| # taz.de -- Ausstellung „Kunstlandschaft“: Landschaft als geistiges Konstru… | |
| > Das Sprengel-Museum Hannover befasst sich mit dem künstlerischen Zugriff | |
| > auf das Thema Landschaft von den 1950er Jahren bis heute. | |
| Bild: Zurechtgeschnitten und bevölkert: der Wald in Sascha Weidners Bild „Co… | |
| Hannover taz | Das Phänomen Landschaft, so sah es der Schweizer Soziologe | |
| und Erfinder der Spaziergangswissenschaften, Lucius Burckhardt, ist ein | |
| geistiges Konstrukt. Es basiert auf einem Zeichensystem, das einer | |
| Gesellschaft zur Wahrnehmung dient, die nicht mehr direkt vom Boden lebt. | |
| Wie jedes Zeichensystem will auch das zur Landschaft gelernt werden, denn | |
| Landschaft per se ist unsichtbar. Sie ist also nicht in den Erscheinungen | |
| der Umwelt zu suchen, sondern in den Köpfen der Betrachter: Eine Landschaft | |
| zu erblicken, ist eine schöpferische Tat des Gehirns. Ist es Zufall, dass | |
| der erste Schilderer der Landschaft – Homer – blind war, fragte Burckhardt? | |
| Es ist also mehr als naheliegend, wenn das Sprengel-Museum Hannover in | |
| einem kleinen Ausstellungsessay anhand von 17 Werken aus der eigenen | |
| Sammlung einmal verschiedene Sichtweisen auf Landschaften und Naturwelten | |
| in der Bildproduktion seit 1950 gegenüberstellt. „Kunstlandschaft“, so der | |
| mehrdeutige Titel, beschreibt sowohl den künstlerischen Zugriff auf die | |
| Landschaft als auch den Blick auf künstliche Landschaften, die ökonomischen | |
| Interessen, etwa der Landwirtschaft dienen, und dadurch wieder das | |
| Interesse der Kunst auf sich ziehen. | |
| Gerade für den zweiten Aspekt hat das Museum einen hauseigenen Fundus | |
| erster Güte zur Hand, die Schwarz-Weiß-Fotografien norddeutsch herber | |
| Agrarlandschaften von Heinrich Riebesehl aus den späten 1970er-Jahren. In | |
| seinen präzise austarierten Weitwinkelaufnahmen sind etwa abgeerntete Äcker | |
| zu sehen, in Kisten verstaute Feldfrüchte oder ein Ballen Stroh, der fast | |
| das gesamte Bildformat füllt. Manchmal scheint im Hintergrund die | |
| Silhouette eines Dorfes auf, ein stiller Verweis auf die zivilisatorische | |
| Eingebundenheit allen Bauerndaseins. Auch einen Anhänger voll prall | |
| gefüllter Kartoffelsäcke nimmt Riebesehl in den Blick. Ein Sack allerdings | |
| ist zu Boden gefallen, sein Inhalt herausgeplatzt. Er bildet nun die | |
| malerische Betriebsstörung der auf Effizienz ausgerichteten Ausbeutung der | |
| Erdkrume. | |
| ## Ein Pflänzchen auf der Hand | |
| Dieser sachlich distanzierten Interpretation einer vom Menschen gemachten | |
| Landschaft stehen andere Blickweisen nicht nur weiterer Fotograf*innen zu | |
| Seite. Walter Ballhause, bekannt als sozialdokumentarischer Chronist | |
| existenzieller Nöte während der Weimarer Republik, lässt in der Handfläche | |
| behutsam ein Pflänzchen balancieren – das Gleichnis einer fragilen | |
| Beziehung. | |
| Dem Briten John Blakemore, Staatsbürger eines Landes, dem eine hohe | |
| Affinität zum Garten und zur Pflanze attestiert wird, scheint hingegen | |
| selbst barocke Blumenpracht nur Anlass zu beklemmend düsterer Inszenierung | |
| zu bieten. | |
| Claus Goedicke, unverkennbar ehemaliger Meisterschüler Bernd Bechers, | |
| isoliert eine Tulpenzwiebel mit Blattwerk und Blüte wie erhaben vor rotem | |
| Hintergrund. Das Foto entstammt seiner Serie „Dinge“, die | |
| Alltagsgegenstände wie ein Gebiss, Spüllappen oder einzelne Werkzeuge in | |
| ihrer banalen Erscheinung präsentiert. | |
| Dies sind also nicht unbedingt von Empathie beseelte Beiträge zum Thema, | |
| das Martha Rosler, US-amerikanische Videokünstlerin, in drei wackeligen | |
| Super-8-Filmen weiter pointiert. Ihre Kamera fährt etwa entlang grellbunter | |
| Schnittblumenfelder, Monokulturen im Kalifornien: ökologisch desaströs, | |
| jedoch eine der wenigen inoffiziellen Arbeitsmöglichkeiten für nicht | |
| registrierte Immigrant*innen. Aber auch der häusliche Garten ist, jetzt | |
| feministisch betrachtet, ein Hort der Ausbeutung: Was wie Freizeit aussieht | |
| – Blumen gießen, Wäsche in die Sonne hängen – ist die unbezahlte Arbeit | |
| sogenannter Reproduktion. | |
| Zum Glück hält die Ausstellung auch sommerlich Versöhnliches parat: Arnold | |
| Leisslers allegorischen Irrgarten etwa oder den farbigen Linolschnitt | |
| „Kleine Gärtnerei“ der zu Unrecht fast vergessenen Hannoveranerin Grethe | |
| Jürgens. „Landschaft“ ist stets eine subjektive Angelegenheit. | |
| 19 Aug 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Maria Brosowsky | |
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