# taz.de -- Friedensforscher sprechen Warnung aus: Nukleare Bedrohung und Insta… | |
> Das Friedensforschungsinstitut Sipri hat sein neues Jahrbuch | |
> veröffentlicht. Die Liste der negativen Entwicklungen ist lang. | |
Bild: Besonders besorgt zeigt sich Sipri angesichts der atomaren Bedrohung | |
STOCKHOLM taz | Das Bemühen um nukleare Abrüstung und die | |
Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen kommt nicht voran. Im Gegenteil: Die | |
nuklearen Bestände würden laufend erneuert und modernisiert und die | |
Atomwaffenbedrohung sei seit Ende des Kalten Kriegs noch nie so groß wie | |
jetzt, erklärte Schwedens Außenministerin Margot Wallström erst vergangene | |
Woche auf einer Außenministerkonferenz. Zu der hatte ihre Regierung 16 | |
Nichtnuklearwaffenstaaten nach Stockholm eingeladen. | |
Von dort kommen jetzt auch die neuesten Daten über den von Wallström | |
beklagten „Negativtrend“. Auf 13.865 Atomsprengköpfe schätzt das in der | |
schwedischen Hauptstadt angesiedelte Friedensforschungsinstitut Sipri in | |
seinem am Montag erscheinenden und mittlerweile [1][50. Jahrbuch das | |
nukleare Arsenal der neun Atomwaffenstaaten]. Mit 6.500 für Russland und | |
6.185 für die USA haben diese beiden Staaten allein die Kontrolle über 90 | |
Prozent aller Nuklearwaffen. | |
Im vergangenen Jahr hatte Sipri global noch 14.465 Atomsprengköpfe gezählt, | |
also 600 mehr. Eine erfreuliche Entwicklung? Die bloßen Zahlen seien wenig | |
aussagekräftig, betont Shannon Kile, Direktorin des | |
Sipri-Waffenkontrollprogramms. Tatsächlich hätten sich die USA und Russland | |
2010 im „New Start“-Abkommen zu den jetzt noch anhaltenden | |
Reduzierungsmaßnahmen verpflichtet. | |
Russland habe deshalb im vergangenen Jahr 350 Atomsprengköpfe verschrottet, | |
die USA knapp 300. Ausgemustert werde aber im Wesentlichen nur das, was | |
sowieso veraltet und nicht mehr einsatzfähig sei. Nimmt man nur die | |
stationierten Atomsprengköpfe, also die mit „hoher operationeller | |
Bereitschaft“ unmittelbar einsatzbereiten Atomwaffen, [2][so schätzt Sipri | |
deren Bestand auf 1.750 für die USA und 1.500 für Russland]. | |
## Die Liste der negativen Entwicklungen ist lang | |
Für die künftige Entwicklung entscheidend sei, dass die Aussichten für ein | |
Anschlussabkommen für das 2021 auslaufende New-Start-Abkommen „angesichts | |
der politischen und militärischen Differenzen zwischen beiden Staaten | |
zunehmend unwahrscheinlich“ werde, sagt Kile: „Und sowohl die USA wie | |
Russland befinden sich auf dem Weg einer strategischen nuklearen | |
Erneuerung.“ | |
Dabei hätten die USA 2018 das für die Jahre 2019 bis 2028 hierfür | |
eingeplante Budget noch einmal kräftig aufgestockt auf nunmehr knapp 500 | |
Milliarden Dollar, sagt der Sipri-Forscher Hans M. Kristensen. Nach | |
Schätzungen des Haushaltsbüros des US-Kongresses dürfte das bis in die | |
2040er Jahre reichende Programm der US-Nuklearaufrüstung 1.200 bis 1.700 | |
Milliarden Dollar verschlingen. Russland werde versuchen, mit dieser | |
Aufrüstung Schritt zu halten, schätzt Sipri. | |
Was die übrigen Atomwaffenstaaten angeht, haben Großbritannien und | |
Frankreich mit 120 beziehungsweisse 280 stationierten Atomsprengköpfen die | |
Zahl ihrer einsatzbereiten Atomwaffen etwa auf gleichem Stand gehalten. Für | |
China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea geht Sipri von leichten | |
Zuwächsen aus. | |
Indien und Pakistan hätten ihre Produktionskapazitäten für militärisch | |
anwendbares spaltbares Material deutlich erhöht, sagt Shannon Kile: „Dort | |
könnte es im Laufe des kommenden Jahrzehnts zu einer bedeutenden | |
Aufstockung bei den nuklearen Beständen kommen.“ | |
## „Abdriften zu wachsender Instabilität“ | |
Die Liste der negativen Entwicklungen, die das Sipri-Jahrbuch im System der | |
internationalen Sicherheit registriert, ist lang. Besonders hebt der | |
Friedens- und Konfliktforscher und Sipri-Direktor Dan Smith dabei die | |
Aufkündigung des iranischen Atomabkommens und den Ausstieg der USA aus dem | |
INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme hervor. | |
Genannt werden auch die weltweit insgesamt wieder wachsenden | |
Rüstungsausgaben, der zunehmende globale Waffenhandel und die erneut und | |
mittlerweile auf über 67 Millionen angestiegene Zahl der infolge | |
bewaffneter Konflikte gewaltsam vertriebenen Menschen. | |
Die internationalen Beziehungen seien durch ein „Abdriften zu wachsender | |
Instabilität“ geprägt, bilanziert der Sipri-Direktor: „Es gibt immer | |
weniger Klarheit darüber, ob die geschriebenen Gesetze und Regeln der | |
internationalen Systeme respektiert werden, geschweige denn seine | |
ungeschriebenen Normen.“ | |
Und dies angesichts einer nahen Zukunft, in der damit gerechnet werden | |
müsse, dass die Auswirkungen der Klimaänderungen und deren unvermeidbare | |
Folgen für die Sicherheit jedes Einzelnen und aller Nationen die | |
internationale Stabilität in wachsendem Masse negativ beeinflussen werden. | |
Die Frage der nuklearen Aufrüstung „gibt es auf der politischen | |
Tagesordnung kaum noch“, beklagte Bundesaußenminister Heiko Maas auf der | |
Konferenz der Nichtnuklearwaffenstaaten in Stockholm: „Aber da muss sie | |
wieder hin.“ Man wolle die Bemühungen mit dem Ziel einer nuklearen | |
Abrüstung koordinieren und verstärken, heißt es im Abschlussdokument der | |
Konferenz. Anfang 2020 will man sich in Berlin wieder treffen. | |
17 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.sipri.org/yearbook/2019 | |
[2] https://www.sipri.org/media/press-release/2019/modernization-world-nuclear-… | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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