# taz.de -- Was tun gegen die Brände in Brasilien?: Ein Smiley für den Amazon… | |
> Was kann die Weltgemeinschaft tun, wenn der Regenwald brennt? Lokal | |
> aufforsten in Hambach? Die private Empörung bei Facebook teilen? | |
Bild: In Klimafragen hilft „global denken, lokal handeln“ allein nicht mehr | |
Unter Aufgebot aller heroischen Widerstandskräfte hat der brasilianische | |
Präsident Jair Bolsonaro die angebotenen G7-Hilfsgelder gegen den Brand | |
[1][im Regenwald zurückgewiesen]. Einmischung in innere Angelegenheiten, | |
kolonialistische Haltung, das geht nicht im neurechten Jahrzehnt der | |
Befreiung. Aber wie geht globaler Klimaschutz dann? Was kann die | |
Weltgemeinschaft tun, wenn sie mitbekommt, dass an einem Ort der Welt etwas | |
passiert, das zerstörerische Folgen für den ganzen Planeten hat ? | |
Global denken, lokal handeln, heißt eine Antwort von Greenpeace – was in | |
Richtung des brasilianischen Vorschlags geht, mit den G7-Geldern lieber | |
europäische Wälder aufzuforsten. Bäume für Hambach, und dann? Der | |
Amazonasregenwald ist leider [2][doch etwas größer]. Nun ist es für | |
zivilgesellschaftliches Engagement stets noch schwieriger als für | |
Regierungen, von Biarritz, Berlin oder Bullerbü aus den Regenwald zu | |
löschen, und es ist fraglich, ob es reicht, in Kreuzberg einen Kasten | |
Krombacher zu leeren, um damit das Brauerei-Regenwaldprojekt zu | |
unterstützen oder vielleicht noch in Papageikostümen vor der | |
brasilianischen Botschaft herumzuflattern. | |
Doch sind Aktivistinnen und Aktivisten auch hierzulande findig: Seit Tagen | |
werden auf Facebook Hinweise darauf, dass im Amazonasgebiet der Regenwald | |
brennt und dass das schrecklich ist, eifrig geteilt, gelikt oder mit | |
wütenden Smileys versehen. Möglich, dass durch einen Facebook-Like ein | |
südamerikanischer Busch gerettet wird, aber nicht alles, was möglich ist, | |
ist auch wahrscheinlich. | |
Immerhin: Man fühlt sich nicht untätig, nimmt Anteil, ist betroffen, – und | |
schon sind wir mittendrin in der Mitmachpolitik der Gegenwart, die sich von | |
der Idee der Deliberation emanzipiert hat. Nur aber leider nicht zugunsten | |
all jener, die aufgrund mangelnder gesellschaftlicher Teilhabe | |
ausgeschlossen waren, sondern lediglich durch die Verbequemlichung der | |
bereits Involvierten. | |
## Eine puerilistische Gesellschaft | |
Autoritäre Politiker wie Jair Bolsonaro mag das freuen. Es ist ja | |
hinlänglich bekannt, dass die Unterstützung der Rechten nicht nur von | |
rechts kommt, sondern allzu oft eben auch von links – etwa indem sie ihre | |
MitstreiterInnen, wenn nicht gleich sich selbst, für einfältig bis zur | |
Ermüdung halten oder in antiliberale Linksradikalität rutschen, weil das ja | |
die knalligere Party ist. | |
Womöglich retten wir zudem mit anteilnehmendem Facebook-Aktivismus nicht | |
nur keinen Busch im Amazonasgebiet, sondern treiben das Weltklima noch | |
weiter auf den Abgrund zu: Beim ersten Googletreffer zum Thema Internet und | |
CO2 landet man [3][beim SWR und erfährt], schon eine Googlesuchanfrage | |
verbrauche „etwa 0,3 Watt-Stunden (Wh). Hochgerechnet bedeutet das bei 20 | |
Anfragen bereits den Verbrauch einer Energiesparlampe in einer Stunde.“ | |
Auch verschlänge das Frankfurter Rechenzentrum mehr Energie als der | |
Flughafen der Stadt. Dann doch lieber offline mal wieder eine Avocado | |
essen. | |
Nun kann man diese Rechnung in die Reihe mit all jenen schadenfrohen | |
Greta-Kritikern schieben, die sich erst für CO2-Emissionen interessieren, | |
seitdem bekannt ist, wie viele Flugtickets es braucht, um ihr | |
„Öko“-(haha!)-Boot [4][zurück nach Europa zu skippern]. Der Soziologe Arm… | |
Nassehi hat in diesem Zusammenhang den Begriff „Puerilismus“ jüngst zurück | |
ans Licht der Öffentlichkeit gebracht. Eine puerilistische Gesellschaft ist | |
nicht einfach infantil, sie macht sich dümmer, als sie ist. Sie hält eine | |
widersprüchliche Welt nicht aus oder hat einfach keine Lust darauf. Es wäre | |
so, als wollte man behaupten, wer im Kampf gegen Nahrungsmittelknappheit | |
auch nur einen Apfel esse, verrate seine Ideale. | |
Das ist natürlich Unsinn. Um Veränderungen zu erzielen, muss man mitunter | |
Dinge in Kauf nehmen, die dieser Veränderung widersprechen. Worauf es | |
ankommt, ist die Verhältnismäßigkeit, und die dürfte bei den meisten | |
Facebookaktivitäten im Kampf fürs Klima nicht optimal ausfallen. | |
## Kollektive internationale Schutzverantwortung | |
Ob es sich beim Wutsmiley um den Wunsch handelt, Menschen aufzurütteln, | |
oder eher darum, sich mit der für die eigene Zielgruppe richtigen Haltung | |
dekoriert zu zeigen, oder vielleicht auch um den puerilistischen Hang, | |
komplexe Probleme auf die Bildsprache der Kindergartenzeit zu reduzieren, | |
mag jeder für sich beantworten. Die aktivierende Wirkung zumindest dürfte | |
relativ gering sein, dafür ähneln sich schon in ihrer Struktur zu sehr | |
Aussagen wie „Atmen ist wichtig“, „Zerstörung ist scheiße“ und „Kat… | |
sind süß“. | |
Vielleicht schaut man sich deshalb lieber mal im Völkerrecht um. Dort gibt | |
es den Begriff der Schutzverantwortung, [5][Responsibility to Protect, kurz | |
R2P], Anfang der 2000er Jahre in die sicherheitspolitische Debatte | |
eingebracht. R2P setzt dem Souveränitätsrecht eines Staates Grenzen, wenn | |
dieser sich nicht in der Lage oder nicht willens zeigt, die eigene | |
Bevölkerung gegen gravierende Menschenrechtsverletzungen zu schützen. Dann | |
zieht die kollektive internationale Schutzverantwortung. | |
Nun gibt es gute Gründe, solche Eingriffsrechte nicht vorschnell | |
auszuweiten. Nicht jedes Verbrechen ist ein Verbrechen gegen die | |
Menschheit, und zudem steht die R2P auch im Verdacht, zur Durchsetzung | |
hegemonialer Machtinteressen allzu leicht missbraucht werden zu können. | |
Dennoch ist wohl klar, dass in Klimafragen global denken, lokal handeln | |
allein nicht mehr hilft und über kollektive internationale Verantwortung | |
und deren Durchsetzung dringend nachgedacht werden muss. | |
Gerade jetzt, da die Souveränitätsverliebtheit einiger Staatschefs in | |
Abschottung und Nationalismus gipfelt. Dass die Menschheit am Ende ohnehin | |
an Sextourismusflügen nach Thailand und dem Downloaden von Katzen-Videos | |
zugrunde gehen wird, ist die peinlichere Einsicht über das menschliche | |
Wesen. Der Kampf gegen Feuer und Tyrannen hat immerhin Größe. Selbst wenn | |
man ihn verlöre, wäre er noch ein guter Post. | |
1 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Waldbraende-in-Brasilien/!5621634 | |
[2] /Waldbraende-in-Brasilien/!5618016 | |
[3] https://www.swr.de/odysso/oekobilanz-des-internets/-/id=1046894/did=2179174… | |
[4] /Thunbergs-Segelreise-in-die-USA/!5615733 | |
[5] https://www.bpb.de/apuz/30862/gibt-es-eine-responsibility-to-protect?p=all | |
## AUTOREN | |
Nora Bossong | |
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verhindern. |