| # taz.de -- Kommentar Aktive Sterbehilfe: Würde und Wahlfreiheit | |
| > Aktive Sterbehilfe verleitet nicht zu Fahrlässigkeit. Sie gibt aber die | |
| > Chance, den eigenen Todeszeitpunkt selbst zu bestimmen. | |
| Bild: Die meisten Sterbenden werden mehr oder weniger leiden. Aber muss das den… | |
| In zwei scheinbar einfachen Sätzen über das Ende des Lebens stecken sowohl | |
| Sprengkraft als auch ein großes Dilemma. Zwei Sätze, die Mitte dieser Woche | |
| fielen, als das [1][Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über eine | |
| brisante Frage verhandelte]: Soll Sterbehilfe in Deutschland erlaubt sein | |
| oder nicht? Den einen Satz sagte der Stuttgarter Palliativmediziner Dietmar | |
| Beck: „Ich wünsche mir die Freiheit, eine tödliche Spritze zu geben, wenn | |
| jemand, der todkrank ist, darum bittet.“ Den anderen Satz sagte Winfried | |
| Hardinghaus vom Deutschen Hospiz- und Palliativverband: „Leiden gehört | |
| immer zum Tod dazu.“ | |
| Im Gegensatz zu Ländern wie der Schweiz, Belgien und den Niederlanden, wo | |
| aktive Sterbehilfe möglich ist, steht sie in Deutschland seit drei Jahren | |
| unter Strafe. Der damalige CDU-Gesundheitsminister Hermann Gröhe hat das | |
| Verbot seinerzeit mit dem Strafparagrafen 217 durchgesetzt. | |
| Dagegen klagen nun Schwerkranke, Ärzt*innen und Sterbehilfevereine. Der | |
| Palliativmediziner Beck ist einer von ihnen. [2][In der Verhandlung] | |
| erzählte er von einer schwer kranken 80-Jährigen, der im Krankenhaus der | |
| selbstbestimmte Tod mithilfe einer Spitze verweigert wurde. Stattdessen | |
| wurde ihr das sogenannte Sterbefasten ermöglicht. Dabei verzichten die | |
| Betroffenen auf Essen und Trinken – bis sie tot sind. | |
| Wer schon einmal einen Menschen auf diese Weise hat sterben – und leiden – | |
| sehen, fragt sich ernsthaft, warum das als menschenwürdig gilt. Und wer | |
| bereits selbst auf die Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung verzichten musste | |
| – jenseits des allseits beliebter werdenden Heilfastens –, bekommt | |
| möglicherweise eine Ahnung davon, wie qualvoll das ist. Der Sterbeprozess | |
| der 80-Jährigen, von der Beck dem Verfassungsgericht berichtete, dauerte | |
| etwa drei Monate. | |
| ## Medizin kann Leben nicht unendlich machen | |
| Möglich, dass Leiden zum Tod dazugehört. Doch die wenigsten Menschen | |
| sterben im Schlaf, jedes Jahr erleiden 120.000 Menschen in Deutschland den | |
| plötzlichen, nur kurz schmerzhaften Herztod. Bei fast 950.000 Toten im Jahr | |
| ist das eine zu vernachlässigende Zahl. Die meisten Sterbenden werden mehr | |
| oder weniger leiden. Aber muss das denn sein? Muss jemand mit einer | |
| unheilbaren Lungenkrankheit tatsächlich unter Qualen ersticken? Warum nimmt | |
| man einem alten Menschen, der lieber eher als später sterben will, die | |
| letzte Würde, indem man ihn „zu Tode pflegt“? | |
| Pflege ist eine – für alle Seiten – in der Regel harte wie würdelose | |
| Angelegenheit: Da wird gefüttert, gesabbert und gekotzt, eingepinkelt, | |
| eingeschissen und geblutet. Da wird herumgelegen und gejammert vor | |
| Schmerzen. Den Satz „Ich möchte sterben“ hört das Pflegepersonal jeden Ta… | |
| Dem medizinischen Fortschritt ist es zu verdanken, dass Brustkrebs in | |
| vielen Fällen heilbar ist, antiretrovirale Therapien verlängern das Leben | |
| HIV-Positiver um ein Vielfaches, an Masern muss niemand mehr sterben, der | |
| geimpft ist. Das Leben unendlich machen, das kann Medizin allerdings nicht, | |
| das wird sie nie können. | |
| ## Selbstbestimmung ist angeblich hohes Gut | |
| Aber sie kann dafür sorgen, dass das Lebensende von Menschen so schmerzfrei | |
| und so würdevoll wie möglich vonstattengeht. Warum nicht mit Hilfe Dritter? | |
| Laut einer Forsa-Umfrage entspricht das dem Willen von 70 Prozent der | |
| Menschen in Deutschland. | |
| Der Erfahrung von Mediziner*innen aus Ländern mit legaler Sterbehilfe | |
| zufolge sinkt die Selbsttötungsrate, sie steigt nicht, wie hierzulande von | |
| manchen befürchtet wird. Und niemand, schon gar nicht Mediziner*innen, | |
| Pfleger*innen und Angehörige werden „einfach so töten“, wie | |
| Ärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgommery behauptet. | |
| Erwiesen ist auch, dass sich Menschen besser fühlen, wenn sie, statt zu | |
| einem Sterbehilfeverein in die Schweiz reisen zu müssen und so den eigenen | |
| Tod unmittelbar vor Augen zu haben, ihren Todeszeitpunkt durch eine Spitze | |
| selbst bestimmen und auch wieder verschieben zu können. | |
| Wir leben in einer Zeit, in der angeblich Selbstbestimmung und Wahlfreiheit | |
| hohe Güter sind. Politiker*innen und Verfassungsgericht können jetzt | |
| zeigen, wie ernst es ihnen damit ist. | |
| 20 Apr 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Anhoerung-am-Bundesverfassungsgericht/!5588478 | |
| [2] /Karlsruhe-prueft-Suizidhilfe-Verbot/!5585283 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
| ## TAGS | |
| Suizidhilfe | |
| Sterbehilfe | |
| Verfassungsgericht | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| Suizidhilfe | |
| Sterbehilfe | |
| Suizidhilfe | |
| Sterbehilfe | |
| Bundesministerium für Gesundheit | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Urteil zu Sterbehilfe: Ärzte durften Freitod begleiten | |
| Der Bundesgerichtshof hat zwei Ärzte freigesprochen, die Patientinnen beim | |
| Suizid halfen. Das Urteil könnte weitreichende Folgen haben. Ein Überblick. | |
| Kommentar Sterbehilfe und Kapitalismus: Sterben wollen ist kein Geschäft | |
| Wer will sich anmaßen, zu verurteilen, wenn jemand sein Leben beenden will? | |
| Die Hilfe dabei darf nicht dem Marktdenken unterworfen sein. | |
| Karlsruhe prüft Suizidhilfe-Verbot: Sterben im Verfassungsgericht | |
| Das Verfassungsgericht verhandelt über das Verbot organisierter | |
| Suizidhilfe. Befürworter und Gegner berufen sich auf Selbstbestimmung. | |
| Anhörung am Bundesverfassungsgericht: Richter prüfen Sterbehilfeverbot | |
| Karlsruhe befasst sich mit dem Verbot organisierter Sterbehilfe. Sechs | |
| Beschwerden liegen gegen den Strafrechtsparagrafen 217 vor. | |
| Gesundheitsminister unterläuft Urteil: Spahn verhindert Sterbehilfe | |
| Unheilbar Kranke, die sich mit einem Betäubungsmittel das Leben nehmen | |
| wollen, können es nicht bekommen – obwohl ein Gerichtsurteil das in | |
| Ausnahmefällen erlaubt. |