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# taz.de -- William Saroyans Buch „Tja, Papa“: Der Geschmack eines Hotdogs
> Ein kalifornisch-leichtes Freundlichkeitsexerzitium, das eigentlich
> Großes verhandelt. Und eine phänomenale Wiederentdeckung: William
> Saroyan.
Bild: Ein relevantes Thema: die Geldsorgen des Vaters und Peters Schulhass – …
Einer der bekanntesten US-Literaten Mitte des 20 Jahrhunderts wird gerade
wieder entdeckt. William Saroyan, Kind armenischer Einwanderer, hat in
Romanen, Stücken und vor allem in seinen Short Stories den
entbehrungsreichen, aber auch von großer Solidarität und Empathie geprägten
Alltag der Migranten porträtiert.
Saroyan ist ein Hagiograph des Gewöhnlichen, seine Prosa zelebriert das
Profane und leitet aus der dort entdeckten Schönheit und Humanität die
Hoffnung ab, dass sich das Leben trotz existenzieller Notlagen, viele
seiner Geschichten spielen in der Zeit der „Great Depression“, doch
irgendwie lohnt. Die in seinen Texten stets zum Ausdruck kommende
optimistische Lebensbejahung hat die Wirklichkeitsekstatiker der Beat
Generation, allen voran Jack Kerouac, aber auch J. D. Salinger beeinflusst.
Jetzt hat der Deutsche Taschenbuch Verlag, dem wir schon die im vorletzten
Jahr erschienene vorzügliche Story-Sammlung „Wo ich herkomme, sind die
Leute freundlich“ verdanken, Saroyans autobiografischen Roman „Tja, Papa“
(„Papa You’re Crazy“, 1957) herausgebracht, in der gewohnt eleganten
Übersetzung von Nikolaus Stingl. Ein vermeintliches Nebenwerk, das aber
aufs Ganze geht.
Peters Eltern leben getrennt. Sein Vater kann seine Alimente nicht zahlen,
also nimmt er den Sohn zu sich. Während der Schriftsteller sich
ausgerechnet an einem Kochbuch versucht – „Essen ist das Grundlegendste im
Leben eines Menschen“, wer das geordnet bekommt, bekommt vielleicht auch
alles andere „neu geordnet“ –, wünscht er sich von seinem Sohn einen Rom…
Das ist natürlich nur ein Vorwand, um Peter zu sensibilisieren für das
Leben, für die kleinen Dinge am Wegrand, die seine volle Aufmerksamkeit
verdienen. „So lernst du schreiben – indem du dir alles genau anschaust“,
weiß der Schriftsteller.
Die Kunst genau hinzusehen
Peter fragt seinem Vater jetzt also Löcher in den Bauch, um mit dem Roman
voranzukommen, und der gibt altersgemäße Antworten, verhandelt also im
Modus des Naiven die großen Themen – das Menschsein im Allgemeinen, den
Beruf des Schriftstellers und das Schreiben im Besonderen. Nach einem
Museumsbesuch etwa schlägt der Ältere vor, es sollte in jedem Haus „einen
Kunsttisch geben, auf den Dinge gelegt werden, eines nach dem anderen,
sodass sich jeder in diesem Haus die Dinge ganz genau anschauen und sie
sehen kann“. Dinge wie ein Knopf, eine Mütze, ein Apfel, ein Blatt etc.
Peters Empörung folgt auf den Fuß. „Solche Dinge hat doch jeder schon mal
gesehen.“ „Natürlich“, antwortet der Vater beziehungsweise Zen-Meister.
„Aber niemand schaut sie an, und genau das ist Kunst. Vertraute Dinge so
anzuschauen, als hätte man sie noch nie gesehen … es gibt nichts Natur-
oder Menschengemachtes, das es nicht verdient, auf besondere Weise
angeschaut zu werden.“
So erklärt sich auch die Erzählerfiktion. Ein Zehnjähriger sieht vieles
eben tatsächlich zum ersten Mal. Zumindest sind seine Wahrnehmungsroutinen
noch nicht so etabliert, dass ihm die Welt zu bekannt vorkommt. Er ist
damit ein ziemlich guter Sparringspartner für einen Wahrnehmungsemphatiker.
Saroyans säkular-spirituelle Unterweisungen, das Leben in vollen Zügen
auszukosten, sich auch dem vermeintlich Unbedeutenden mit wachen Sinnen zu
begegnen, sind ein bisschen zu didaktisch.
Kein eskapistisches Märchen
Man bemerkt deutlich die Absicht, und das nimmt seinen profanen Epiphanien
etwas von ihrer Wirkung. Und es sind auch nicht alle Beobachtungen so
unprätentiös haikuhaft, wie sie zu sein vorgeben. Nicht jede Illumination
leuchtet ein. „Das Beste am Geschmack eines Hotdogs ist die Welt“, predigt
der Meister seinem Schüler, „und deshalb ist der richtige Ort, um einen zu
essen, auf der Straße.“
Dennoch folgt man diesen beiden kalifornischen Flaneuren ganz gern durch
Malibu und San Francisco. Sieht ihnen über die Schulter, wie sie sich
gegenseitig die Welt erklären oder sie erst einmal richtig bemerken. So
besichtigen sie im Museum nicht nur Bilder und „echte Teller, Messer und
Gabeln aus alten Zeiten“, sondern auch „zusammengefaltete
Feuerwehrschläuche in den Fluren“.
Die Protagonisten, denen sie begegnen, der Tankwart, der ihnen nicht nur
Benzin gibt, sondern gleich auch den Wagen auf Vordermann bringt, oder das
Bäcker-Paar, das sie aus reiner Nächstenliebe mit frischen Brötchen und
Käse versorgt, sind ein bisschen zu sehr im Reinen mit sich. Sie scheinen
nirgends lieber sein zu wollen als da, wo das Schicksal sie hingestellt
hat.
Doch trotz dieser idealistischen Schlagseite, ist der Roman kein
eskapistisches Märchen. Die monetären Sorgen des Vaters bleiben ebenso
relevant wie Peters Hass auf die Schule. „Und da war alles wieder wie eh
und je“, stöhnt er am ersten Schultag nach den Ferien, „die Jungs, die
Mädchen, die Lunchpakete, die Fahrräder, die Bücher, die Lehrer, der
Vormittag, ein weiterer Schulvormittag, und jedes Gesicht bekümmert.“ Der
kleine Ballast, den beide mit sich herumschleppen, erdet dieses
kalifornisch-leichte Freundlichkeitsexerzitium.
12 Aug 2019
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
Roman
Biografie
US-Literatur
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