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# taz.de -- Kunst, Natur und Pflanzen: Garten als Kampfplatz
> Der Gropius Bau wird zum blatt- und blumenbekränzten Idyll. Der „Garten
> der irdischen Freuden“ kennt aber auch Ein- und Ausschlussmechanismen.
Bild: Uriel Orlow, „The Squirrel’s Revenge“, 2017
Pflanzen sind schön. Das merken Metropolenbewohner*innen vor allem dann,
wenn sie sich ins Umland begeben, sich dabei an Baum, Strauch und Feld
erfreuen und mitunter sogar auf der eigenen Scholle das eine oder andere
Pflänzchen ziehen. Das ist die idyllische Perspektive.
An ihr arbeitet sich auch so mancher Beitrag der Ausstellung „Garten der
irdischen Freuden“ im [1][Gropius Bau] ab. Die Videokünstlerin Pipilotti
Rist etwa wartet mit einer Überkopf-Projektion auf, bei der man bequem
lümmelnd zwei Eva-Gestalten dabei verfolgen kann, wie die sich an
paradiesischem Blattwerk zu schaffen machen. Auf ewig gestellte Schönheit
ist hier ausgestellt, bar jeder dynamisierenden Dramatik,
Paradiesbewohnerinnen eben, die sich noch vor dem Sündenfall befinden.
Sündiger schon ist Zheng Bos großräumige Farninstallation. Runde Kissen
sind vor jedem Farn platziert. Das Publikum kann sich in 1:1-Situationen
mit der Pflanze beschäftigen. Auf Videoscreens zwischen den Farnen sieht
man nackte junge Männer mit den Farnen kommunizieren. Die Unschuld der
Frau-Pflanze-Beziehung aus Rists Arbeit weicht hier einem begehrenden
Zugriff, mal sexuell konnotiert, mal auf Energiezufuhr mittels
Einverleibung ausgerichtet. Zheng Bo liefert auch ein Manual über essbares
Unkraut in Taiwans Wäldern.
## Der Garten als gezähmte Natur
Flugs ist man beim Vernutzungsaspekt. Gärten sind gezähmte Natur. In ihnen
wird sorgfältig selektiert, was wachsen darf und was nicht. Ästhetische
Kriterien spielen ebenfalls eine Rolle, der schöne Wuchs, der reizvolle
Kontrast zwischen Gehölz und Blumen.
Und natürlich gehören zum Garten auch die Pflanzen, die man selbst essen
kann oder an deren Früchten man sich labt. Ein Obstgarten in England mit
leibhaftig Äpfel aufhebendem Dichter, der unter den Bäumen spaziert, ist
Objekt von [2][Tacita Deans] Videoarbeit „Michael Hamburger“.
Das sind alles erwartbare Beiträge. Ihre Kraft und Relevanz bezieht die in
den üppigen Räumen des Erdgeschosses des Gropius Baus ausgebreitete
Ausstellung aber vor allem durch Arbeiten aus Südafrika. Lungiswa Gqunta
legt einen ganz besonderen Garten an. Grün schimmert dieses Geviert, wie
ein abgezirkelter englischer Rasen in den Reichen- und
Pseudoreichen-Siedlungen allüberall auf dem Globus.
## Mit zerbrochenen Glas bewehrte Mauern
Statt Gras verwendet sie aber abgebrochene Coca-Cola-Flaschen. Mit diesen
scharfkantigen Objekten bewehren in Südafrika – und auch woanders – die
Reicheren ihre Mauern, um unerwünschte Personen am Eindringen zu hindern.
Gquntas „Lawn I“ steht in bitterem Kontrast zur sanften Arbeit von Renato
Leotta. Er legte noch ungebrannte Lehmziegel unter Zitronenbäume in
Sizilien.
Die herabfallenden Früchte prägten sich ein in den weichen Baustoff. Mit
bloßen Füßen kann man den Abdruck der gelben Früchte erspüren. Das ist
zart, poetisch, genussreich – und lässt doch die Machtverhältnisse von
Eigentum, Abgrenzung und Ein- wie Ausschluss komplett außen vor.
Uriel Orlow, ein Schweizer Künstler mit längeren Aufenthalten in Südafrika,
thematisiert in seinem facettenreichen Großprojekt „Theatrum Botanicum“
aber genau das: die Machtverhältnisse. Ausgehend von den lateinischen und
englischen Beschriftungen der Pflanzen in Südafrikas botanischen Gärten
macht er sich auf die Suche nach den Namen, unter denen diese Pflanzen in
der indigenen Bevölkerung bekannt waren, bevor sie auf Englisch und Latein
katalogisiert und kolonialisiert wurden.
## Die große Pappel, Orientierungspunkt der ANC-Aktivisten
Orlow gräbt auch Geschichten zu Pflanzen aus, etwa zu einem enormen
Mandelbaum. Der wurde 1660 von den ersten niederländischen Siedlern
gepflanzt, um der indigenen Bevölkerung den Zugang zum als eigen
betrachteten Gelände zu verwehren. Ein anderer Baum mit Geschichte ist der
sogenannte Ruth-Fischer-Baum. Die große Pappel diente ANC-Aktivisten als
Orientierungspunkt, um in Zeiten der Verfolgung den sicheren Unterschlupf
im Haus von Ruth Fischer, einer Tochter des Nelson Mandela-Anwalts Braam
Fischer, zu finden.
Der sogenannte Alte Sklavenbaum im Kapstädter Viertel Woodstock ist ein
über 500 Jahre alter Milchbusch, in dessen Schatten einst Sklaven verkauft
und jene, die sich nicht beugen wollten, an den horizontalen Ästen erhängt
wurden. Auch die Biopiraterie – die Patentierung von pflanzlichen
Substanzen zum Zwecke der pharmazeutischen Vermarktung – ist ein Thema von
„Theatrum Botanicum“.
Orlow liefert damit das Schlüsselwerk dieser Themenausstellung. Ein zweites
Schlüsselwerk, ganz am Anfang präsentiert, stammt aus der Zeit, in der die
Länder, die später zu Kolonien werden sollten, gerade von Europäern
„entdeckt“ wurden: Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“. Bei all diesen
sonderbaren Menschenformationen, die sich baden, die mit Pflanzen, Tieren
und Fantasiewesen verschmelzen, bleibt stets offen, ob Bosch hier
Entgrenzung und maximalen Lustgewinn predigen, davor warnen oder vor allem
den Drang danach bildgewaltig – und mit einer Spur Ironie versehen – in
Szene setzen wollte.
„Garten der irdischen Freuden“ ist eine so prächtige wie kluge Ausstellung.
Stephanie Rosenthal, langjährige Kuratorin der Londoner Hayward Gallery,
zeigt damit, dass sie auch als neue Direktorin des Gropius Baus das
Kuratieren von Komplexitäten nicht verlernt hat.
17 Aug 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Tom Mustroph
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