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# taz.de -- Stimmtraining für trans Frauen: Mut zum Sprechen
> Die Stimme ist für viele trans Frauen sehr wichtig. Fast ein Jahr lang
> arbeitete Sophie S. mit einer Logopädin an einer, die zu ihr passt.
Bild: Sophie S. (l.) und die Logopädin wärmen mit „Blubbern“ ihre Stimmen…
Hamburg taz | Sophie S. blickt auf die Tafel des asiatischen Restaurants,
auf der die Gerichte aufgelistet sind. „Für mich die M17, bitte“, sagt sie
zur Bedienung. S. spricht nicht zu laut, aber auch nicht zu leise, sie
nuschelt nicht, sie blickt nicht auf den Boden. Sie bestellt so, dass die
Bedienung versteht, was sie essen möchte. Sie bestellt so, wie Menschen
eben in einem Restaurant gebratene Nudeln mit Gemüse und Tofu bestellen.
Ein Jahr vorher wäre das für S. noch sehr unangenehm gewesen. Denn S. ist
trans. Und während sie ihr Aussehen mit Make-up und Kleidung ohne zu großen
Aufwand angleichen konnte, blieb die Stimme tief – manche würden sagen:
„männlich“.
„Sobald man den Mund aufmacht und das nicht mit den Erwartungen des
Gegenübers übereinstimmt, erntet man komische Blicke“, sagt S. noch vor
knapp einem Jahr. „Es passt einfach nicht zusammen: Mein Auftreten, wie ich
mich fühle – und dazu die tiefe Stimme. Ich erschrecke mich teilweise
selbst.“ Wie für viele [1][trans Frauen] ist für sie die Stimme besonders
identitätsstiftend und wichtig für das Selbstbewusstsein.
Also hat S. gekämpft, einen anstrengenden Kampf gegen ihren Kehlkopf. Viel
Zeit hat sie dabei in einem Praxiszimmer im Hamburger Stadtteil Wandsbek
verbracht. Dort sitzt S. auch an einem Tag im Herbst 2018 und hat einen
großen Strohhalm im Mund. Damit blubbert sie in einem Wasserglas. Ihr
gegenüber sitzt die Logopädin Maria Wilde, auch sie mit Strohhalm. Die
beiden Frauen wärmen so ihre Stimmen auf. Wilde soll S. helfen, eine Stimme
zu entwickeln, die als weiblich wahrgenommen wird.
## Nagel, Nebel, Nabel
Sophie S. ist 27, studiert Informatik an der Universität Hamburg und
arbeitet als Entwicklerin in einem Software-Start-up. Ende 2017 wendet sie
sich ans Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), das ein eigenes
Kompetenzzentrum für trans Menschen aufgebaut hat. „Ich habe es lange vor
mir hergeschoben, aber dann habe ich gemerkt: Es geht nicht mehr anders.“
Am UKE erfährt sie, dass die Angleichung der Stimme als wichtiger Teil der
Transition gilt. In YouTube-Videos hört sie davon, wie Logopädie dabei
helfen kann und meldet sich bei Wilde.
Wilde ist Expertin für Stimmangleichung bei [2][trans Frauen] und hat eines
der ersten deutschsprachigen Fachbücher darüber veröffentlicht. Jetzt gibt
sie einen Ton am Computer vor, den S. mit ihrer Stimme erreichen soll. S.
drückt einen Laut heraus. „Komm, noch ein bisschen höher“, sagt Wilde und
zeigt mit dem Zeigefinger an die Decke. Der nächste Laut passt. S. liest
einzelne Wörter vor, die mit dem Buchstaben N beginnen. Der Buchstabe eigne
sich besonders gut, „weil die Stimme hier hochgezogen werden kann“, sagt
Wilde.
S. spricht: Nagel. Nebel. Nabel. Sie ist unzufrieden.
„Ich habe die Stimme gerade nicht unter Kontrolle, es klingt ein bisschen
wie Mickey Maus“, ärgert sie sich. Also greifen die beiden wieder zu den
Strohhalmen und blubbern ein paar Minuten ins Leitungswasser.
„Die Schleimhäute müssen viel arbeiten“, sagt Wilde, „aber vergiss nich…
Der Schleim ist unser Freund, wir brauchen ihn.“ S. räuspert sich. Sie
streicht ihre langen blonden Haare hinter die Schultern und beginnt noch
einmal von vorne.
## Telefonieren ist eine Hürde
„Ich kann sehen, dass dein Kehlkopf nach unten geht“, sagt Wilde. Sie
stellt einen Spiegel vor S.. „Er soll aber oben bleiben!“, fordert die
Logopädin. S. liest wieder: Nase, Nächte, nanu. Jetzt bleibt der Kehlkopf
oben. „Sehr gut“, lobt Wilde. Die beiden Frauen lächeln sich an.
Es ist erst S.s dritte Stunde bei Wilde, sie ist noch sehr unzufrieden mit
ihrer eigenen Stimme. Deshalb sagt sie in manchen Situationen wenig oder
sogar gar nichts, zum Beispiel, als sie den ruhigen Wagen der Hamburger
U-Bahn betritt. Dort spricht sie sofort leiser als auf der Straße, wo der
Lärm eines Presslufthammers von der Baustelle noch einen akustischen Schutz
geboten hat.
Bestellungen in Restaurants mag S. nicht. Noch unangenehmer sind aber
Telefonate. Weil hier die Stimme die einzige Möglichkeit der Interaktion
ist, traue sie sich nicht, sich mit ihrem Namen Sophie zu melden. „Das alte
Leben stolpert dann über den Weg“, sagt sie.
Medizinisch gibt es unterschiedliche Wege um eine Stimme zu bekommen, die
als weiblich wahrgenommen wird. Die Einnahme von Hormonen gehört nicht
dazu, diese haben bei trans Frauen keine Wirkung auf die Stimme.
Stattdessen können Logopädie oder eine Kombination aus Operation und
Logopädie zum Erfolg führen. Der HNO-Arzt Markus Hess hat sich schon vor
zwanzig Jahren auf „Stimmfeminisierung“ spezialisiert. Er bietet in der
Deutschen Stimmklinik, die er 2013 auf dem Gelände des
Universitätsklinikums Eppendorf gegründet hat, Operationen für trans Frauen
an.
## Alternative: Operation
„Es gibt trans Frauen, die die weibliche Stimme so adaptieren können, dass
sie keine Operation brauchen. Aber in den Momenten, in denen man
unkontrolliert ist, zum Beispiel beim Lachen oder Niesen, kann es sein,
dass ein tiefer Ton durchrutscht. Manche stört es, ständig auf ihre Stimme
achten zu müssen“, sagt der Mediziner. Dann verkürzt Hess mit
mikrochirurgischen Instrumenten den vorderen Bereich der Stimmlippen, die
ohnehin nur wenige Millimeter lang sind.
Anschließend näht er sie mit einem dünnen Faden wieder zusammen. Durch die
Operation könne eine trans Frau ihre Stimme bis hin zu einer Oktave
erhöhen, erklärt der Arzt. Er bereite seine Klientinnen ausführlich auf die
Entscheidung für eine Operation vor. „Denn wenn man einmal eine solche
Operation machen lässt, gibt es kein Zurück mehr.“
Für Sophie S. kam ein operativer Eingriff nicht in Frage, obwohl sie
dadurch die Dauer der Logopädie möglicherweise hätte verkürzen können. „…
bin sehr vorsichtig mit Operationen und habe Angst vor Komplikationen“,
sagt sie. Und so ging sie zehn Monate lang, insgesamt etwa 30 Mal, für eine
45-minütige Einheit zur Logopädin. Ein knappes Jahr sei die übliche Dauer
der Therapie, sagt Wilde. Die Krankenkasse übernimmt bei ihr einen Großteil
der Kosten.
Das Training ist anstrengend, Wilde nennt es „Hochleistungssport für die
Stimme“. „Wenn man einen Waschbrettbauch haben will, reicht es auch nicht,
einmal fünf Sit-ups zu machen“, sagt die Logopädin, „Da muss man jeden Tag
dran arbeiten.“ Nur so könnten sich die Muskeln aufbauen und kann sich die
Technik herausbilden. S. trainierte am Anfang eine halbe Stunde pro Tag.
## Höher und höher
Mittlerweile ist es deutlich weniger geworden. Im Juli war S. zum letzten
Mal bei der Logopädin, sie ist zufrieden mit ihrer Stimme. „Irgendwann kam
der Moment, wo ich gemerkt habe: Jetzt ist es okay“, sagt sie. Dabei sei
die Stimmangleichung ein schleichender Prozess gewesen, bei dem sie selbst
die Fortschritte oft kaum bemerkt habe.
Doch als die Logopädin ihr vor Kurzem eine Audioaufnahme aus einer der
ersten Stunden vorgespielt hat, sei ihr bewusst geworden, wie stark sich
ihre Stimme geändert habe, sagt S.. Und auch wenn sie immer noch „Platz für
improvement“ sieht, ist sie zufrieden: „Ich habe den Mut, zu sprechen.“ B…
dem Start-up, bei dem sie arbeitet, hat sie sogar schon Anrufe mit Kunden
übernommen, sagt sie und wirkt dabei stolz.
S. achtet jetzt weniger auf ihre Stimme – und das ist ein gutes Zeichen.
Vielleicht wird sie aber in Zukunft doch wieder mehr trainieren, selbst
gewählt. Denn in der Unterstufe hat sie im Chor ihrer Schule gesungen, bis
sie im Stimmbruch den Spaß daran verlor. Eine Operation an den Stimmbändern
war für sie auch deshalb keine Option, weil sie Angst hatte, ihre
Singstimme zu verlieren.
So hat sie immer noch die Möglichkeit, wieder im Chor zu singen. „Man weiß
ja nie“, sagt sie. Doch gerade reicht es ihr noch, mit Freund*innen Karaoke
zu singen. Da macht sie seit ein paar Wochen nämlich auch wieder mit.
1 Sep 2019
## LINKS
[1] /Transgeschlechtlichkeit-und-Mutterschaft/!5573254/
[2] /TransPersonen-auf-IMDb/!5615572
## AUTOREN
Laurenz Schreiner
## TAGS
Transgender
Queer
Schwerpunkt LGBTQIA
Frauen
Transgender
Kolumbien
Trans-Community
Sprache
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