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# taz.de -- Wie Hongkong wurde, was es ist: Mystische Stadt
> Seit Wochen gibt es in Hongkong Proteste und Aufruhr. Warum die Lage in
> der ehemaligen britischen Kronkolonie heute so kompliziert und gefährlich
> ist.
Bild: In Hongkong haben die Briten Spuren hinterlassen
Lord Palmerston war nicht angetan, als britische Soldaten am 26. Januar
1841 auf einer Insel an der Mündung des Perlflussdeltas im Süden Chinas den
Union Jack hissten. „Eine karge Insel mit kaum einem Haus darauf“,
schimpfte der damalige britische Außenminister über den jüngsten Erwerb des
Empire. Gerade mal 7.000 Bewohner zählte die subtropische Insel damals. Die
meisten von ihnen waren Fischer, Bauern und Piraten. Er ahnte nicht, dass
an dieser Stelle mal eine der reichsten Städte der Welt entstehen würde.
Seit der Gründung umgibt Hongkong etwas Mystisches: chinesische Kultur mit
britischem Einschlag, kapitalistisch und traditionell, erst
kolonialistisch, dann demokratisch, heute wieder zunehmend autoritär. „Ein
Land, zwei Systeme“, das wurde den Hongkongern zugesagt, als ihre Stadt
1997 nach 155 Jahre britischer Kolonialherrschaft an die Volksrepublik
übergeben wurde. Und versprochen wurde, dass weitere 50 Jahre das
demokratische System gilt.
Das Kalkül der damaligen kommunistischen Führung: Die Menschen in Hongkong
und die Menschen der Volksrepublik würden sich schrittweise annähern:
wirtschaftlich, politisch, mental. Doch 22 Jahre nach der Übergabe scheint
das Kalkül nicht aufzugehen. Gerade [1][die Proteste der vergangenen drei
Monate und der Umgang damit zeigen]: Hongkonger und Festlandchinesen sind
einander fremder denn je. Das hat nicht zuletzt historische Ursachen.
## Es beginnt mit Opium
Hongkongs Geschichte beginnt 1839 an der Küste der Stadt Humen in Südchina.
Der chinesische Kaiser hatte befohlen, den Inhalt von mehr als 20.000
Kisten ins Meer zu kippen. Es handelte sich um Opium der Briten.
Die Briten waren damals dick im Drogengeschäft. Sie waren begeistert von
chinesischer Seide und Tee. Umgekehrt hatten sie nur wenig anzubieten, was
die Chinesen interessierte. Eine Ausnahme: Opium. Die Briten verschifften
das aus Schlafmohn in Indien gewonnene Opium nach China. Der chinesische
Kaiser wollte aber nicht hinnehmen, dass die gesamte Elite seines Landes
berauscht war, verbot Opium und ließ die Bestände in den britischen
Handelshäusern ins Meer kippen. Die Briten erklärten China den Krieg. Nach
kurzem Intermezzo musste China an die Briten eine Insel abtreten: Hongkong.
Abenteurer wie Robert Fortune erkannten rasch die Vorzüge des natürlichen
Tiefseehafens dieser vorgelagerten Insel. „Exzellente Anlegestellen
überall, von den Bergen geschützt, sodass die Schiffe auch bei schwersten
Stürmen sicher sind“, schrieb er in seinem Tagebuch. Im Vertrag von
Nanjing, bis heute aus chinesischer Sicht die „größte nationale Demütigung
der Neuzeit“, brachten die Briten den Kaiser in Peking dazu, fünf
Handelshäfen für Ausländer zu öffnen, Hongkong wurde Kronkolonie. 1856
brach der Zweite Opiumkrieg aus, an dessen Ende die Engländer Hongkong um
die vorgelagerte Halbinsel Kowloon erweiterten. Der Pachtvertrag von 1898
für die „New Territories“ über 99 Jahre vollendete die Kronkolonie. Die
Grenzen sind ziemlich identisch mit den heutigen der chinesischen
Sonderverwaltung.
In britischer Hand entwickelt sich Hongkong zunächst zu einer wichtigen
Drehscheibe des Handels in Fernost. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg
entstanden die ersten Fabriken, Hongkong prosperierte zu einer
Industriestadt. Begünstigt wurde diese Entwicklung vor und nach der
Machtübernahme der Kommunisten im Jahre 1949, als Hunderttausende vom
Festland in die britische Kronkolonie flüchteten. Bei vielen von ihnen
handelte es sich um Unternehmer, Händler, Wohlhabende, die angesichts der
Kampagnen unter dem Diktator Mao um ihre Existenz fürchteten. Das spülte
nicht nur weitere qualifizierte Kräfte in die Stadt, sondern auch jede
Menge Geld.
Zunächst siedelte sich die Textilindustrie an, in den 1960er und 1970er
Jahren entstanden Produktionsstätten für Spielzeug und Elektronik. Mao
hatte die Volksrepublik komplett von der Außenwelt abgeschirmt. Einzig in
Hongkong konnte Handel zwischen dem chinesischen Festland und dem Rest der
Welt stattfinden. Das machte die Stadt zu einem lukrativen Umschlagplatz
und zunehmend auch zu einem der größten Finanzplätze der Welt.
In den achtziger Jahren wurde den Briten aber klar: Überlebensfähig würde
die Kronkolonie nur mit den von China hinzugepachteten New Territories
sein. Doch das Ende des Pachtvertrags rückte näher. Anfang der 1980er Jahre
nahm Großbritanniens Premierministerin Margaret Thatcher Kontakt mit der
chinesischen Führung auf.
Mao war inzwischen verstorben, unter dem neuen Machthaber Deng Xiaoping
hatte sich China der Außenwelt geöffnet. Das Land war noch immer arm;
Thatcher ging deshalb davon aus, dass Dengs Reform- und Öffnungspolitik aus
der Not heraus erfolgte. Sie hoffte, ein schwaches China würde die
endgültige britische Herrschaft über die Kronkolonie akzeptieren und auch
die New Territories auf Dauer abtreten.
Als 1982 die Gespräche über die Zukunft Hongkongs begannen, machte ein
selbstbewusster Deng ihr aber schnell klar: So nicht. Er forderte die
komplette Rückgabe, inklusive Kowloons und der Insel Hongkong. Rückenwind
bekam Deng von den Vereinten Nationen. Die UN-Generalversammlung hatte
bereits zehn Jahre zuvor die Verträge von Nanjing für „unfair“ und damit
für ungültig erklärt.
Thatcher musste sich damit abfinden, Hongkong komplett zu verlieren, konnte
Deng aber davon abringen, dass Hongkong für weitere 50 Jahre einen
Sonderstatus behält. Dieser war im Grunde ganz im Sinne von Deng. Er
erkannte, welche Schlüsselrolle die wohlhabende Enklave für die Entwicklung
der völlig verarmten Volksrepublik hatte. Hongkong verfügte über all das,
was auf dem Festland fehlte: technologisches Wissen, Unternehmertum, ein
internationales Finanzzentrum und eine unabhängige Justiz. Er entwickelte
die Formel „Ein Land, zwei Systeme“.
## Auch unter den Briten keine Demokratie
Die Briten richteten unter ihrer Verwaltung den Freihafen ein, etablierten
ein Rechtssystem und erlaubten Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Sie
erhoben nur wenig Steuern, der Handel war weitgehend frei. Doch eine
Demokratie war Hongkong auch unter britischer Herrschaft nicht. Erst in den
letzten Jahren ließ Chris Patten, der letzte aus London entsandte
Gouverneur, freie Wahlen des Hongkonger Parlaments zu.
Mit der Übergabe Hongkongs am 1. Juli 1997 an die Volksrepublik hielt sich
China zunächst an seine Zusagen und mischte sich in die innenpolitischen
Belange nur selten ein. Der große Wandel erfolgte 2003 mit dem Ausbruch von
Sars. Diese hochansteckende Lungenseuche war über die angrenzende
chinesische Provinz nach Hongkong geschwappt. Touristen aus Europa und den
USA blieben aus. Die Geschäfte hatten enorme Einbußen zu beklagen. Peking
kam zu Hilfe: Die chinesische Führung erlaubte den Bewohnern von zunächst
drei chinesischen Großstädten die freie Einreise nach Hongkong. Prompt
erholte sich die Tourismusindustrie der Sonderverwaltungszone.
Inzwischen ist allen Festlandchinesen die Einreise nach Hongkong erlaubt.
Das Stadtbild hat sich seitdem erheblich verändert. Zu Hunderttausenden
strömen reiche Chinesen an Wochenenden in die Einkaufszentren. Die
Geschäfte sind allein auf das Konsumverhalten reicher Festlandchinesen
ausgerichtet. Sehr viel chinesisches Geld fließt auch in Hongkonger
Immobilien und treibt die Preise exorbitant nach oben. Beides kurbelt zwar
die Wirtschaft an. Wer aber nicht in der Tourismus- oder Finanzbranche
tätig ist, findet nur noch schwer ein Auskommen.
Obwohl die Briten so viele Reiche mit Steuer-und Zollfreiheit nach Hongkong
lockten, hatte die Stadt auch eines der umfassendsten sozialen
Wohnungsbauprogramme der Welt. Das sicherte den sozialen Frieden. Unter der
kommunistischen Führung kommt das jetzt zu kurz. Die aktuellen Proteste
sind deshalb auch sozial motiviert.
4 Sep 2019
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## AUTOREN
Felix Lee
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