein junges Unternehmen
aus Berlin. 2009 gegründet, beschäftigt es aktuell 40 Mitarbeiter. Das
Unternehmen folgt also einem übergeordneten Zweck: Es verspricht den
NutzerInnen, mit [1][Werbeeinnahmen] aus etwa 45 Suchanfragen in
Deutschland je einen Baum zu pflanzen, in verschiedenen Regenwaldregionen
der Welt.
Im Juni 2019 wurden Projekte in Burkina Faso, Äthiopien und Kolumbien
finanziert. „Unsere Vision ist, dass wir unser Bestmögliches dazu
beitragen, den Klimawandel aufzuhalten und die Biodiversität unseres
Planeten zu bewahren“, sagt Génica Schäfgen, eine der Führungskräfte
Ecosias.
Ecosia ist eine GmbH – eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die
Rechtsform existiert in Deutschland seit 127 Jahren. Sie sieht Eigentum
klassisch beim Eigentümer – und sie sieht vor, dass Eigentum auch abgegeben
werden darf.
Eigentümer von Ecosia ist Christian Kroll. Er kann sein Unternehmen
verkaufen, vererben oder verschenken – und der neue Eigentümer oder die
neue Eigentümerin kann das Baumpflanzen dann für beendet erklären.
Vielleicht möchte die Person das Geld aus den Suchanfragen lieber selbst
einstecken. Wenn sie genügend Anteile hält, ist das ihre Entscheidung.
## Was verdient man bei Ecosia?
Für viele Mitarbeiter ist das Bäumepflanzen einer der Antriebe, morgens zur
Arbeit zu kommen. Ecosia hält einzelne Gehälter geheim, veröffentlicht aber
seine Gesamtausgaben – für die Gehälter von 34 Vollzeitstellen und acht
Teilzeitbeschäftigten gab das Unternehmen im Monat Juni 93.572 Euro aus –
im Schnitt etwa 2.460 Euro netto für eine Vollzeitstelle. Wer unter den
MitarbeiterInnen mehr oder weniger verdiene, werde über den Bedarf
bestimmt, erklärt Schäfgen. Eltern erhielten etwa mehr als Alleinstehende.
Die Gehälter bei Ecosia sind nicht übermäßig hoch – dafür stimmen aus
ethischer Sicht die Arbeitsbedingungen. Um diese Arbeitsbedingungen
dauerhaft zu erhalten, wollte Christian Kroll die Baumpflanz-Vision
rechtlich im Unternehmen verankern. Er wollte ausschließen, dass die
Suchmaschine in die falschen Hände gerät. Sein Problem: Im deutschen Recht
ist das alles andere als einfach. Es gibt keine alternative
Unternehmensform neben der GmbH, die Eigentum umdefiniert.
An dieser Stelle kommen die Purpose-Stiftung und ihr Mitbegründer Armin
Steuernagel ins Spiel. ‚Purpose‘ ist das englische Wort für ‚Zweck‘. �…
wollen eine eigene Rechtsform neben der GmbH schaffen, mit der Unternehmen
sich in Verantwortungs-Eigentum aufstellen können“, beschreibt Steuernagel
die Arbeit der Stiftung. „Wir helfen Unternehmen, die Rechtsform der GmbH
so umzubauen, dass sie schon heute kein normales Vermögens- bzw.
Privateigentum mehr ist.“
Das von ihm erdachte Purpose-Modell sieht vor, dass die Stiftung ein
symbolisches Prozent der Unternehmensanteile übernimmt. Die EigentümerInnen
fungieren danach als Treuhänder, sie besitzen zwar die restlichen 99
Prozent der Stimm-, aber keinerlei Vermögensrechte. Das wird in der Satzung
festgeschrieben, „damit der Eigentümer nicht sagen kann: Ich hab schlecht
geschlafen, ich verändere das jetzt wieder“, erklärt Steuernagel.
Nach der Eigentumsübertragung kann die Satzung nur noch einstimmig geändert
werden – der Veto-Anteil der Purpose-Stiftung verhindert dann effektiv,
dass aus Verantwortungseigentum wieder Privateigentum wird.
## EigentümerInnen ohne Vermögenswerte
Die EigentümerInnen können weiterhin den inhaltlichen Kurs bestimmen, sie
können Vermögenswerte aber nicht mehr weiterverkaufen – die gehören ihnen
nämlich nicht mehr. Ihre Stimmanteile können außerdem nur an
NachfolgerInnen direkt aus dem Unternehmen weitergegeben werden. Eine
Vererbung aus familiären Gründen schließt ein Passus in der Satzung aus.
„Zentral ist nicht mehr die Verwandtschaft, sondern die Werte- und
Fähigkeitenfamilie“, sagt Steuernagel.
Ecosia-Gründer Kroll studierte nach seinem Abitur BWL, ging dann ins
Ausland. Die typische Selbstfindungsphase eines jungen, wohlbehütet
aufgewachsenen Deutschen, dem Schule und Studium zu schnell gingen, brachte
ihn auf die fixe Idee, die Welt verbessern zu wollen. Deshalb habe er 2009
Ecosia gegründet, erzählt Schäfgen.
Kroll baute das Unternehmen auf, es wuchs schnell. „Christian fährt jeden
Tag Fahrrad“, sagt Schäfgen. „Dabei trägt er keinen Helm. Irgendwann dach…
er sich: Was passiert eigentlich, wenn mir was zustößt? Was wird dann aus
Ecosia?“ Steuernagel und seine Purpose-Kollegen boten ihm die
Veto-Dienstleistung an, Kroll ging auf das Angebot ein.
EigentümerInnen umgehen mit der Inanspruchnahme der Veto-Dienstleistung
auch, das Vererben Ihres Unternehmens besteuern zu müssen. Das Vermögen
gehört schließlich nicht mehr ihnen. Bei Ecosia wäre eine Vererbung nur im
Todesfall Christian Krolls ein Thema. Schäfgen erklärt, Erben von Kroll
müssten dann den festgeschriebenen Wert seiner Anteile versteuern. Ein
Anteil kostet einen Euro, Kroll hält 50 davon. Die Erbschaftssteuer
berechnet sich also aus dem Gesamtwert von 50 Euro.
## Vererben wird günstiger
So entstehen durchaus günstige Bedingungen für potenzielle Erben – auch
deshalb ist es überhaupt kein neues Phänomen, dass Stiftungen
Vermögensanteile von Unternehmen übernehmen. Bosch zum Beispiel arbeitet
seit gut fünfzig Jahren mit einer Stiftungskonstruktion. 1964 entschied
sich der Industriebetrieb dafür.
Damit vermied man gleichzeitig eine Zersplitterung der Anteile in
verschiedene Interessensgruppen. Bosch trennte Stimm- und Vermögensrechte,
bestimmte zehn VerantwortungseigentümerInnen und schuf eine gemeinnützige
Stiftung, die 92 Prozent der Vermögenswerte hält.
Bosch ist eigentlich ein Beispiel dafür, dass Dienstleistungsprinzipien wie
das der Purpose-Stiftung nicht nötig sind, um das Vermögen eines
Unternehmens von den UnternehmerInnen zu separieren. Kleinere Unternehmen
besäßen aber oft nicht die Möglichkeiten, um eigene Lösungen zu finden,
erklärt Steuernagel. Deshalb funktioniert sein Geschäftsmodell.
Einige junge Start-Ups arbeiten mit der Purpose-Stiftung zusammen, neben
Ecosia zum Beispiel die Berliner Firmen Soulbottles und Einhorn.
Soulbottles produziert wiederauffüllbare Wasserflaschen, Einhorn
Menstruationstassen und vegane Kondome. Auch einzelne Mittelständler aus
dem Handwerk nutzen das Veto-Modell.
Partner wie Ecosia, Soulbottles oder Einhorn setzen auf Umweltbewusstsein
und Nachhaltigkeit. Steuernagel erzählt, auch er besitze eine Bahncard 100.
Aber wie das im Unternehmens-Lifestyle so ist, spielt sein Leben etwa auch
in San Francisco. Wenn er für die Suche nach Flügen Ecosia statt Google
nutzt, pflanzt er immerhin pro Anfrage ein fünfundvierzigstel Baum.
6 Sep 2019
## LINKS
[1] https://de.blog.ecosia.org/ecosia-finanzberichte-baumplanzbelege/
## AUTOREN
Lukas Waschbüsch
## TAGS
Start-Up
Unternehmen
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Gemeinwohl
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Naturkosmetik
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