# taz.de -- Chinatreue Regierungschefin Carrie Lam: Hongkongs sture Tigermutter | |
> Carrie Lam ist Pekings so strenge wie gescheiterte Vollstreckerin in der | |
> Sonderzone. Zur Einmischung der chinesischen Regierung schweigt sie | |
> eisern. | |
Bild: Carrie Lam auf einer Konferenz in Hongkong Mitte August | |
HONGKONG taz | Carrie Lam wurde bei ihrem Amtsantritt als Regierungschefin | |
von [1][Hongkong] 2017 als Macherin und „eiserne Lady“ gefeiert. Zwei Jahre | |
später kommt die zierliche 62-Jährige mit der sportlichen Frisur in ihrem | |
Umgang mit den Protesten nur noch als sture Lady rüber. Eisern ist nur noch | |
Lams striktes Nein zu Gesprächen oder gar Verhandlungen mit den | |
[2][Demonstranten], die sie als gewalttätige Randalierer abtut. | |
Einmal mehr hat die Peking loyal ergebene Lam bewiesen, dass ihr Wort | |
nichts zählt, zumindest wenn es um Hongkongs demokratische Zukunft geht. | |
Also um etwas, das Peking partout nicht will. Seit Anfang Juni protestieren | |
die Menschen in der früheren britischen Kolonie gegen einen Gesetzentwurf | |
der Regierung zur [3][Auslieferung Krimineller an China.] | |
Das inzwischen zwar suspendierte, aber offiziell nicht zurückgezogene | |
Gesetz wird von weiten Teilen der Bevölkerung als Beweis der zunehmenden | |
Erosion ihrer Freiheiten gesehen. Die Autonomierechte wurden den | |
Hongkongern nach der Formel „Ein Land, zwei Systeme“ bei der Rückgabe der | |
Stadt 1997 von Großbritannien an China garantiert. Mit vielen | |
Demonstrationen drückten die Menschen seit Juni [4][ihre Sorgen] aus, sie | |
legten mit Sit-ins den Flughafen und immer wieder Teile der Stadt lahm. | |
Drei Massendemonstrationen gab es bereits, bei der vorerst letzten am 18. | |
August gingen mehr als 1,7 Millionen Hongkonger auf die Straße. Im | |
Mittelpunkt der Proteste steht der wachsende Frust über die chinatreue | |
Regierungschefin Lam. Die hatte sich zu Beginn der Proteste noch | |
verständnisvoll gegeben. „Die Regierung muss zwar sicherstellen, dass die | |
Verwaltung effizient funktioniert, aber sie muss auch geduldig zuhören“, | |
sagte sie am 1. Juli bei der Feier zum 22. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs | |
an China. | |
## Der Dialog | |
Getreu ihrem offiziellen Titel „Chief Executive“ – etwa Chefmanagerin – | |
äußerte sie sich mit fester sachlicher Stimme direkt zu den Protesten. Als | |
Politikerin müsse sie sich „jederzeit die Notwendigkeit klarmachen, die | |
Stimmung der Öffentlichkeit akkurat zu erfassen“. Zwei Monate, viele | |
Demonstrationen und null Zuhören später rief Lam letzte Woche eine | |
„Plattform für Dialog“ ins Leben, der prominente Personen aus Politik und | |
Gesellschaft angehören. | |
Yik Mo Wong, 33, kann darüber nur bitter lachen. „Das ist typisch Lam. Sie | |
verspricht vieles und hält nichts“, sagt Wong, der bei der Protestbewegung | |
Civil Human Rights Front (CHRF) aktiv ist. „Bei der Regenschirm-Revolution | |
2014 gab es Gespräche mit der Regierung. Da wurde uns aber nur gesagt: Wir | |
haben recht und ihr habt unrecht.“ | |
Politikberaterin Alice Wu geht am Dienstag dieser Woche in einem | |
Meinungsstück für die in Hongkong erscheinende South China Morning Post | |
hart mit der Regierungschefin ins Gericht. „Lam hat sich von Anfang an | |
geweigert, sich den Demonstranten zu stellen, und hat seitdem die Kunst des | |
Sich-Versteckens und der Verantwortungsverweigerung perfektioniert. Sie | |
ließ die Polizei für die von ihr angerichtete politische Katastrophe | |
bezahlen“, schreibt die frühere Direktorin des Asia Pacific Media Network | |
der Universität von Los Angeles. | |
Die zentrale Forderung der Demonstranten ist eine unabhängige Untersuchung | |
der Polizeigewalt. Dafür gingen am letzten Sonntag bei strömendem Regen | |
sogar Hunderte Familienangehörige von Polizisten auf die Straße. Lam solle | |
endlich auf die Forderungen der Öffentlichkeit antworten, forderten | |
Ehefrauen und Geschwister von Polizisten und machten sich für die Gründung | |
eines Dialogforums zwischen den Protestgruppen wie für eine unabhängige | |
Untersuchung der Polizeigewalt stark. | |
Nach ihrem Studium an der Universität von Hongkong begann Lam ihre | |
Beamtenkarriere als Mitarbeiterin verschiedener Behörden der damaligen | |
britischen Kronkolonie. 2007 begann ihre politische Karriere als | |
Entwicklungsministerin. Zehn Jahre später wurde sie als erste Frau von dem | |
von China handverlesenen Wahlgremium zur Regierungschefin Hongkongs | |
gewählt. Peking hatte zuvor zu erkennen gegeben, dass sie die Auserwählte | |
der chinesischen Führung ist. | |
Seitdem fällt Lam immer mal wieder mit trumpesken Aussagen auf. So pries | |
die gläubige Katholikin ihren Aufstieg zur mächtigsten Frau Hongkongs als | |
von „Gott gewollt“. Die katholische Replik kam prompt und klar. „Niemand | |
kann zwei Herren dienen“, gab der katholische Rechtsanwalt und Politiker | |
Andrew Cheng Kar-Foo zu Protokoll. „Wer sein Mandat von der Kommunistischen | |
Partei Chinas erhält, weiß, dass es seine Aufgabe ist, der Kommunistischen | |
Partei zu dienen.“ | |
## Das Mutter-Sohn-Verhältnis | |
Gerne führt Lam auch ihre Erfahrung und Autorität als Mutter an, die genau | |
weiß, was das Beste für die Kinder ist. Hätte sie ihren beiden Söhnen „al… | |
Launen“ durchgehen lassen, würden sie das als Erwachsene bedauern, sagte | |
Lam noch Anfang Juni zur Verteidigung des Auslieferungsgesetzes ganz im | |
Stil einer chinesischen Tigermutter, für die Disziplin und Strenge | |
entscheidende Erziehungskriterien sind. | |
Möglicherweise gibt Lam nicht von ungefähr die Tigermutter. Immer häufiger | |
nämlich sprechen Regierungspolitiker in Hongkong vom mächtigen China als | |
„Mutterland“. Und ein hochrangiger chinesischer Politiker verglich im | |
vergangenen Jahr die Beziehung der chinesischen Verfassung zu Hongkongs | |
Grundgesetz als „Mutter-Sohn-Verhältnis“. | |
Wenn Versprechen und Bekenntnisse zum Dialog nicht fruchten, drückt Lam auf | |
die Tränendrüse. So warf sie Mitte August auf einer Pressekonferenz den | |
Demonstranten weinend vor, Hongkong in „den Abgrund stürzen zu wollen“. Und | |
sie versucht, mit anderen Mitteln zu besänftigen: Zwei Tage vor dem Protest | |
der Millionen Mitte August versprach sie den Bürgern der Millionenmetropole | |
eine Reihe von sozialen und ökonomischen Wohltaten. Die Forderungen der | |
Menschen, das Auslieferungsgesetz endlich auch ganz offiziell zu beerdigen | |
und das allgemeine Wahlrecht einzuführen, würdigte die Regierungschefin mal | |
wieder mit keinem Wort. | |
## Möglicher Rücktritt | |
Mit den angekündigten Wohltaten wolle Lam die Protestbewegung spalten, sie | |
ziele auf „die schweigende Mehrheit ab“, glaubt Willy Lam, Politologe am | |
Zentrum für Chinastudien der Chinesischen Universität von Hongkong. Von | |
seiner nicht mit ihm verwandten Namensvetterin hält der Chinaexperte nicht | |
viel: „Sie ist eine lahme Ente, die nur noch auf Anweisung der Führung in | |
Peking agiert. Die kommunistische Führung ist zu keinerlei Konzessionen | |
bereit.“ | |
Zur Entschärfung der kritischen Lage in Hongkong könnte ein Rücktritt Lams | |
zwar beitragen. „Das aber käme dem Eingeständnis der Kommunistischen Partei | |
Chinas gleich, mit Lams Wahl vor zwei Jahren einen Fehler gemacht zu | |
haben“, sagt der 67-Jährige. „Peking würde sein Gesicht verlieren.“ | |
Eine Anfrage an die beinharte Chinaloyalistin und Parlamentsabgeordnete | |
Regina Ip zu einem Gespräch über Carrie Lam blieb unbeantwortet. Sollte Lam | |
demnächst doch noch zurücktreten, gilt Ip als eine mögliche Nachfolgerin. | |
Auch in der Bevölkerung gibt es viele Menschen, die treu zu China und Lam | |
stehen. Hunderte ihrer Anhänger warfen am 14. August vor dem Büro des | |
lokalen Journalistenverbandes den Reportern Lügen vor. „Der | |
Journalistenverband steht auf der Seite der Demonstranten und ist gegen die | |
Regierung“, meinte ein Sprecher der regierungsnahen Demonstranten. „Die | |
Regierungsgegner sind Kriminelle, die Hongkong zerstören wollen.“ | |
## Beunruhigende Zustände | |
In Shenzhen jenseits der Grenze Hongkongs zu China diskutierten unterdessen | |
am Wochenende Hardliner aus China und Hongkong die Optionen zur Beendigung | |
der Proteste. „Die in Hongkong stationierten Soldaten [der chinesischen | |
Armee] sind keine Vogelscheuchen, die nur in der Garnison stehen. Sie sind | |
vielmehr ein wichtiger Teil des [Prinzips] ein Land, zwei Systeme“, sagte | |
die Hongkonger Hardlinerin und prochinesische Politikerin Maria Tam der | |
chinesischen Staatszeitung Global Times. | |
Immer wieder ist Tam in den letzten Wochen in Shenzen mit dem Segen der | |
Chinesen mit Erklärungen zu Hongkong öffentlich gerade so aufgetreten, als | |
sei sie Hongkongs Regierungschefin und nicht Carrie Lam. Wer Hongkongs | |
Protestbewegung unterstützt, bekommt Schwierigkeiten. Rupert Hogg, | |
Geschäftsführer der Fluggesellschaft Cathay Pacific, musste auf Druck | |
Pekings zurücktreten, weil sich einige Mitarbeiter der Airline mit der | |
Protestbewegung offen solidarisiert hatten. | |
Hongkongs reichster Mann, Li Ka-shing, forderte am 16. August in den | |
Zeitungsanzeigen die Protestbewegung auf, „China zu lieben, Hongkong zu | |
lieben und sich selbst zu lieben“. „Das hat es noch nie gegeben, dass | |
Großunternehmen Pekings Anordnungen gehorchen müssen“, sagt Chinaexperte | |
Willy Lam: „Das ist sehr beunruhigend.“ Carrie Lam sagt zu all diesen | |
Vorgängen nichts. Sie hat eben „die Kunst des Sich-Versteckens und der | |
Verantwortungsverweigerung perfektioniert“. | |
27 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Michael Lenz | |
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