Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Arbeitsbedingungen bei Lush: In Sachen Ergebniskosmetik
> Ein internes Gutachten zeigt miese Arbeitsbedingungen in der Manufaktur
> des Badebombenherstellers Lush. Mitarbeitende bestätigen das.
Bild: Bunte Badekugel in einer Filiale von Lush
Düsseldorf taz | Florenz, 11. November. Wie jedes Jahr feiert Mark
Constantine, Gründer des britischen Kosmetikkonzerns Lush, seinen
Geburtstag mit einer riesigen Party, „Mark's Party“. Geschlossene
Gesellschaft. Auf [1][YouTube hat Lush nur ein Video des Events von 2016 in
Rom] veröffentlicht, wahrscheinlich wegen der damaligen knackigen Ansprache
Constantines. Vor versammelter Manager-Mannschaft erklärt der schmunzelnd,
dass auch „liberals“ angesichts von Problemen wie Umweltzerstörung und
Flucht ein gutes Gefühl bräuchten. Das könne Lush ihnen geben: zum Beispiel
durch „random acts of kindness“, also zufällige Nettigkeiten. In
Lush-Filialen kriegen manche Kunden nämlich manchmal ein Produkt geschenkt.
Und auch die Mitarbeiter*innen sollten nicht zu kurz kommen: „make you cups
of tea“ – kocht euch Tee.
Allein für Lush gab es dieses Jahr nicht viel zu feiern. Drei Tage vor der
großen Fete nämlich hatten Beamte des Regierungspräsidiums Düsseldorf die
Lush Manufactoring GmbH im Stadtteil Benrath, die deutsche
Produktionsstätte von Lush, einer unangemeldeten Kontrolle unterzogen: Das
berichten zwei dort beschäftigte Personen, die ihre Namen nicht in der
Zeitung lesen möchten, weil sie Angst haben, ihre Jobs zu verlieren. Sie
heißen hier deshalb schlicht „Whistleblower“.
Die letzte unangekündigte Inspektion war Weihnachten vor drei Jahren
erfolgt, kurz nach Eröffnung. Schon damals hatte die zuständige
Aufsichtsbehörde grundlegende Mängel in der Betriebssicherheit
festgestellt. Danach seien die Kontrolleure dennoch immer nur nach
vorheriger Ankündigung erschienen. „Und die Kollegen haben dann alles, was
man nicht sehen sollte, einfach kurz vorher auf Lastwagen verladen und die
Fahrer durch das umliegende Gewerbegebiet kurven lassen, bis die Luft
wieder rein war“, erzählt eine*r der beiden Whistleblower. Diese erprobte
Taktik sei diesmal nicht aufgegangen, weil die meisten
Abteilungsleiter*innen an dem Tag zufällig bei der Eröffnung der neuen
Filiale in München gewesen seien. Außerdem hätten die Präsidiumsleute
verschiedene Gebäude auf dem Werksgelände gleichzeitig betreten, so dass
kaum Möglichkeit zur Vertuschung bestanden habe.
Das Kosmetikunternehmen hat knapp 1.000 Filialen in 49 Ländern und auch
Fabriken in England, Australien, Japan, Brasilien, Kroatien und Kanada. In
der deutschen Produktionsstätte arbeiten etwa 450 Menschen. In seinem
öffentlichen Auftritt hebt Lush gerne hervor, wie „handgemacht“ und
„frisch“ seine Produkte seien, und wirbt mit Grundsätzen von „fairer“
Produktion und „ethischem“ Handel. Düsseldorf als Standort für die deutsc…
Fabrik habe sich einfach richtig angefühlt, erklärt Produktionschef Jason
Muller in einem Werbevideo: „Es hat sich nach Lush angefühlt.“ Danach darf
SPD-Bürgermeister Thomas Geisel noch ein paar Worte sagen: „Düsseldorf is
the place to be for a company like Lush.“
## Schlampigkeit plus toxische Chemikalien
Umso größer ist die Diskrepanz zur harten Produktionsrealität.
Zertifizierungen für Fairness oder Ethik will Lush nicht vorlegen,
[2][Öko-Test monierte immer wieder bedenkliche Inhaltsstoffe.] Und hinter
den Kulissen geht es offenbar weit weniger bunt und glitzernd zu. Ein
internes Gutachten, das der taz vorliegt, dokumentiert die Zustände in der
Chemiefabrik: fehlende Beschriftungen, falsche, undichte und verformte
Lagerbehältnisse, zu hohe Temperaturen in den Lagerräumen.
Was sich nach Lappalien anhört, kann im Umgang mit hochtoxischen
Chemikalien tödlich enden. „Im letzten Jahr zum Beispiel ist ein Honigfass
in die Luft geflogen. Warum auch immer, aber es stand einfach auf der
Kochplatte, obwohl es da gar nicht hingehörte“, berichtet der*die andere
Whistleblower. „Wir hatten Glück, dass niemand vom kochend heißen Honig
getroffen wurde.“
Aber auch wenn nichts schiefgeht, ist die tägliche Arbeit dort offenbar
zumindest riskant. „Die Luft ist staubig von den Bicarbonaten und
ätherischen Ölen, außerdem voller Glitzerpartikel“, ergänzt der*die erste
Whistleblower. Schon wenn man sich in der Nähe der Produktionshalle
aufhalte, „bekommt man brennende Nasenlöcher – geschweige denn, wenn man
dort täglich Badebomben zusammenbaut“. Einzelne andere Mitarbeiter*innen
hatten sich, so wurde nach der Kontrolle bekannt, an das
Regierungspräsidium gewandt, geklagt über Ohnmachtsanfälle, Pusteln,
Ausschläge. Eine Filteranlage, das geht aus dem Gutachten hervor, gibt es
in dem Werk zwar; allerdings saugt sie keine frische Luft von draußen an,
sondern die aus dem Lagerraum nebenan – also von dort, wo die Chemikalien
in falschen Fässern gären.
## Mangelnde Aufklärung
„Ein großes Problem ist, dass die Mitarbeiter kaum über ihre Rechte
aufgeklärt und kaum zu Arbeitsschutz angehalten werden“, so der*die
Whistleblower weiter. Eine Beschäftigte habe eine Fehlgeburt erlitten,
nachdem sie trotz Schwangerschaft gearbeitet habe – sie habe nichts davon
gewusst, dass es in Deutschland Mutterschutz gibt und sie in ihrem Bereich
von Beginn ihrer Schwangerschaft an nicht mehr hätte arbeiten dürfen. Eine
Vorgesetzte habe ihr gesagt, sie müsse weiterarbeiten. Die meisten trügen
bei der Arbeit nur T-Shirts und Hosen, keine adäquate Schutzkleidung.
„Eine Sicherheitseinweisung gibt es nur auf dem Papier, damit die Firma
rechtlich abgesichert ist. De facto dauert die höchstens fünfzehn Minuten“,
sagt der*die Whistleblower. Gefahrenschulungen habe es früher gegeben,
allerdings nur für die Mitarbeiter*innen, die im Versand und in der
Verpackung arbeiten. Sie sei dann aus Kostengründen eingespart worden.
„Fast alles muss ja von der Zentrale in England genehmigt werden. Und dort
ist die Devise: Alles, was Geld kostet, ist schlecht.“
Warum sind die Zustände in Düsseldorf nicht früher an die Öffentlichkeit
gedrungen? Tatsächlich gibt es am Standort sogar einen Betriebsrat, in dem
Kolleg*innen der IG Bergbau, Chemie und Energie sitzen. Deren Sprecher Lars
Ruzic weist allerdings auf die hohe „Fluktuation in der Produktion“ hin,
die die Arbeit der Interessenvertretung erschwere – auch wenn der
Betriebsrat nicht aktiv behindert werde. Die Arbeitsbedingungen bei Lush
hält aber auch er für skandalös: „Es kann nicht sein, dass eine Marke mit
Nachhaltigkeit und Sauberkeit für sich wirbt, aber im Umgang mit den
eigenen Beschäftigten das genaue Gegenteil tut.“
Die beiden Informant*innen der taz weisen darauf hin, dass die meisten
Beschäftigten nicht aus Deutschland, sondern aus Polen und Kroatien kämen.
Das könnte erklären, dass offenbar wenige Mitarbeiter*innen ihre Rechte
genau kennen. Außerdem würden sie gewissermaßen abhängig von Lush: „Die
geraten hier systematisch in die Perspektivlosigkeit. Auf der Arbeit haben
sie ihre Freunde, stellen als Vorgesetzte auch immer selber nur Polen und
Kroaten ein. Das heißt, auch wenn sie schlecht bezahlt werden, bleiben sie
dem Unternehmen treu, weil sie hier sonst nichts anderes haben.“ Dass in
der Produktion fast nur Englisch statt Deutsch gesprochen werde, begünstige
diese Isolation. Daher beschwere sich auch selten jemand. Eine künstlich
generierte, fatale Intimität in den täglich aufs Neue
gesundheitsgefährdenden Arbeitsverhältnissen des Kosmetikriesen, die sich
schon in den taz-Recherchen zum Arbeitsklima in den Lush-Filialen gezeigt
hat.
## Lush dementiert alles
Doch trotz der Beschwerden einiger Mitarbeiter*innen beim
Regierungspräsidium dauert es noch lange, bis wirklich etwas passiert.
Eine*r der Whistleblower berichtet: „Ich hätte bald die Polizei angerufen,
weil die mich immer wieder vertröstet haben: Sie würden bald kontrollieren.
Meine Vermutung ist, dass die Lush schonen wollten, weil dort auch Leute
eingestellt werden, die das Arbeitsamt sonst schwer vermittelt bekommt:
Analphabeten, Ungelernte.“ Die Pressesprecherin der Arbeitsagentur, Dagmar
Gross, möchte auf Anfrage der taz dazu nichts sagen, verweist auf den
„Geheimhaltungserlass des Arbeitsministeriums NRW“. Noch in derselben Woche
erfolgt die erste unangemeldete Kontrolle seit Jahren.
Lush-Pressesprecher Tobias Kruse dementiert die Vorwürfe und erklärt auf
Nachfrage der taz: „Wir legen großen Wert auf die Einhaltung der
Sicherheitsvorgaben in unserer Fertigung. Wir arbeiten eng mit den
deutschen Behörden zusammen und werden regelmäßig von diesen zu regulären
Prüfungen besucht, um die Gesetze und Richtlinien einzuhalten und bei
allem, was wir tun, kontinuierliche Verbesserungen zu erzielen.“
Diese Zusammenarbeit dürfte in Zukunft noch enger werden. Im Dezember
mussten Jason Muller und Oberboss Mark Constantine persönlich nach
Düsseldorf zu einem Gespräch mit den Kontrolleuren fahren. Genauere
Informationen zu Lush auferlegten Maßnahmen liegen der taz und auch den
beiden Gesprächspartner*innen aus dem Inneren des Unternehmens nicht vor.
Weder die Aufsichtsbehörde noch das Unternehmen wollten sich äußern.
Die Zeit des Teekochens jedenfalls dürfte für Constantine vorbei sein. Denn
der Hobby-Ornithologe, der gerne seine Beobachtungen postet, hat eigentlich
schon zu Hause in England genug zu tun: Seit Monaten nisteten ausgerechnet
Tauben in der Fabrik in Poole, berichtete im Oktober The Sun.
Produktkartons seien reihenweise mit Vogelkot besudelt, der außerdem
Krankheiten übertragen könne. Ob bei so viel Scheiße am Fuß ein
ordentliches Vollbad zur Säuberung hinreicht, dürfte fraglich sein.
17 Feb 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=ZnGrVJEkfgw
[2] https://www.oekotest.de/kosmetik-wellness/Diese-Bio-Kosmetik-taugt-weniger-…
## AUTOREN
Adrian Schulz
## TAGS
Arbeitsbedingungen
Kosmetik
Welthandel
Naturkosmetik
Verbraucherzentrale
Naturkosmetik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gerechter Welthandel in der Pandemie: Umsatz fairer Produkte sinkt
Geschlossene Läden, weniger Catering und Preisschlachten der Discounter
lassen Umsätze sinken. Verkauf fairer Schokolade legt enorm zu.
Mobbingvorwürfe gegenüber Lush: Noch mehr Tränen hinterm Schaum
Mehr ehemalige Mitarbeiter*innen des Kosmetikherstellers Lush klagen über
unerträgliche Arbeitsbedingungen. Das Unternehmen selbst äußert sich nicht.
Test der Verbraucherzentrale: Wenig Natur in Naturkosmetik
Die Verbraucherzentrale wirft Kosmetikherstellern Schummeleien bei
Pflegeartikeln vor. Der grüne Anstrich mancher Verpackung führt oft in die
Irre.
Seifenhersteller Lush als Arbeitgeber: In der Wanne heimlich weinen
Lush ist einer der Marktführer für teure Kosmetik mit Feelgood-Faktor.
Tiere sollen nicht leiden, Bauern nicht ausgebeutet werden. Und das
Personal?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.