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# taz.de -- Urteil im Chemnitz-Prozess: Kein Mittel gegen den rechten Mob
> Ein Urteil soll Klarheit bringen – im Chemnitz-Prozess gelingt das nicht.
> Es steht der Verdacht einer politisch motivierten Entscheidung im Raum.
Bild: Zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt: Alaa S. in Handschellen vor Gericht
Was kann und soll ein Gerichtsprozess? Ein Gerichtsprozess kann und soll
Fragen klären. Ereignisse rekonstruieren, Widersprüche auflösen,
Puzzleteile zusammensetzen, bis sich ein möglichst genaues Bild ergibt.
Damit dann möglichst gerechte Urteile gefällt werden können.
Der Gerichtsprozess zur Aufklärung der tödlichen Messerattacke auf Daniel
H., der am 26. August 2018 am Rande des Chemnitzer Stadtfests
niedergestochen wurde, konnte vieles davon nicht. Auch nachdem der
Angeklagte Alaa S. am Donnerstag wegen Totschlags und gefährlicher
Körperverletzung zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, bleiben viele
Fragen offen. Es gibt keine DNA-Spuren, die die Täterschaft von S. beweisen
könnten. Der einzige Belastungszeuge verstrickte sich in Widersprüche. Dazu
kommt: Der Hauptverdächtige Farhad A. saß gar nicht auf der Anklagebank,
sondern ist bis heute flüchtig. Es bleiben also auch nach diesem Urteil
Zweifel – die Verteidiger von Alaa S. haben Revision eingelegt.
Und angesichts der enormen rechtsextremen Mobilisierung, für die der Tod
von Daniel H. im letzten Jahr instrumentalisiert wurde, angesichts der
Tatsache, dass sich dieser Tod in wenigen Tagen zum ersten Mal jährt, und
auch angesichts der [1][Wahlkampf-Hochphase in Sachsen] steht der Verdacht
eines politisch motivierten Urteils im Raum: Soll dem rechten Mob dadurch
Einhalt geboten werden, dass er endlich einen Schuldigen bekommt?
Es gibt keinen Beweis dafür, dass diese These stimmt. Klar ist aber: Sollte
sie stimmen, zeugte sie nicht zuletzt von erheblicher politischer Naivität.
Von der Annahme nämlich, ein rechter Mob lasse sich durch Fakten
beeinflussen. Vom Glauben, dass etwa die Rechtsextremen von Pro Chemnitz
nach einer solchen Verurteilung die Hände in den Schoß legen würden, weil
der Mord an Daniel H. schließlich gesühnt sei.
Sicher hätte ein Freispruch der rechten Mobilisierung zum Todestag erst
recht Auftrieb gegeben, doch der gegenteilige Schluss, ein hartes Urteil
allein reiche, um ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist falsch. Das
zeigt schon ein Blick in die rechte Meinungsblase: Am Donnerstag wurde dort
das Urteil als viel zu mild abgetan – und schon zu Beginn des Prozesses
haben rechte Stimmen verkündet, dieser sei grundsätzlich nicht in der Lage,
Gerechtigkeit herzustellen.
Sollte also jemand wirklich gehofft haben, dieser Prozess könne die
politische Stimmungslage drehen, dann offenbart das nicht nur ein fatales
Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, sondern auch eine erschreckende
politische Kurzsichtigkeit.
22 Aug 2019
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## AUTOREN
Malene Gürgen
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