# taz.de -- Nukleare Aufrüstung: Ärger schaffen mit neuen Waffen | |
> Die USA und Russland haben den INF-Abrüstungsvertrag begraben und bauen | |
> neue Atomraketen. Für den Weltfrieden bedeutet das nichts Gutes. | |
Bild: Da kommt was ins Rollen: Zwischen USA und Russland droht erneut ein nukle… | |
GENF taz | Um Mitternacht in der Nacht auf Samstag läuft das wichtigste | |
nukleare Abrüstungsabkommen aus der Zeit des Kalten Krieges endgültig aus – | |
der 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion geschlossene | |
INF-Vertrag zum vollständigen Verbot landgestützter, mit Atomsprengköpfen | |
ausrüstbarer Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und | |
5.500 Kilometern (Intermediate Nuclear Forces – INF). Nach der Kündigung | |
des Vertrages am 1. Februar 2019 durch die Trump-Regierung in Washington | |
und am Folgetag durch die Putin-Regierung in Moskau droht nun ein | |
[1][atomarer Rüstungswettlauf.] | |
Die USA rechtfertigen die Kündigung mit angeblichen Vertragsverletzungen | |
Russlands. Moskau habe eine neue, landgestützte Mittelstreckenrakete mit | |
einer Reichweite von 2.600 Kilometern entwickelt. Umgekehrt bezeichnet | |
Russland die in Rumänien und Polen stationierten Raketenabwehrsysteme der | |
USA als Vertragsverstoß, da diese Systeme geeignet seien, auch | |
Marschflugkörper abzufeuern. Die gegenseitigen Vorwürfe wurden bis zuletzt | |
weder eindeutig belegt noch widerlegt. | |
Der nun drohende Raketenwettlauf in Europa könnte noch weit gefährlicher | |
werden als der in den 1970er und 1980er Jahren. Besondere Sorge erweckte | |
damals die neue Pershing-2-Rakete der USA, offiziell präsentiert als | |
Reaktion auf die Aufstellung der auf Westeuropa zielenden sowjetischen | |
SS-20-Raketen. Die Pershing-2 hätte acht Minuten nach Abschuss von ihren | |
drei Stationierungsorten in Baden-Württemberg Ziele bei Moskau erreichen | |
und zerstören können. | |
Mit einer ausreichenden Zahl davon hätten die USA einen Enthauptungsschlag | |
gegen sowjetische Raketenstellungen führen können. Entsprechende | |
Befürchtungen wurden bestärkt durch Strategiekonzepte aus der damaligen | |
US-Administration, die einen solcher Enthauptungsschlag und das Szenario | |
eines auf Europa begrenzten Atomkrieges befürworteten. | |
Damals demonstrierten in der größten [2][Friedensbewegung] seit dem Zweiten | |
Weltkrieg Millionen von Menschen in Europa und auch in den USA gegen | |
„Geist, Logik und Politik der atomaren Aufrüstung und Abschreckung“ und | |
blockierten die Stationierungsorte für Atomraketen. Diese Friedensbewegung | |
trug wesentlich zur Vereinbarung des INF-Vertrages im Dezember 1987 bei. In | |
Umsetzung dieses Abkommens verschrotteten Washington und Moskau ihr | |
gesamtes, fast ausschließlich auf dem eurasischen Kontinent stationiertes | |
Arsenal von insgesamt rund 2.700 Atomwaffen dieser Kategorie. | |
## Nato-Staaten unterstützen die Aufrüstungspläne | |
Die Waffensysteme, die heute in den USA und Russland in der Pipeline sind, | |
lassen die Pershing-2 und die SS-20 alt aussehen. Der US-Kongress | |
bewilligte der Trump-Administration bereits für das Haushaltsjahr 2018 eine | |
erste Tranche von 500 Millionen Dollar zur Entwicklung einer neuen | |
landgestützten Mittelstreckenrakete, die die technologischen Fähigkeiten | |
der Pershing-2 deutlich übertreffen soll – auch hinsichtlich der | |
Möglichkeit, nicht nur feste, sondern auch bewegliche Ziele zu treffen. | |
Denselben „Fortschritt“ bringen auch die bereits in der Produktion | |
befindlichen Nachfolgemodelle für die atomaren Fallbomben vom Typ B61-12, | |
die die USA ab 2020 auf ihren Militärbasen im deutschen Büchel in der | |
Eifel, sowie in den Niederlanden und Belgien stationieren wollen. | |
Diese „Modernisierungsmaßnahme“ wird von allen Nato-Bündnispartnern der U… | |
ausdrücklich unterstützt. Hinzu kommen neue Atomwaffen mit niedrigerer | |
Sprengkraft, die nach Darstellung Washingtons Moskau davon überzeugen | |
sollen, dass die USA selbst bei einem rein konventionellen Angriff | |
Russlands – etwa auf die baltischen Staaten, wie es die Nato seit der | |
völkerrechtswidrigen russischen Annexion der Krim vor fünf Jahren für | |
denkbar hält – bereit und in der Lage wären, atomar zu reagieren. | |
Der russische Präsident Wladimir Putin kündigte seinerseits Anfang Februar | |
die Entwicklung und Stationierung neuer landgestützter | |
Mittelstreckenraketen an sowie von Abschussgeräten für Kalibr-Raketen, die | |
bislang auf Schiffen stationiert sind und daher nicht unter das Verbot des | |
INF-Vertrages fielen. Sie sollen bis Ende 2021 einsatzbereit sein. Außerdem | |
betreibt Russland laut Putin die Entwicklung von Hyperschallraketen mit | |
größerer Reichweite und mindestens fünffacher Schallgeschwindigkeit. | |
Nach dem Ende des INF-Vertrages sinken auch die Chancen, dass sich | |
Washington und Moskau noch rechtzeitig auf ein Nachfolgeabkommen für den | |
2021 auslaufenden Start-Vertrag mit zahlenmäßigen Obergrenzen für | |
strategische Atomsprengköpfe und ihre Trägersysteme | |
(Interkontinentalraketen, U-Boote, Langstreckenbomber) einigen. Im | |
schlimmsten Fall könnte es auch zu einer Aufkündigung des atomaren | |
Teststoppabkommens kommen. Und sollten die USA und Russland wieder | |
ungehemmt atomar aufrüsten, dürfte auch der Vertrag über die | |
Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (NPT) von den 186 Staaten, die seit | |
1970 mit ihrer Unterschrift auf die Entwicklung und den Besitz von | |
Atomwaffen verzichtet haben, immer stärker in Frage gestellt werden. | |
## Auch andere haben Mittelstreckenraketen | |
Eine neue Aufrüstung in den USA und Russland wird zudem zu entsprechenden | |
Anstrengungen in China führen sowie in den beiden inoffiziellen | |
Atomwaffenstaaten Indien und Pakistan. Als US-Präsident Trump den Austritt | |
aus dem INF-Abkommen im Oktober 2018 erstmals androhte, benannte er neben | |
Russland zur Rechtfertigung auch die Mittelstreckenraketen in China, Iran, | |
und Nordkorea, die bei Abschluss des INF-Vertrages 1987 noch nicht | |
existierten. Auch die von Trump nicht genannten Staaten Israel, Südkorea, | |
Indien und Pakistan verfügen heute über Mittelstreckenraketen. | |
Das ist auch aus Wahrnehmung der russischen Regierung ein Problem. Denn die | |
Mittelstreckenraketen dieser sieben Staaten können sämtlich russisches | |
Territorium erreichen, nicht aber das Territorium der USA. Präsident Putin | |
hatte bereits 2007 in seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz auf | |
das „Problem“ hingewiesen, dass der INF-Vertrag nur die USA und Russland | |
binde. Eine Folgevereinbarung, die auch andere Staaten einbezieht, ist bis | |
heute nicht in Sicht – stattdessen fällt die Welt hinter die | |
Abrüstungsfortschritte von 1987 zurück. | |
1 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Zumach | |
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