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# taz.de -- Falsch berechnete Umsatzsteuer-Pauschale: Wie Bauern das Finanzamt …
> Kritik vom Bundesgerichtshof: Landwirte nehmen jährlich zusammen 200
> Millionen Euro mehr Umsatzsteuer ein, als sie an den Staat weiterleiten.
Bild: Geld wie Mais: Ein Feldhäcksler erntet Maispflanzen für eine Biogas-Anl…
Berlin taz Viele Bauern klagen gern, dass der Staat ihnen das Leben schwer
mache: die ganzen Umweltauflagen, die Bürokratie, die Steuern. In
Wirklichkeit haben die Landwirte in Berlin eine starke Lobby. Mit ihrer
Hilfe schaffen es manche Landwirte, nicht nur Kühe, sondern auch den Staat
zu melken. Und das nicht nur über die Agrarsubventionen, die bekanntlich
fast alle Bauern von der Europäischen Union bekommen. Zusätzlich nutzen
auch große Betriebe eine Ausnahmeregelung im Umsatzsteuerrecht, mit der die
Europäische Union eigentlich kleine Höfe fördern wollte.
Zu diesen Absahnern gehören Bauern, die von 2011 bis 2014 Gülle an mehrere
Biogas-Anlagen in Niedersachsen lieferten. Dafür erhielten sie den
stattlichen Preis von 12,50 bis 13,50 Euro pro Tonne, obwohl auf dem
Güllemarkt damals laut Finanzamt nur 3 Euro üblich waren. Die Kraftwerke
hatten damit kein Problem, da ihre Betreiberfirma den Bauern selbst
gehörte. Der Clou: Wegen des höheren Preises kassierten die Bauern mehr
Umsatzsteuer (auch Mehrwertsteuer genannt) bei dem Deal. Anders als bei
normalen Unternehmern konnte sich der Staat die Abgabe, die er der
Biogasanlage erstattet hatte, aber nicht von den Landwirten holen. So
machten sie einen schönen Extragewinn. Das geht aus einem [1][Urteil des
Niedersächsischen Finanzgerichts] vom März zu dem Fall hervor.
Die Bauern nutzten eine Sonderregelung für die Branche, wonach Landwirte
ihre Umsatzsteuer pauschalieren dürfen. Das bedeutet vor allem, dass sie
die Steuer nicht ans Finanzamt weiterleiten müssen. Im Gegenzug können sie
sich aber auch nicht die Mehrwertsteuer vom Fiskus zurückholen, die sie
selbst bei Käufen gezahlt haben. All das soll ihnen Arbeit bei der
Steuererklärung, also Bürokratie, ersparen.
Problematisch für den Staat kann das werden, wenn diese Bauern mehr
Umsatzsteuer einnehmen, als sie ausgeben. Dann muss nämlich oft nicht ein
anderer Steuerpflichtiger, sondern das Finanzamt die Steuer zahlen. Genau
das passiert in Deutschland aber massenweise. Denn weil das
Bundesfinanzministerium laut Bundesrechnungshof den pauschalen Steuersatz
falsch kalkuliert hat, nehmen zwei Drittel der Bauern insgesamt [2][über
200 Millionen Euro] Umsatzsteuer pro Jahr mehr ein, als sie selbst an das
Finanzamt zahlen. Die EU-Kommission sieht dadurch europäisches Recht
verletzt. Die deutsche Praxis „führt zu großen [3][Wettbewerbsverzerrungen
auf dem Binnenmarkt], insbesondere zugunsten großer Landwirte“, kritisierte
die Kommission kürzlich. Sie verklagt die Bundesrepublik deshalb nun vor
dem EU-Gerichtshof.
## Verstoß gegen EU-Recht?
Eine [4][Richtlinie der Europäischen Union] erlaubt den Mitgliedstaaten
zwar, bestimmten Bauern eine Umsatzsteuerpauschale einzuräumen. Diese
Pauschalregelung ist laut EU-Kommission aber nur für Landwirte gedacht, die
bei dem normalen Steuerverfahren „auf verwaltungstechnische Schwierigkeiten
stoßen dürften“. Das sind vor allem kleine Höfe, die kaum Personal haben
für Bürokratie: also zum Beispiel der kleine Hof ohne Angestellte, dessen
Eigentümerfamilie von früh bis spät im Stall oder auf dem Feld steht. Die
Regel ist aber nicht gedacht für Landwirte, die an großen Biogasanlagen
beteiligt sind und mit Hilfe von hochspezialisierten Steuerberatern Geld
von einer Firma in die andere verschieben, um das Finanzamt auszutricksen.
Die Richtlinie verbietet zudem, dass die Landwirte insgesamt mit den
Pauschalsätzen mehr Umsatzsteuer einnehmen, als sie bei ihren eigenen
Käufen zahlen.
Gegen diese Regeln verstoße das deutsche Recht aber, bemängelt der
Bundesrechnungshof: Nach seiner Kalkulation hätte der pauschale Steuersatz
zum Beispiel von 2013 bis 2015 nur 9,4 Prozent statt der tatsächlichen 10,7
Prozent betragen dürfen. Die Biogasanlagen-Firma der Güllebauern hätte sich
also weniger Umsatzsteuer vom Fiskus erstatten lassen dürfen. Der
Pauschalsatz müsste laut Rechnungshof 1,3 Prozentpunkte unter dem
derzeitigen Tarif liegen.
## Hohe Verluste für den Staat
„Diese 1,3 Prozentpunkte entsprechen einem Umsatzsteuerbetrag von über 200
Millionen Euro jährlich“, so die Behörde. Dadurch würden „erhebliche
Steuern“ ausfallen, weil „viele Abnehmer“ dieser Bauern sich die gezahlte
Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückholten.
Wahrscheinlich tun das die meisten. Denn sonst würden sie wohl bei anderen
Bauern kaufen. Brutto sind Produkte der Pauschalbauern nämlich oft teurer.
Auf ihre Waren werden ja 10,7 Prozent Umsatzsteuer, auf die meisten
landwirtschaftlichen Produkte von Bauern ohne Pauschale aber nur 7 Prozent
fällig. Dieser Unterschied kann Unternehmen wie Mühlen, Schlachthöfen oder
Molkereien nur dann egal sein, wenn sie sich an die Pauschalbauern gezahlte
Umsatzsteuer vom Staat erstatten lassen.
## Finanzministerium räumt Fehler ein
Verbraucher, die direkt auf dem Hof kaufen, und Kleinunternehmer mit
weniger als 17.500 Euro Umsatz im Jahr können zwar keine Umsatzsteuer vom
Finanzamt zurückbekommen. Aber diese beiden Abnehmergruppen sind klein. Die
Landwirtschaft erzielt nur rund 7 Prozent ihrer Erlöse, indem sie Produkte
direkt an die Konsumenten verkauft. Der Rest geht an andere Unternehmer.
Die rund 200 Millionen Euro gehen also wohl weitgehend dem Staat verloren.
Das Finanzministerium hat bereits eingeräumt: Wir haben die Umsätze der
Pauschallandwirte zu niedrig angesetzt, als wir ihren Steuersatz berechnet
haben. Korrigiert hat es den Pauschalsatz trotzdem nicht. Denn in seiner
neuen Rechnung erhöhte das Ministerium nun die angebliche Belastung der
Bauern durch Umsatzsteuerzahlungen bei Käufen, sodass das Ergebnis gleich
blieb. Doch auch da will der Rechnungshof dem Ministerium Fehler
nachgewiesen haben. Nach dem ersten eingestandenen Fehler spricht einiges
dafür, dass sich das Ministerium ein weiteres Mal „geirrt“ hat, um das
Gesicht zu wahren – oder um die einflussreiche Agrarlobby
zufriedenzustellen. Das müssen nun die Richter in Luxemburg entscheiden.
## Große Betriebe nutzen Regel, die für kleine Höfe gelten sollte
Dabei geht es auch um die Vorwürfe der EU-Kommission, Deutschland gestatte
vielen Bauern das Pauschalverfahren zu Unrecht. „Eigentümer großer
landwirtschaftlicher Betriebe“ hätten gar keine verwaltungstechnischen
Schwierigkeiten, die Umsatzsteuer wie andere Unternehmer einzeln
nachzuweisen. Tatsächlich nahmen 2016 laut Bundesrechnungshof von 275.361
in der Statistik erfassten Betrieben [5][66 Prozent die Pauschalierung] in
Anspruch. Sind also zwei Drittel der Landwirte in Deutschland kleine
Bauernhöfe? Eher nicht: Denn in der gleichen Statistik steht, dass 74
Prozent der erfassten Betriebe eine Buchführung mit Jahresabschluss oder
eine Einnahmen-Überschuss-Rechnung hätten. Buchführungspflichtig sind zum
Beispiel große Höfe, die [6][mehr als 600.000 Euro pro Jahr] einnehmen.
Diese großen Betriebe profitieren also von einer EU-Regelung, die
eigentlich kleine Höfe stärken sollte.
Wie das Beispiel der Biogas-Bauern aus Niedersachsen zeigt, bietet dieses
Geschenk vom Staat auch Anreize, noch mehr Gülle etwa in sehr großen
Schweineställen zu produzieren. Obwohl die viele Gülle oder die daraus
entstehenden Gärreste maßgeblich dazu beitragen, dass das Grundwasser in
Deutschland häufig stärker mit potenziell gesundheitsschädlichen Nitrat
belastet ist als laut EU-Recht erlaubt. Wegen der Nitratbelastung drohen
Deutschland nun [7][Strafzahlungen in Millionenhöhe], die nicht nur die
Bauern, sondern die Allgemeinheit zu tragen hätten.
## Auch andere Steuerprivilegien für Bauern
Trotzdem segnete das Finanzgericht in Hannover das Geschäftsmodell der
Biogas-Bauern ab. Und das Bundesfinanzministerium will an den Pauschalen
festhalten. „Die Bundesregierung hält die für Land- und Forstwirte geltende
pauschale Umsatzbesteuerung für vereinbar mit den europarechtlichen
Vorgaben“, teilte das Ministerium der taz mit. „Wir werden daher im
anstehenden Verfahren vor dem EU-Gerichtshof die geltende Regelung gegen
die Vorwürfe der Europäischen Kommission verteidigen.“
Egal wie das Gericht entscheidet – von anderen Steuerprivilegien werden
deutsche Landwirte weiter profitieren. Ende Juli beschloss das Kabinett die
sogenannte [8][Gewinnglättung]. Landwirtschaftliche Einkünfte sollen nun
auf Grundlage des durchschnittlichen Gewinns in drei Jahren besteuert
werden. So können Bauern einen niedrigeren Steuersatz erreichen, als wenn
sie die guten Jahre einzeln versteuern müssten. Und schon länger bekommen
Bauern die Mineralölsteuer [9][auf Agrardiesel teilweise erstattet].
11 Aug 2019
## LINKS
[1] http://rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod?feed=bs…
[2] https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/beratungs…
[3] https://europa.eu/rapid/press-release_INF-19-4251_de.htm
[4] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX%3A32006L0112…
[5] https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/beratungs…
[6] https://www.gesetze-im-internet.de/hgb/__241a.html
[7] /Archiv-Suche/!5613302&s=d%C3%BCnge%252A&SuchRahmen=Print/
[8] https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/2019/190731-Gewinngl%C3%A…
[9] https://www.bmel.de/DE/Landwirtschaft/Foerderung-Agrarsozialpolitik/_Texte/…
## AUTOREN
Jost Maurin
## TAGS
Landwirtschaft
Steuern
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Finanzamt
Landwirtschaft
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