# taz.de -- Militär und Unterricht: Was macht die Armee in der Schule? | |
> Ob Soldaten vor Schülern sprechen sollten, ist eine ständige Debatte. | |
> Aber was tut die Bundeswehr im Klassenzimmer eigentlich? | |
Bild: Jugendoffizier Stefan Gram in einer Schule in Lenzkirch im Schwarzwald | |
LENZKIRCH/MANNHEIM taz | Helles Hemd, dunkelblaues Sakko, Bundesadler an | |
der Brusttasche: Hauptmann Stefan Gram spricht mit ruhiger Stimme vor der | |
9. Klasse der Grund- und Hauptschule Lenzkirch im Schwarzwald. Der | |
28-jährige Jugendoffizier redet über das Raketenabwehr-System „Mantis“, | |
über die blaue Uniform, die die Zugehörigkeit zur Luftwaffe symbolisiert. | |
Dann wendet er sich an die Klasse und fragt, wofür man Jugendoffiziere wie | |
ihn braucht. „Na, um Leute anzuwerben“, antwortet ein Schüler. „Ist doch | |
der perfekte Ort.“ Gram schüttelt den Kopf. „Das ist mir verboten“, | |
entgegnet er und spricht stattdessen von Transparenz. „Noch nie wurde in | |
Deutschland so viel Geld fürs Militär ausgegeben. Da haben wir die Pflicht, | |
Auskunft zu geben.“ | |
Seit Jahren schwelt in Deutschland die Debatte ob ein Soldat vor | |
Schulklassen reden darf? Soll eine demokratisch kontrollierte Armee auch im | |
Klassenzimmer über ihre Aufgaben informieren? Oder wird dadurch eine | |
Hintertür geöffnet, um bestimmte Sichtweisen zu propagieren und | |
Minderjährige zum Militärdienst zu überreden? Die Diskussion hat durch | |
einen Vorschlag der Berliner SPD noch einmal an Schärfe gewonnen. Sie will | |
keine „keine Bundeswehr an Schulen“. | |
In der Diskussion werden oft zwei Soldatentypen vermischt: Jugendoffiziere | |
wie Gram gehen an Schulen, um über Sicherheitspolitik zu referieren. | |
Nachwuchswerbung betreiben sie nicht; diese ist den sogenannten | |
Karriereberatern vorbehalten. Auch sie kommen mit Schülern in Kontakt, | |
allerdings eher auf Berufsmessen oder in Informationsbüros. Ihre Aufgabe: | |
Jugendliche für den Arbeitgeber Bundeswehr begeistern – auch diejenigen, | |
die noch nicht volljährig sind. | |
Viel Zeit für politische Botschaften bleibt Gram bei seinem Vortrag in | |
Lenzkirch nicht. In der Doppelstunde redet er über Cybersicherheit, die | |
Nato, die deutsch-französische Brigade und die marode Ausrüstung. Frage | |
eines Schülers: „Was machen Sie denn mit den 43 Milliarden, die Sie jedes | |
Jahr bekommen?“ Der Jugendoffizier antwortet: „So schnell geht das nicht. | |
Neue Waffensysteme zu entwickeln, dauert Jahre.“ | |
Es geht um Kampfeinsätze und internationalen Terrorismus, um | |
Flüchtlingshilfe und getötete Kameraden. „Die Wahrscheinlichkeit, dass | |
jemand im Einsatz stirbt, ist gering“, sagt Gram, „aber sie besteht.“ Auch | |
dass Auslandseinsätze umstritten sind, sagt der Jugendoffizier. Wobei schon | |
deutlich wird, wie er und sein Arbeitgeber die Sache sehen. Die | |
internationale Gemeinschaft kann zur Friedenssicherung beitragen – so das | |
Mantra eines Videos, das Gram vorführt. | |
Die spannendste Frage stellt ein Schüler ganz zum Schluss. „Ich bin selbst | |
Flüchtling“, sagt er. „Warum helfen Sie Ländern, die gegen ihre eigene | |
Bevölkerung sind?“ Gram sagt: „Wir sind nicht da, um innenpolitische | |
Probleme zu lösen. Aber wir sind auch nicht da, um Diktaturen zu schützen.“ | |
Dann klingelt es und die 9. Klasse stürmt in die Pause. | |
Ilka Hoffmann ist Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und | |
Wissenschaft (GEW). Und sie hat eine klare Haltung: „Viel zu viele | |
staatliche Gelder werden für die Rekrutierung ausgegeben.“ Allein im | |
Grundschulbereich fehlten in Deutschland 25.000 Lehrkräfte, im Pflege- und | |
Sozialbereich noch einmal deutlich mehr. „Dort wird jeder Mensch gebraucht, | |
aber die Bundeswehr investiert 35 Millionen Euro in Werbespots“, sagt | |
Hoffmann. | |
Ihr Hauptkritikpunkt: Junge Menschen seien besonders empfänglich für | |
markige Sprüche. „Dabei ist die Bundeswehr eben kein Arbeitgeber wie jeder | |
andere. Wir reden von einem Arbeitsumfeld, in dem man lernt, Menschen zu | |
töten.“ | |
## Lehrerinnen können auch nein sagen | |
Diese Kontroverse komme bei den Unterrichtsbesuchen viel zu kurz. Dass es | |
einen Unterschied zwischen Jugendoffizieren und Karriereberatern gibt, | |
lässt die Gewerkschafterin nicht gelten. „Damit redet sich die Bundeswehr | |
raus“, so Hoffmann. „Die Jugendoffiziere werben nicht direkt, aber sie | |
verteilen natürlich auch Flyer. Da sind die Übergänge fließend.“ | |
In Schulen in Baden-Württemberg wurden Jugendoffiziere im vergangenen Jahr | |
538 Mal vorstellig – insgesamt gab es in Deutschland etwa 4300 Vorträge. | |
Wie viele Karriereberater die Schulen besuchten, darüber liegen dem | |
Landesbildungsministerium In Stuttgart keine Informationen vor. „Die | |
Zusammenarbeit mit der Bundeswehr hat sich über viele Jahre bewährt“, heißt | |
es. Die Armee sei „ein wichtiger Partner bei der politischen Bildung.“ | |
Ilka Hoffmann hingegen findet: „Das ist keine politische Bildung, wenn eine | |
Organisation für sich selbst spricht.“ Besonders stört sie, dass auch | |
Unter-18-Jährige dienen dürfen. Im Jahr 2018 waren von 20.012 eingestellten | |
Soldatinnen und Soldaten 1.679 minderjährig. „Das ist nicht vereinbar mit | |
der UN-Kinderrechtskonvention, der sich Deutschland verpflichtet hat“, so | |
Hoffmann. Gemeinsam mit dem Kinderhilfswerk „Terre des hommes“ hat die GEW | |
eine Kampagne gestartet, mit der sie die Bundesregierung unter Druck setzen | |
möchte – das Motto: „Unter 18 nie“. | |
Hoffmann rät allen Lehrern, von ihrer pädagogischen Freiheit Gebrauch zu | |
machen. „Die Länder können Vereinbarungen mit der Bundeswehr schließen und | |
ihnen den Weg in die Schulen erleichtern. Aber niemand kann Lehrerinnen und | |
Lehrer dazu zwingen, die Bundeswehr hereinzulassen.“ | |
## Die Armee wirbt mit Videos bei Youtube | |
„Wie ein bewaffneter Sportverein“: So präsentiert sich die Bundeswehr | |
gegenüber Jugendlichen, meint der Sprachwissenschaftler Friedemann Vogel | |
von der Universität Siegen. Bereits 2013 kritisierte der | |
Linguistik-Professor in Interviews das „irreführende Image“, das in | |
Hochglanz-Broschüren und Internetangeboten zelebriert werde: „Die | |
Bundeswehr stellt sich als Ort dar, an dem sich junge, dynamische und | |
ehrgeizige Männer und Frauen treffen, um Abenteuer zu erleben.“ | |
Damals hatte die Bundeswehr gerade eine Anzeige auf der Website des | |
Jugendmagazins Bravo geschaltet. Inzwischen setzt die Truppe vor allem auf | |
eigene Produktionen wie die Youtube-Serie „Die Rekruten“ oder die Website | |
„bundeswehrentdecken.de“. Zwar habe er Letztere bislang nicht vollständig | |
untersucht, sagt Vogel. Doch ein erster Blick bestätige das alte Muster. | |
„Da beschreibt zum Beispiel ein Soldat seinen Werdegang als Scharfschütze.“ | |
Von Teamarbeit und Herausforderungen sei dabei die Rede. „Aber an keiner | |
Stelle geht es darum, dass er dafür ausgebildet wurde, mit hoher Präzision | |
Menschen zu töten.“ | |
Seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahre 2011 braucht die Bundeswehr | |
Menschen, die freiwillig Soldatin oder Soldat sein wollen. Die Truppe | |
konkurriert mit der freien Wirtschaft; die Personalnot ist groß. Laut dem | |
jüngsten Wehrbericht waren bis Ende November 2018 allein oberhalb der | |
Mannschaftsebene 21.490 Dienstposten unbesetzt. | |
Ist es vor diesem Hintergrund nicht legitim, um potenzielle | |
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu werben? „Das schon“, meint Vogel. | |
„Aber Jugendliche sollten nüchtern informiert statt irregeführt werden.“ | |
Verletzungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Tod und Gefahr: Von den | |
Schattenseiten des Berufs hörten sie so gut wie nichts. | |
## Sie fahren manchmal mit dem Panzer vor | |
Im Vordergrund stehen zwei Motorräder der Feldjäger, im Hintergrund parkt | |
die Drohne „Luna“. „Mit dem Panzer können wir hier nicht vorfahren“, s… | |
Thomas Welschhoff am Stand der Bundeswehr auf dem Mannheimer Maimarkt. „Das | |
würde der Boden nicht mitmachen.“ Tabu ist eine solche Inszenierung aber | |
nicht – auf anderen Veranstaltungen kommen gepanzerte Fahrzeuge durchaus | |
zum Einsatz. | |
Welschhoff ist einer von 480 Karriereberatern der Bundeswehr. Der | |
54-Jährige stellt seinen Arbeitgeber auf Berufsmessen, Volksfesten und bei | |
Bedarf auch an Schulen vor. „Wir machen hier keine Rekrutierung“, beteuert | |
der Hauptmann. „Wir sind ja nicht die Amerikaner.“ Wenn jemand Interesse | |
bekunde, werde er stattdessen an eine Hotline verwiesen. „Oder wir | |
vereinbaren ein persönliches Gespräch.“ | |
Was der Karriereberater danach sagt, klingt schon eher nach Werbung: „Für | |
17-Jährige sind wir nicht unattraktiv. Bei der Bundeswehr gibt es über 60 | |
Ausbildungsberufe, man kann den Führerschein erwerben und bekommt ein | |
tolles Gehalt.“ Zur Rekrutierung Minderjähriger sagt Welschhoff: „Man kann | |
sich ab 16 bei uns bewerben, aber ohne Einverständnis der Eltern läuft | |
nichts.“ Kein 17-Jähriger werde in den Auslandseinsatz geschickt. | |
Am Stand hängt ein Plakat, darauf steht: „Was sind schon 1000 Freunde im | |
Netz gegen einen Kameraden?“. In Broschüren steht bei der Bundeswehr gehe | |
es „ums Weiterkommen, nicht nur ums Stillstehen.“ Bei einem Reaktionsspiel | |
können junge Leute ihre Fähigkeiten testen. | |
So wie Christoph Bellmann. Der 29-Jährige sagt, er sei „einfach aus | |
Interesse“ an den Stand gekommen. „Zu meiner Zeit gab es noch die | |
Wehrpflicht, aber damals wurde ich ausgemustert.“ Thuy Phuong Buithi lässt | |
sich ein aufgebautes Funkgerät erklären. „Die Leute hier wirken sehr | |
kompetent“, findet die 24-jährige Frau. Aber arbeiten, nein, das möchte sie | |
bei der Bundeswehr dann doch lieber nicht. | |
3 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Steve Przybilla | |
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