| # taz.de -- Studierendenfilme in Stade: Elbinsel als Experimentierlabor | |
| > Was kommt heraus, wenn werdende Architekt*innen auf einer Sandbank | |
| > Kurzfilme drehen? Zu sehen ist das Ergebnis im Stader Kunstverein. | |
| Bild: Aus dem Topf in die Freiheit (und das in vier Minuten): Held von „Gewur… | |
| Bremen taz | Filmkunst zu machen, diesen Anspruch hatte keine*r von ihnen: | |
| Architektur haben sie studiert, Stadtplanung, Urban Design und „Kultur der | |
| Metropolen“, und das alles an der Hamburger Hafencity-Universiät (HCU). Und | |
| nebenbei belegten die, von denen hier die Rede ist, eben auch noch ein | |
| Seminar bei der Filmemacherin und Dozentin [1][Susan Chales de Beaulieu]. | |
| Was dabei herausgekommen ist, ist derzeit im Stader Kunstverein zu sehen, | |
| in einer Ausstellung im Rahmen [2][des laufenden Hamburger | |
| Architektursommers] – Titel: „Fließende Elblandschaften“. | |
| Zwischen 2013 und 2017 hatte Chales de Beaulieu solche Seminare gegeben, | |
| „Phenomenon Insula“ oder „Inselfilmskizzen“ überschrieben; entstanden … | |
| rund 30 Filme zwischen drei und knapp sieben Minuten Länge. 14 dieser | |
| Arbeiten sind nicht nur in den Augen der Dozentin sehenswert. So sehenswert | |
| sogar, dass sie nun in einer Endlosschleife gezeigt werden in einem der | |
| Ausstellungsräume, die der Kunstverein im ehemaligen | |
| Schleusenwärterhäuschen an der Unterelbe bespielt. In zwei weiteren, | |
| kleinen Sälen hängen Standbilder aus den Filmen sowie kurze von den | |
| Macher*innen verfasste Erinnerungstexte. | |
| ## Stilistisch stimmig | |
| Meist haben sie in Dreiergruppen gearbeitet, und so haben diese Kurzfilme | |
| insgesamt 34 Autor*innen, bilden dabei aber stilistisch eine erstaunlich | |
| stimmige Einheit. Ob es an einem nicht offen gelegten schöpferischen | |
| Beitrag Chales de Beaulieus liegt? Inszeniert, gedreht, geschnitten und | |
| vertont haben die Studierenden, das steht fest. Aber die Aufgabenstellung | |
| und die Vorbereitung in den Seminaren scheinen sehr stringent gewesen zu | |
| sein, und so wirken die 14 Arbeiten bei allen Unterschieden wie die | |
| verschiedenen Strophen eines Filmgedichts über Elbe und Elbinsel, Wasser | |
| und Land. | |
| Wie kommen junge Studierende heutzutage darauf, Kurzfilme zu drehen, die | |
| aussehen wie Experimente aus dem mittleren 20. Jahrhundert? Und das, obwohl | |
| sie sie mit digitalen Kameras und Schnittprogrammen an Laptops produziert | |
| haben? Chales de Beaulieu war es wichtig, den werdenden Akademiker*innen zu | |
| vermitteln, dass die zeitgenössischen Hollywoodfilme und -serien, die einen | |
| beträchtlichen Teil heutiger Seherfahrung ausmachen, nur einen kleinen Teil | |
| des Bilderschatzes von inzwischen 120 Jahren Filmgeschichte ausmachen. | |
| Sie zeigte in den Seminaren Ausschnitte aus Filmen, bei denen ganz anders | |
| fotografiert und erzählt wird; mindestens einer von Andrej Tarkovskij | |
| dürfte stets darunter gewesen sein: An die Arbeiten des Russen erinnern | |
| gleich mehrere Filme. | |
| Die Aufgabenstellung war weiterhin, möglichst minimalistische Filme zu | |
| machen. Gedreht wurde größtenteils bei Exkursionen auf Hanskalbsand in der | |
| Unterelbe. Nur sechs Stunden waren die Filmteams jeweils auf der | |
| unbewohnten Sandbank – im Winter. Das ist wichtig: Chales de Beaulieu | |
| wollte erklärtermaßen „bloß nicht die Lieblichkeit des Sommers“, vielmehr | |
| sei doch das „reduzierte Farbspektrum“ im Winter eine größere | |
| Herausforderung für die Filmemacher*innen. Dass gleich mehrere von ihnen | |
| dann in Schwarzweiß gearbeitet haben, ist vielleicht nur folgerichtig. | |
| ## Exotisches Setting | |
| Hanskalbsand dürfte zu den exotischeren Drehorten gehören, die man in der | |
| Nähe Hamburgs finden kann, und in der Mehrzahl der nun ausgestellten Filme | |
| wird dann auch diese Flusslandschaft erkundet. So konzentrierte sich etwa | |
| Marc-Anton Jacob in „Unsichtbare Grenzen“ auf das Zusammenspiel von Wasser | |
| und Eis. | |
| Jakob Mewes erforscht in „Anthropozän“ mit dem Blick eines Archäologen von | |
| der Flut angeschwemmte menschliche Überbleibsel: ein verrostetes Feuerzeug | |
| oder eine kleine Schnapsflasche. Fraktale Muster in extremen Nahaufnahmen | |
| zeigen Tim Diesing, Oskar Görg und Julian Scheffczyk in „Das große | |
| Geheimnis“, und sie arbeiten dabei Ähnlichkeiten heraus: zwischen den | |
| gezeichneten Umrissen der Elbinsel selbst, den Strukturen in den Bäumen | |
| und, wiederum, am Boden gefundenen Dingen. | |
| Ob sie nun angehende Architekt*innen sind, werdende Stadtplaner*innen oder | |
| „urban designers“: Die hier Beteiligten beweisen einen ausgeprägten Sinn | |
| für Räume. Ihren Filmen ist anzumerken, mit welcher visuellen Neugier die | |
| Macher*innen den Sand erkundet haben. Das Erzählen von Geschichten war | |
| weniger wichtig, einen Anflug von Humor gibt es nur in „Gewurzel“ von | |
| Marie-Theres Böhmker, Laura Gericke und Claas-Simon Ottrand: In dem | |
| Vierminüter soll ein Bonsai-Bäumchen aus seinem Topf befreit auf der Insel | |
| ausgewildert werden. | |
| Als Kulisse dient die Insel nur in einem Film, „theonemanisland,“ zu | |
| Deutsch etwa „Dieeinmanninsel“. Cyrus Ahmadi, aus Syrien stammend, Tarick | |
| Chahade und Tobias Kuhn versuchen sich da an einer politischen Parabel: | |
| Nacheinander suchen drei Männer Zuflucht auf einer Insel und werden jeweils | |
| von den früher Angekommenen misstrauisch beäugt. | |
| ## Vom Seminar ins Museum | |
| Susan Chales de Beaulieu selbst hat sich mit Porträtfilmen einen Namen | |
| gemacht, deren bekanntester ist [3][„Alien, Marx & Co“] über den | |
| Philosophen Slavoj Žižek. Seit einiger Zeit hat die Schwedin sich darauf | |
| spezialisiert, Arbeiten von Seminarteilnehmer*innen zu präsentieren. So hat | |
| sie im letzten Jahr ein ganz ähnliches Projekt in der Kunsthalle Emden | |
| kuratiert: Unter dem Titel „Der offene Blick“ zeigte sie 25 Kurzfilme, | |
| entstanden an der Hochschule Emden. | |
| Besonders originell war aber das Konzept zu [4][„15 Filmtagebücher“], | |
| Anfang dieses Jahres im Museum Pfalzgalerie in Kaiserslautern: Einen Kurs | |
| von Masterstudent*innen ließ sie 28 Stunden lang zwölf wichtige Filme | |
| ansehen. Dann sollten die Teilnehmer*innen ihre Erfahrungen in Tagebücher | |
| schreiben, die dann, schön gebunden, das Zentrum der Ausstellung bildeten. | |
| 7 Aug 2019 | |
| ## LINKS | |
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| [3] /!442539 | |
| [4] https://www.mpk.de/archiv-details/events/id-15-fimtagebuecher.html | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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