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# taz.de -- Open-Air-Ausstellung MS Artville: Wuchtige Statements
> Bei der Hamburger Open-Air-Ausstellung MS Artville, dem Kunst-Beiboot des
> Pop-Festivals MS Dockville, müssen sich Skulpturen gegen Partys
> behaupten.
Bild: Natur als Mitkünstlerin: Beim MS Artville werden die Kunstwerke der Witt…
Hamburg taz | Doch, der Kosmos des Festivals „MS Dockville“ ist
sympathisch. Gegründet 2007 als Festival für Musik und Kunst im damals noch
räudigen Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, entwickelte sich das Dockville
seither zu einem der wichtigsten Indiepop-Events des Landes, rutschte
zwischendurch Richtung Corporate Rock, fand aber zuletzt zurück zu einem
geschmackssicheren Line-up.
Die bildende Kunst allerdings war schon beim ersten Festival vor zwölf
Jahren an den Rand gedrängt, wurde bald als „MS Artville“ ausgelagert und
fand fortan im Vorfeld des Dockville statt. Wobei allerdings auch das
Artville nach und nach musikalisch überformt wurde – die dreiwöchige
Open-Air-Ausstellung ist nur noch teilweise von der Kunst geprägt,
beherbergt auch den Poetry-Slam „Slamville“ an diesem Samstag, die queere
Party „Vogelball“ am kommenden Samstag diverse Klubformate.
Das Artville lässt sich also als ständiges Ringen um Aufmerksamkeit für die
Kunst lesen. Aus diesem Ringen heraus lässt sich dann auch die Entscheidung
erklären, die „Richtfest“ genannte Vernissage vergangenen Sonnabend nicht
mit einer Party, sondern mit einem Symposium zum Thema „Neue Formen und
(digitale) Räume des Protests“ zu beginnen. Was das Artville so schnell auf
Diskurshöhe mit aktuellen Entwicklungen der bildenden Kunst brachte.
Und dass das eigentlich bis 19 Uhr terminierte Symposium wegen einer
Unwetterwarnung schon kurz vor 17 Uhr abgebrochen werden musste, war zwar
schade, allerdings unvermeidlich: Open Air ist den Unwägbarkeiten des
Hamburger Wetters schutzlos ausgeliefert und die Gewitterfront über dem
Hafen schwemmte tatsächlich jegliche Diskussion hinweg.
## Kaum Raum für Ausreißer
Bis zum Abbruch aber zeigte das Symposium eindrucksvoll den Zwiespalt auf,
in dem sich das Artville befindet: Die Digitalberaterin Anne Wizorek
skizzierte am Beispiel der #Aufschrei-Bewegung 2013 das Prinzip des
Hashtag-Aktivismus und forderte dabei Safe Spaces jenseits der von
toxischen Strukturen durchzogenen sozialen Medien ein. Und wenige Tage nach
den Berichten über rechtsradikale Security beim Hip-Hop-Event „Splash!“
beschlich einen hier die Frage, ob Festivals in der Lage sein können,
solche Safe Spaces herzustellen.
Die Kulturwissenschaftlerin und Künstlerin Penelope Kemekenidou sprach
unter dem Titel „Verkauf die Revolution“ über „liberale Tendenzen im
zeitgenössischen Artivismus“, was ebenfalls einen spannenden Aspekt
aufmachte: Der momentan extrem erfolgreiche Artivismus von Gruppen wie The
Yes Men, dem Zentrum für Politische Schönheit oder dem Peng!-Collective mag
zwar kapitalismuskritisch grundiert sein, funktioniert allerdings
ausschließlich nach Kriterien kapitalistisch strukturierter
Aufmerksamkeitsökonomie. Dass Kemekenidou, die selbst „artivistisch“
arbeitet, diesen Widerspruch thematisierte, zeigt, auf welch hohem
Reflexionsniveau das Artville mittlerweile angekommen ist.
Womit sich natürlich auch das Festival selbst infrage stellt. Da mochte
Wizorek noch so leidenschaftlich eine feministische Utopie beschwören, die
sich aus der digitalen in die reale Welt ausdehnt, da mochte Kemekenidou
noch so fundiert Kritik an der Martkförmigkeit der Kunst üben – das
Artville selbst bleibt eine extrem homogene Veranstaltung, in der kaum Raum
für Ausreißer ist.
Die Referentinnen jedenfalls erfüllten ebenso wie das Publikum die optimal
vermarktbaren Kriterien: jung, cool, hip. Viel Platz für nicht-normierte
Körperimages gab es hier bei aller postulierten Awareness nicht. Dass
allerdings die Organisation sich dieser Problematik bewusst ist, ist ein
großer Teil des Charmes dieses Festivals: Hier soll nicht alles stimmig
sein, stattdessen ist das Gezeigte ein bewusst unfertig gehaltener
Diskussionsprozess, der ständiges Neuaushandeln von Kriterien erfordert.
Und hätte das Unwetter nicht das Symposium fortgeschwemmt, vielleicht wäre
dieser Prozess schon ein Stück weitergegangen.
Ansonsten ging es auch um: Kunst. Meist in wenig subtilen Formen, die sich
gegen die Wucht der Konzert- und Partyformate behaupten können: Street-Art
etwa ist etwas, das im Open-Air-Kontext gut funktioniert. Der bemalte
Container von Dzia, der ein comicartiges Fuchsgemälde zeigt, als Hommage an
das auf dem Gelände herumstreunende Wildtier. Oder Arkanes großformatiges
Porträt „Die weiße Rose“ von Hans Scholl und Traute Lafrenz, das zwar
einerseits fotorealistische Konvention bleibt, andererseits aber durch sein
politisches Pathos zum wuchtigen Statement wird.
Auch skulpturale Arbeiten haben hier ihren Ort, die verstörende
Social-Media-Splitter-Installation des Kollektivs Mentalgassi etwa oder der
aus Müll gebastelte Riesenmaulwurf „Plastic Mole“ von Bordalo II. Kunst,
die nicht mit dem Florett kämpft, sondern eher mit der Keule, die aber für
sich genommen ihre Qualitäten hat.
Welche Qualitäten das sind, zeigt sich im Vergleich mit der
Rauminstallation „Why bother with Reality?“ von Parse/Error oder dem
Kreuzwort-Gewirr „Wordsearch Game“ von Alïda Gómez: Die werden im
klassischen Pavillonumfeld des „Kubendorf“ genannten Ausstellungsbereichs
präsentiert und können ihre Schärfe nur schwer zum Ausdruck bringen. Das
Artville nämlich lebt nicht davon, ein Kunstort zu sein, sondern von der
Durchdringung und dem Konkurrenzverhältnis der Sphären: Kunst hier, Party
da, überwölbt durch den Zauber des Ortes, das Naturerlebnis, die gefährdete
Schönheit des Hafens.
Von Jahr zu Jahr füllt sich das Gelände mehr mit Kunst, als Park
ausrangierter Skulpturen, die der Witterung ausgesetzt bleiben und
entsprechend im Laufe der Zeit angegriffen werden. Beim Richtfest
allerdings hatte die Natur auch zur Folge, dass der geführte Kunstrundgang
nach einer halben Stunde endete: Das Gelände wurde wegen des Unwetters
evakuiert. Im Konkurrenzverhältnis mit der Natur kann die Kunst auch mal
den Kürzeren ziehen, und sage niemand, dass so was nicht interessant sein
kann.
30 Jul 2019
## AUTOREN
Falk Schreiber
## TAGS
Hamburg
Open-Air-Festival
Kunst im öffentlichen Raum
Politische Kunst
Moderne Kunst
Kunst
Deutscher Hip Hop
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