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# taz.de -- Urteil zu Sterbehilfe: Ärzte durften Freitod begleiten
> Der Bundesgerichtshof hat zwei Ärzte freigesprochen, die Patientinnen
> beim Suizid halfen. Das Urteil könnte weitreichende Folgen haben. Ein
> Überblick.
Bild: Selbstbestimmt Sterben, ja. Aber darf der Arzt dabeibleiben?
Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) stammt vom späten
Mittwochnachmittag. Welche Bedeutung es hat, hängt allerdings von einem
parallelen Prozess am Bundesverfassungsgericht ab. Die Einzelheiten im
Überblick.
## Um welche Konstellationen ging es beim BGH?
In beiden entschiedenen Fällen haben Ärzte den jeweiligen Patientinnen
[1][ein tödlich wirkendes Medikament] überlassen, damit diese sich das
Leben nehmen können. Die Patientinnen nahmen das Medikament selbst ein. Die
Ärzte blieben bis zum Tod bei ihnen.
## Was hat der BGH jetzt entschieden?
Ärzte sind nicht zur Lebensrettung verpflichtet, wenn sie wissen, dass ihr
Patient einen „freiverantwortlichen Selbsttötungswillen hat“.
## Was ist daran neu?
Der BGH korrigierte ein eigenes Urteil aus dem Jahr 1984. Damals hatte der
BGH entschieden, dass Ärzte auch dann den bewusstlosen Patienten retten
müssen, wenn sie wissen, dass dieser selbstverantwortlich aus dem Leben
scheiden will.
## Was wurde an diesem alten Urteil kritisiert?
Nach der alten BGH-Rechtsprechung durfte ein Arzt dem Patienten zwar
straflos ein tödliches Medikament überlassen, denn die Beihilfe zur
Selbsttötung ist straflos. Sobald der Patient jedoch das Bewusstsein
verlor, musste der Arzt eingreifen und den Patienten reanimieren. In der
Konsequenz mussten Ärzte, die kein strafrechtliches Risiko eingehen
wollten, sich nach Übergabe des Medikaments entfernen. Der Patient musste
alleine sterben.
## Warum entschied der BGH nun anders?
Der BGH hat nun das Selbstbestimmungsrecht des Patienten deutlich höher
bewertet als in seinem alten Urteil. Der Wille des Patienten müsse auch
dann respektiert werden, wenn die Person nicht mehr bei Bewusstsein ist.
Der Vorsitzende BGH-Richter Norbert Mutzbauer zog eine Parallele zur
Patientenverfügung. Auch dort könne in wachem Zustand bestimmt werden, was
Ärzte später im Fall von Bewusstlosigkeit tun oder unterlassen sollen.
## Gilt das Urteil auch für Angehörige?
In beiden entschiedenen Fällen waren zwar Ärzte angeklagt worden. Doch die
Konstellation bei nahen Angehörigen ist ganz ähnlich. Auch bei diesen wurde
bisher eine Schutzpflicht im Falle eines Suizids angenommen. Kinder und
Ehepartner konnten den Sterbewilligen bisher also ebenfalls nicht risikolos
bis zum Tod begleiten.
## Was gilt bei einem Suizidversuch, der zum Beispiel durch Depressionen
ausgelöst wurde?
Hier gilt dieses Urteil nicht. Voraussetzung ist, dass es sich um eine frei
verantwortliche Selbsttötung handelt. Bei Ärzten wird erwartet, dass sie
dies beurteilen können.
## Warum schafft das neue BGH-Urteil nur bedingt Rechtssicherheit?
Weil der Gesetzgeber im Jahr 2015 [2][die „geschäftsmäßige Förderung der
Selbsttötung“] unter Strafe gestellt hat. Das ist der neue Pargraph 217 im
Strafgesetzbuch. Viele Ärzte befürchten, dass der Paragraf auch auf
ärztlich unterstützte Suizide angewandt werden kann. Denn „geschäftsmäßi…
ist eine Handlung schon dann, wenn sie wiederholt vorgenommen wird. Auf ein
Profitinteresse kommt es nicht an. Allerdings konnte der BGH zu dieser
neuen Strafvorschrift jetzt noch nichts sagen, weil die zu entscheidenden
Fälle aus den Jahren 2012 und 2013 stammten, als die Verschärfung noch
nicht galt.
## Wie geht es weiter?
Derzeit berät das Bundesverfassungsgericht über mehrere
Verfassungsbeschwerden gegen Paragraph 217. Bei der Verhandlung im April
2019 deuteten die Verfassungsrichter an, dass sie die umstrittene Norm
eventuell beanstanden werden. Nur wenn sie Paragraf 217 für nichtig
erklären, kann das neue BGH-Urteil seine volle Wirkung entfalten. Falls das
Bundesverfassungsgericht jedoch Paragraf 217 bestätigt, dann hilft das
BGH-Urteil wohl nur [3][Ärzten und Angehörigen], die einmalig bei einer
Selbsttötung helfen.
## Was müssen Ärzte noch bedenken?
In manchen Regionen Deutschlands, etwa in Hamburg, verbietet auch das
Berufsrecht die ärztliche Begleitung einer Selbsttötung. Ärzten droht dann
sogar der Verlust ihrer Zulassung – wobei es noch nie entsprechende Fälle
gab. Es ist auch umstritten, ob Landesärztekammern überhaupt solche Verbote
aufstellen dürfen.
4 Jul 2019
## LINKS
[1] /Bundesverwaltungsgericht-zur-Sterbehilfe/!5598668
[2] /Kommentar-Sterbehilfe-und-Kapitalismus/!5587558
[3] /Kommentar-Aktive-Sterbehilfe/!5587026
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Suizidhilfe
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Ärzte
Ärztlich assistierter Suizid
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