# taz.de -- Psychologe über männliche Sozialisierung: „Eine vaterlose Gesel… | |
> Vor zwölf Jahren hat der Neuköllner Psychologe Kazım Erdoğan eine | |
> Gesprächsgruppe für türkische Väter gegründet – und damit Leben gerett… | |
Bild: Er bringt viele Männer zum Heulen: Sozialarbeiter Kazım Erdoğan in Neu… | |
taz am wochenende: Herr Erdoğan, vor zwölf Jahren haben Sie eine Gruppe für | |
türkischstämmige Väter in Neukölln gegründet. Warum? | |
Kazım Erdoğan: Mit Freude stellte ich fest, dass die Frauen und Mädchen das | |
Zepter rechtzeitig in die Hände genommen haben. Sie haben etwas für sich | |
getan, für die Emanzipation, für die Befreiung. Es gibt für Frauen und | |
Mädchen wunderbare Angebote. Aber wir leben faktisch in einer vaterlosen | |
Gesellschaft. | |
In einer vaterlosen Gesellschaft? | |
Ich stelle leider fest, dass siebzig Prozent der verlassenen oder | |
geschiedenen Väter mit Zuwanderungsgeschichte sich aus der Erziehung ihrer | |
Kinder komplett zurückziehen. Und in den Grundschulen und Kitas werden die | |
Kinder zu 99 Prozent von weiblichen Fachkräften betreut – deren | |
Qualifikation ich sehr schätze. Aber eine Erziehung ohne Väter ist eine | |
Erziehung auf einem Bein. Das kann nicht gut gehen. | |
Worüber sprechen Sie in der Vätergruppe? | |
Es gibt eigentlich kein Thema, mit dem wir uns nicht beschäftigen: Gewalt, | |
Rassismus, Homophobie. Mit dem traditionsbehafteten Leben. Türkische Männer | |
haben einen ganz, ganz schlechten Ruf in diesem wunderbaren Land. Man hat | |
50 Jahre lang über sie geredet, aber nicht mit ihnen. Wenn ein Deutscher | |
durchdreht, dann sagt man „Familiendrama“. Bei einem ausländischen Namen | |
ist das automatisch ein „Ehrenmord“ | |
Ist das ein Klischee, dass türkische Männer so viel Wert auf Ehre legen? | |
Die meisten tragen diesen Begriff immer in ihrem Portemonnaie und holen ihn | |
mehrmals am Tag heraus. Ich habe in der Vätergruppe einmal 35 Zettel | |
verteilt, darauf stand ein Satz: Schreibe bitte auf, was für dich Ehre | |
bedeutet. Nach einer halben Stunde hat keiner ein einziges Wort schreiben | |
können. Also haben wir das mündlich gemacht. Alle gaben ähnliche Antworten. | |
Ehre ist, was meine Vorfahren mir erzählt haben: „Du bist ein Mann, du hast | |
Ehre. Du musst sie schützen. Die Ehre deiner Tochter, deiner Mutter.“ Ich | |
habe sie gefragt: Warum haben ausgerechnet wir Männer diesen Begriff | |
auferlegt bekommen? Wir stellten gemeinsam fest, dass das ein Begriff ist, | |
der innen hohl ist. | |
Auswendig gelernt. | |
Also haben wir versucht, den Begriff mit Inhalt zu füllen. Was ist ein | |
Mensch – nicht ein Mann! –, der Ehre hat? Er ist solidarisch, er lügt | |
nicht, er klaut nicht, er hilft den Schwächeren, er schaut nicht weg. Heute | |
würde kein Teilnehmer den Begriff Ehre wie damals benutzen. | |
Wie schaffen Sie es, Männern beizubringen, über Gefühle zu reden? | |
Es gibt ein Vorurteil: Aus einem Stein des Ararat-Berges bekommt man mehr | |
heraus als aus einem türkischen Mann. Die reden nicht, denkt man. Aber wenn | |
ein Mann, der seine Tochter mit der Gürtelschnalle geschlagen hat, hier im | |
Kreis sitzt und wie ein kleines Kind stundenlang heult, dann ist das der | |
Beweis dafür, dass sie sich öffnen können. Warum? Weil sie hier nicht noch | |
mal zusätzlich bestraft werden. Wir sagen ja nicht: Was für ein Mensch bist | |
du bloß! Wir sagen: Alles, was gut und böse ist, kann von Menschen | |
ausgehen. Und wenn man verzweifelt und enttäuscht ist, macht man Fehler. | |
Welche Vorstellungen von Männlichkeit begegnen Ihnen in der Gruppe? | |
Ein türkischer Mann wird schon als Junge auf das zukünftige Leben | |
vorbereitet: Du bist ein Mann. Ein Mann weint nicht! Sei doch kein | |
Pantoffel, stell dich nicht an! Du musst stark sein, um deine Familie zu | |
schützen! All diese Äußerungen machen doch den Mann zum härtesten Stein der | |
Welt. Stellen Sie sich vor, wie so ein Mann in der Türkei heiratet und zu | |
seiner hier lebenden Frau kommt – und dann bekommt er von ihr Taschengeld. | |
Nach einem Tag sagt sie: Was hast du mit den 10 Euro gemacht!? Das ist für | |
einen Mann, der so erzogen wurde, tödlich. Wenn er nicht Alleinernährer der | |
Familie ist und auch sprachlich sechs Meter hinter seiner Frau läuft, weil | |
sie hier sozialisiert ist und perfekt Deutsch spricht. Und wenn dann später | |
noch eine Trennung dazukommt, können diese Männer zu tickenden Zeitbomben | |
werden. | |
Was tun Sie dagegen? | |
Wir versuchen, präventiv zu handeln. Ich hatte hier oft Männer sitzen, | |
denen ihre Frauen sagten: Du willst ein Mann sein!? Ohne Hartz IV kannst du | |
dir nicht mal eine Unterhose kaufen! Das ist für einen Mann, der | |
Alleinernährer sein soll, ein Todesurteil. Wir sagen: Das ist schlimm, dass | |
du dir so etwas anhören musstest. Aber bitte bleibe ruhig und gelassen. Wir | |
reden über deine Enttäuschung und deine Kränkung. Aber wenn deine Sicherung | |
durchbrennt, bist du im Knast, dann kann dir kein Mensch helfen. Das heißt: | |
Immer wieder vom Positiven ausgehend zu Ergebnissen kommen. | |
Sie treffen sich in der Gruppe seit zwölf Jahren. Was hat sich in dem Leben | |
der Männer verändert? | |
Sie heulen vor Freude, wenn man sie fragt. Wirklich. Sie lösen jetzt ihre | |
Probleme mit ihren Frauen ganz anders, friedlich, die Hände rutschen nicht | |
mehr aus. Wenn sie frustriert sind, verlassen sie die Wohnung und gehen | |
raus. Und bevor sie was Schlimmeres tun, rufen sie mich oder einen | |
Teilnehmer der Gruppe an und fragen: Was würdest du machen? Und: Sie haben | |
als Multiplikatoren Aufgaben übernommen. Sie übernehmen Verantwortung in | |
Kitas und Schulen, sie spielen Theater. Und ein Mann, der mit einem Messer | |
auf dem Beifahrersitz unterwegs war zu seiner Ex-Frau, der kommt jede Woche | |
und freut sich, dass er an seinen Händen kein Blut hat. Er sagt: „Das alles | |
verdanken wir Herrn Erdoğan und dem Verein Aufbruch Neukölln.“ | |
Ihr Prinzip ist, dass Sie niemanden verurteilen. Kommt dieses Prinzip nicht | |
manchmal an seine Grenzen? Was ist, wenn jemand in der Gruppe ein | |
furchtbares Verbrechen gesteht? | |
Gott sei Dank hatten wir das hier in der Gruppe noch nicht. Aber ich habe | |
ehrenamtlich acht Männer im Gefängnis betreut, sie kamen als | |
Importbräutigame aus der Türkei nach Deutschland. Alle acht hatten ihre | |
Frauen ermordet. Sie sagten mir, das war Affekt, ich war auf eine solche | |
Situation nicht vorbereitet. Hätten wir eine Vätergruppe gehabt, wäre meine | |
Frau heute am Leben. Alldem geht etwas voraus. Wenn mich jemand anruft und | |
gesteht, seine Frau geschlagen zu haben, und ich ihm dann sage: Schäme | |
dich!, dann brauche ich ihn gar nicht in meine Gruppe einzuladen. Ich sage | |
ihm: Komm hierher, wir werden uns schon einigen. Das heißt: dem Menschen | |
auf Augenhöhe begegnen. Ich will dich nicht verurteilen. Dadurch, dass du | |
uns angerufen hast und zur Gruppe kommst, hast du schon mehr als die halbe | |
Miete bezahlt, es kann nur noch besser werden. | |
Die Journalistin Sonja Hartwig hat Ihr erstaunliches Leben aufgeschrieben: | |
Sie sind mit sieben Geschwistern in Gökçeharman, einem Dorf in Anatolien, | |
aufgewachsen. Ihre Eltern konnten nicht lesen und schreiben. 60 Jahre | |
später bekommen Sie das Bundesverdienstkreuz. Wie konnte das passieren? | |
Wie konnte das passieren? Das weiß ich auch nicht. Ich trage das | |
Bundesverdienstkreuz nicht, ich erzähle das nicht herum. Ich glaube, meine | |
soziale Ader ist die Ursache. Mein Vater war Analphabet, aber er war sehr | |
hilfsbereit. Er hat Menschen in Not geholfen. | |
Ihre Eltern haben Sie sehr früh auf ein Internat geschickt. | |
Ich habe mit sechs Jahren meine Familie verlassen. Ich musste sehr früh | |
anfangen, mein Bett zu machen. Ich war auf mich allein gestellt. Wenn die | |
Schwestern nicht da sind und die Mama, die alles behütet, wirst du | |
automatisch mit neuen Dingen konfrontiert. Ich musste lernen, mit Heimweh | |
auszukommen. Das war schlimm. Aber irgendwann kapierte ich: Deine Eltern | |
haben das für dich getan. Damit du Bildung genießt und eine bessere | |
Perspektive hast als sie. Ich kann mich nicht genug bei meinen Eltern | |
bedanken, millionenfach. | |
Auf dem Internat in Erzurum, in Ostanatolien, sind Sie einmal Fethullah | |
Gülen begegnet, dem Prediger und Gründer der religiösen Reformbewegung … | |
Ich hatte immer gute Noten. Aber ich hatte einen Chemielehrer, bei dem | |
hatte ich keine Chance. Ich habe alle Fragen richtig beantwortet und | |
trotzdem die schlechteste Note bekommen. Bis meine Kameraden zu mir kamen | |
und sagten: Wenn du so weitermachst, schaffst du die Versetzung nicht. Komm | |
mal mit mit uns. Sie trafen sich jeden Samstag heimlich und gingen zu den | |
Predigten von Fethullah Gülen. Der Chemielehrer war Gülen-Anhänger und | |
hatte sie dorthin geschickt. Gülen führte damals ein Doppelleben: Er war | |
offiziell Imam und predigte in einer Moschee, die staatlich überwacht wurde | |
– und heimlich predigte er in Erzurum. Wir mussten immer unsere Schuhe in | |
den Händen halten. Wäre die Polizei gekommen, hätten wir uns schnell | |
auflösen können. | |
Wie war das, Fethullah Gülen zu begegnen? | |
Er hat immer geheult, wenn er etwas aus dem Koran las. | |
Er hat geweint? | |
Er hat immer geweint. Deswegen wurde seine Bewegung auch so groß. Die Leute | |
haben in diesem Weinen eine Art Ehrlichkeit gesehen. Wahrscheinlich. Ich | |
wollte bloß eine bessere Note in Chemie. Die habe ich auch bekommen. | |
1974 sind Sie am Münchner Hauptbahnhof angekommen. Und hatten keine Ahnung, | |
was Sie tun sollten. Also haben Sie jemanden mit Schnurrbart gesucht. | |
Er war Gastarbeiter und hat mir geholfen, ein Zugticket nach Westberlin zu | |
kaufen. Und im Zug sagte ich mir: Solltest du jemals in der Lage sein, | |
anderen Menschen helfen zu können, zögere nicht! | |
Ist das nicht ungewöhnlich, dass man so unvorbereitet in einem Land | |
ankommt: Kein Wort Deutsch, keine Ahnung, wie das funktioniert? | |
Für Menschen aus Unterschichtsfamilien ist das komplett normal. Sie | |
springen blind ins Wasser. Es fehlen Erfahrungen mit solchen Geschichten. | |
Ich hatte mir Deutschland ganz anders vorgestellt. | |
Wie denn? | |
Die Straßen sind voller Münzen. Alle Wünsche gehen in Erfüllung. Das hat | |
man sich erzählt. Am Münchner Hauptbahnhof habe ich dann gemerkt: Du bist | |
Gymnasiast und schaffst es nicht einmal, dir eine Fahrkarte nach Westberlin | |
zu kaufen. Dass man ohne Deutsch nicht weit kommen kann, habe ich in diesem | |
Moment kapiert. | |
Und dann sind Sie nach Westberlin gekommen und haben bei Ihrem Onkel | |
gewohnt. Sie hatten keine Aufenthaltserlaubnis. Wie hat sich das angefühlt? | |
Das kann ich kaum beschreiben. Jeden Tag mit dieser Angst zu leben, jeden | |
Tag zittern, ich hatte nicht immer Geld, also schwarz U-Bahn-Fahren, bei | |
jedem Auf und Zu der Tür Panik. Mit dieser Angst zu leben ist harte Arbeit. | |
Wirklich. Am 5. Februar kam ich in Berlin an und am 25. September kam ich | |
in Abschiebehaft. | |
Wie sind Sie da rausgekommen? | |
Ich hatte ein Schreiben der Freien Universität Berlin. Für mich war ein | |
Platz in einem Deutschkurs reserviert. Die Ausländerbehörde hat mir eine | |
vierwöchige Frist eingeräumt, um die fehlenden Unterlagen zu besorgen. Das | |
habe ich gemacht. Nach vier Wochen habe ich eine Aufenthaltserlaubnis für | |
drei Monate als Student bekommen. Danach immer ein Jahr, ein Jahr. | |
Einer der Väter aus Ihrer Gruppe hat einmal gesagt: Man ist erst | |
angekommen, wenn man von Deutschland träumt. Stimmt das? | |
Ich träume von Deutschland. Ich träume von der Türkei. Mal bin ich in | |
meinen Dorf und spreche kurdisch und dann bin ich plötzlich in | |
Berlin-Buckow. Ich bin offen. Ich träume viel. Wenn ich Geld brauche für | |
eines meiner Projekte, dann rufe ich jemanden an und sage: Heute Nacht habe | |
ich von Ihnen geträumt, Sie hätten mein Projekt unterstützt. Habe ich | |
richtig geträumt? | |
Da kann man ja nicht Nein sagen. | |
Meistens sagen sie dann: Ja, Sie haben richtig geträumt. Das ist eine sehr, | |
sehr gute Masche, mit den Menschen in eine gesunde Kommunikation zu treten. | |
Weil sie lachen und sich freuen. | |
Sie haben einmal gesagt: Wir sind alle Kinder der Migrationsbewegung. Das | |
hat Wunden hinterlassen. Was sind das für Wunden? | |
Es ist sehr schwer als Mensch, mehrere Wassermelonen unter den Schultern zu | |
tragen. Diese Menschen sind gespalten. Viele sind in der Türkei | |
sozialisiert, sind nach Deutschland gekommen und haben darauf gewartet, | |
eines Tages mit viel Geld zurückzukehren. Und ich kenne ganz, ganz wenige, | |
die mit Geld zurückgekehrt sind. Viele sind mit einem Holzkoffer | |
eingereist, mit großen Hoffnungen und dann wieder in einem großen | |
Holzkoffer zurücktransportiert worden in die Türkei. Das ist die tragische | |
Seite der Migrationsbewegung. Wir sind alle irgendwie migrationsgeschädigt. | |
Was für Wunden haben Sie selbst? | |
Ich bin auch migrationsgeschädigt. Zuhause in Gökçeharman hatten wir kein | |
Radio, keinen Fernseher, keine Musik. Wir saßen dort auf dem Boden, um | |
einen runden Tisch aus Kupfer, in der Mitte eine Schüssel mit Weizenbrei. | |
In der Schüssel bewegten sich 17 Löffel. Ich sehne mich nach dieser Musik. | |
Wir führen zurzeit viele Debatten, in denen es um die Frage geht, wie wir | |
miteinander reden sollen. Dürfen wir mit AfD-Wählern reden? | |
Man soll mit allen Menschen der Welt reden, wenn es geht. Die meisten der | |
AfD-Wähler haben vor ein paar Jahren SPD, Grüne, Linke, CDU und FDP | |
gewählt. Sie wählen ja nicht aus heiterem Himmel die AfD. Man muss mit | |
ihnen kommunizieren. Ich begegne oft Menschen aus der Berliner Verwaltung, | |
wenn ich Vorträge halte und meine Projekte vorstelle. Da sind schon Leute | |
auf mich zugekommen und haben gesagt: Ich bin AfD-Sympathisant, aber | |
nachdem ich Ihnen zugehört habe und weiß, was Sie für unser Land tun, habe | |
ich meine Meinung geändert. Man darf niemals die Tür komplett zumachen. Es | |
ist immer gut, wenn ein bisschen frische Luft reinkommt. Ich weiß, wir | |
werden nicht jeden Menschen der Welt überzeugen, und ich weiß, dass die | |
Welt, von der ich träume, zu meinen Lebzeiten nicht kommen wird, aber es | |
hat keinen Sinn, das man nörgelt, schimpft, flucht, meckert … aber | |
verändern? Sollen die anderen. | |
Woher kommt der ganze Hass? | |
Ich habe das auch in meiner Männerrunde gefragt. Wir haben versucht, uns in | |
die Lage unserer kritischen deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger | |
hineinzuversetzen: Wenn jemand zweimal mit einem Menschen mit | |
Zuwanderungsgeschichte schlechte Erfahrungen gemacht hat, dann | |
verallgemeinert er schnell. Das tun wir alle. Das hat man auch | |
festgestellt, als Thilo Sarrazin sein Buch veröffentlicht hat. Da haben 95 | |
Prozent der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gesagt: Alle Deutschen sind | |
Rassisten. Und bei meinen deutschen Landsleuten ist, bei 50 Prozent, der | |
Eindruck entstanden: Mensch, wenn wir nicht aufpassen, werden die Muslime | |
in 30 Jahren Deutschland ohne Krieg friedlich erobern. Natürlich ist beides | |
komplett falsch. | |
Bei Ihnen in der Gruppe sitzen Kurden und Türken, Erdoğan-Anhänger, | |
Atheisten, Linke, und sie reden miteinander. Wie geht das? | |
Es gibt Regeln: Wir sagen nicht, meine Sicht ist wertvoller als deine. Man | |
meldet sich, man beschimpft niemanden, man wertet niemanden ab. Das ist wie | |
in einer Familie: Nicht alle ticken gleich. Und meinem Bruder tue ich ja | |
auch nichts, nur weil er anders tickt. | |
Identitäten werden immer wichtiger. Kinder aus ostdeutschen Familien fühlen | |
sich ostdeutscher als ihre Eltern, Kinder aus Familien mit | |
Zuwanderungsgeschichte fühlen sich weniger deutsch als früher. Warum ist | |
das so? | |
Es gibt da eine Parallele. Die Enkelkinder der ersten Gastarbeiter wurden | |
von ihren Eltern und Großeltern beeinflusst, die unter prekären Bedingungen | |
leben mussten. Jetzt identifiziert sich ein Teil von ihnen als Rache für | |
ihre Eltern und Großeltern nicht mit diesem Land. Die Großeltern und Eltern | |
der jungen Ostdeutschen hatten auch Hoffnungen, die sich nicht so schnell | |
erfüllt haben. Man hat alle Äste, auf denen sie gesessen haben, abgesägt. | |
Deshalb sind die AfD und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland ausgeprägt. | |
Wenn Träume, Wünsche, Visionen von Menschen auf der Strecke bleiben, | |
wandeln das nicht alle ins Positive um. | |
Wie kann man da Gemeinsamkeiten finden? | |
Mein Rezept wäre, dass man darüber nicht nur in der Presse debattiert, | |
sondern dass man mit den Menschen zusammenkommt und das erörtert. Die | |
Diskussionen laufen nur übers Fernsehen oder über Zeitungen, das ist zu | |
wenig. Wir haben die Menschen nicht erreicht. | |
Was schlagen Sie vor? | |
Sprechen, sprechen und nochmals sprechen. Die Politik alleine schafft das | |
nicht. Ich sage auch der Politik: Wir sollen in der Zeit, wo keine Wahlen | |
sind, zueinanderfinden. Nicht, wenn Wahlen sind. | |
4 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Philipp Daum | |
Wolfgang Borrs | |
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