# taz.de -- Wiederentdeckung von John Fante: Er befragte den Staub | |
> Macho-Großspurigkeit und Selbstzweifel – der US-Erzähler John Fante | |
> feiert literarische Auferstehung. Er gilt als Ahnherr eines dreckigen | |
> Realismus. | |
Bild: John Fante in den vierziger Jahren | |
John Fante wächst auf in Colorado als Sohn italienischer Immigranten, hat | |
also nichts zu lachen unter seinen Mitschülern. Er ist ein „Dago“, | |
„Greaser“ oder „Wop“, weil die meisten seiner Landsleute „without pap… | |
in die USA gekommen sind. Aber Fante hat früh gelernt, sich zu wehren. Er | |
ist klein, nicht besonders kräftig, geht aber keiner Prügelei aus dem Weg. | |
Er fällt über seine Gegner her, kratzt, beißt und nutzt jeden miesen Trick. | |
Dabei will er unbedingt mitspielen, seine Eltern lassen ihn nur nicht: | |
Nick, der laute, jähzornige, opportunistische und bis zur Machokarikatur | |
selbstbewusste Maurer aus den Abruzzen, der mehr schlecht als recht seine | |
Familie ernähren kann, weil er seinen Lohn lieber verspielt und versäuft, | |
und die alles stumm erduldende, katholisch-frömmelnde Mary bestätigen alle | |
Vorurteile der WASPs (White Anglo-Saxon Protestants). John hasst seinen | |
Vater dafür, dass er säuft, rumhurt und der Mutter das Leben zur Hölle | |
macht, aber er liebt und bewundert ihn auch gerade wegen seiner | |
ungezügelten Virilität. | |
Den Widerspruch zwischen dem mütterlich-katholischen Imperativ einer | |
gottgefälligen Existenz und der maskulinen Ungezähmtheit des Vaters | |
inszeniert er immer wieder in seinem Werk. In den Storys und seinem Debüt | |
„Warte bis zum Frühling, Bandini“ erzählt er diesen Konflikt aus der | |
Perspektive des Kindes. Er kriecht ganz hinein in die Psyche des kleinen | |
Jungen, der klarkommen muss mit der Armut, der familiären Gewalt, der | |
Fremdenfeindlichkeit und dem katholischen Tugendterror, der ihm auch noch | |
das letzte bisschen Spaß verdirbt. | |
In seinem zweiten Buch „Frag den Staub“, das jetzt mit den anderen beiden | |
kanonischen Romanen um Fantes Alter Ego Arturo Bandini in einem Sammelband | |
bei Blumenbar erscheint, ist Arturo ein junger Mann und versucht als | |
Schriftsteller in Los Angeles zu reüssieren. Er hat noch nicht viel erlebt, | |
schon gar nicht mit Frauen, also streunt er gierig durch die heißen Straßen | |
der Stadt. | |
Aber er kann sich nicht lösen von seiner katholischen Sozialisation, sie | |
bleibt ein ziemlicher Lustverhinderer, obwohl er es dank Nietzsche und | |
Voltaire eigentlich besser weiß. Er verfällt der bildschönen „Mexe“ Cami… | |
Lopez, die eigentlich einen anderen liebt. Die Affäre nimmt einen | |
unglücklichen Ausgang, aber Arturo triumphiert dennoch – am Ende liegt sein | |
erster Roman in den Buchhandlungen. | |
## Innerlich zerrissen | |
Arturo Bandini ist innerlich zerrissen, schwankt ständig zwischen | |
hedonistischer Haltlosigkeit und bigottem Moralismus, zwischen | |
Hartherzigkeit und tiefem Mitgefühl für die Leidenden, zwischen machohafter | |
Großspurigkeit und Selbstzweifeln. Seine Widersprüchlichkeit hat neben der | |
familiären auch eine soziale Dimension. | |
„Ich habe ihre Nahrung gegessen, ihre Frauen begehrt, ihre Kunst begafft“, | |
schimpft der Icherzähler. „Aber ich bin arm, und mein Name endet mit einem | |
Vokal, und sie hassen mich und meinen Vater und meines Vaters Vater, und | |
sie würden mich gern zur Ader lassen und auf mir herumtrampeln, aber sie | |
sind jetzt alt und sterben in der Sonne und im heißen Straßenstaub. Ich | |
aber bin jung und voller Hoffnung und Liebe für mein Land und für meine | |
Zeit.“ Das ist Arturo Bandinis und John Fantes Konfession. Er will sich als | |
Autor in die amerikanische Literaturgeschichte einschreiben, um seine | |
Emanzipation ein für alle Mal zu besiegeln. | |
Eine Karriere als Schriftsteller ist Fante nicht in die Wiege gelegt. Er | |
hat als Kind eine Marienerscheinung und will zunächst Priester werden, aber | |
als ihn sogar sein geschätzter und verehrter Mentor als Itaker beschimpft, | |
bricht er mit der Kirche. H. L. Mencken, der einflussreichste | |
Literaturkritiker in den USA der 30er und 40er Jahre, wird sein neuer Gott. | |
Er schreibt ihm bald regelmäßig Fanbriefe. | |
## Manuskripte für Mencken | |
Fantes Leistungen sind nicht besonders. Seine akademische Ausbildung | |
bricht er nach mehreren Anläufen ab, aber auf dem College hat er dann doch | |
ein Bildungserlebnis, das seinem Leben eine Richtung gibt – verantwortlich | |
dafür ist seine Englischlehrerin. „Miss Carpenter war eine vollschlanke, | |
freundlich und mütterlich wirkende Frau, die ihre Studenten noch mehr | |
liebte als die englische Sprache“, erinnert er sich 1978 in einem Brief an | |
die Collegeleitung. | |
„Mir hatte sie nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt, bis ich eine harmlose | |
Arbeit über Liebe auf dem Campus abgab. Sie reagierte ganz verzückt … Immer | |
wenn wir uns auf dem Campus trafen, auf den Gänge oder im Seminarraum, | |
stand ein reizendes Lächeln in ihrem Gesicht. Sie liebte mich – nein, nicht | |
auf die emotionale erotische Art oder so etwas, sondern es war eine tiefe | |
Zuneigung und Respekt für ein Talent, von dem ich noch gar nicht wusste, | |
dass ich es hatte. Aber es wirkte wie ein Zauber. Ich entdeckte auf einmal | |
die englische Sprache und das Vergnügen, sie zu benutzen, etwas mit ihr zu | |
machen.“ | |
Das ist die Initialzündung. Fante überschüttet Mencken nun mit | |
Manuskripten. Der stöhnt, bittet um Schonung, aber schließlich findet doch | |
eine Story seine Gnade. Er druckt sie in seiner Literaturzeitschrift | |
American Mercury, und sofort meldet sich auch der Verleger Alfred A. Knopf, | |
der ein Buch mit dem jungen Talent machen will. Daraus wird zwar nichts, | |
aber Fante ist im Geschäft, veröffentlicht weitere Storys und wird als | |
„Vorhut“ einer jungen Autorengeneration gefeiert. | |
## Schnelles Geld beim Film | |
Aber Hollywood lockt. Mit der Schreiberei für den Film ist viel mehr Geld | |
zu verdienen, und so wird, noch bevor sein erstes Buch erscheint, bereits | |
ein Drehbuch von ihm verfilmt. Mencken warnt ihn, aber Fante glaubt | |
tatsächlich die Filmgesellschaften schröpfen und nebenbei Literatur | |
schreiben zu können. Es läuft genau andersherum. Die Arbeit für die | |
Filmindustrie frisst jahrzehntelang seine ganze Energie. Abgesehen von | |
seinem ironisch-liebenswerten, warmherzigen Familienroman „Voll im Leben“ | |
(„Full of Life“, 1952) erscheint kaum noch etwas Gedrucktes von ihm. | |
Erst am Ende seines Lebens – gesundheitlich schon schwer angeschlagen von | |
einem jahrzehntelangen Diabetes, er erblindet bald darauf, und man | |
amputiert ihm nach und nach beide Beine – bündelt er noch einmal seine | |
Kräfte und kehrt in seinem großen Spätwerk „Unter Brüdern“ („Brotherh… | |
the Grape“, 1977) zu seinem verschlagenen, ehebrecherischen, Suffkopf eines | |
Vater zurück, dessen Zeit jetzt langsam abläuft. | |
Das Buch wird viel gelobt und kommt genau zur rechten Zeit. Gerade hatte | |
nämlich Charles Bukowski den Namen John Fante mit dem verkaufsfördernden | |
Hinweis „Lieblingsschriftsteller“ fallen gelassen. Die harte, nicht | |
drumherum redende, die Gosse nicht aussparende und trotzdem poetische Prosa | |
Fantes hat Bukowski früh gezeigt, was Schreiben eben auch sein kann. | |
## Siechtum und Tarzanjodler | |
Die Bukowski-Gemeinde, allen voran sein Verleger John Martin, entdeckt in | |
ihm zu Recht einen Ahnherr des „dirty realism“. Und jetzt werden, beginnend | |
mit seinem Meisterwerk „Ask the Dust“, die alten Bücher sukzessive neu | |
aufgelegt und die in der Schublade gebliebenen Manuskripte erstmals | |
gedruckt. Das meiste erscheint postum. | |
Aber kurz vor seinem Tod diktiert Fante seiner Frau Joyce noch einen Roman | |
in die Feder, in dem er sich ein letztes Mal mit dem jungen, wilden, | |
hoffnungsfrohen Arturo Bandini durch Los Angeles treiben lässt, der gerade | |
seine erste Geschichte verkauft hat. Als „Warten auf Wunder“ („Dreams of | |
Bunker Hill“) erscheint, siecht Fante schon im Pflegeheim und wartet auf | |
das Ende. Bukowski besucht ihn einmal dort, an dem Tag schleicht Johnny | |
Weißmüller durch die Gänge und erschreckt die Patienten mit seinem | |
Tarzanjodler. | |
Es dauert eine Weile, bis Bukowskis „Gott“ den Weg in die | |
US-Literaturgeschichten findet. Der kalifornische Literaturwissenschaftler | |
Stephen Cooper hatte mit seinen Aufsätzen, Tagungen und Sammelbänden | |
maßgeblichen Anteil daran, und von ihm stammt dann auch die solide, | |
materialreiche, akribisch gearbeitete Biografie „Full of Life“. Man merkt | |
diesem Buch den Rechercheaufwand an, vielleicht ein bisschen zu sehr. Es | |
ist ein Standardwerk, ohne das eine ernsthafte Beschäftigung mit Fante | |
nicht mehr auskommt, das nur leider nicht so viel Spaß macht beim Lesen und | |
das so recht kein Feuer für seinen Protagonisten entfacht. | |
Das schafft Fante aber auch allein. Der erste Absatz reicht meistens. | |
„Eines Abends saß ich auf dem Bett in meinem Hotelzimmer in Bunker Hill, | |
mitten in Los Angeles. Es war ein wichtiger Abend meines Lebens, denn ich | |
musste mich entscheiden: Entweder ich bezahlte, oder ich haute ab. Das | |
stand auf dem Zettel, den mir die Vermieterin unter der Tür durchgeschoben | |
hatte. Ein großes Problem, das höchste Aufmerksamkeit verdiente. Ich löste | |
es, indem ich das Licht ausschaltete und zu Bett ging.“ | |
3 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
## TAGS | |
John Fante | |
US-Literatur | |
Charles Bukowski | |
Roman | |
Nachruf | |
Schriftstellerin | |
Toxische Männlichkeit | |
William T. Vollmann | |
Schwerpunkt Rassismus | |
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