# taz.de -- Literarische Landeskunde: Ein gutes Buch zur rechten Zeit | |
> Mit Elsa Ferrante nach Neapel, mit Proust nach Paris – unser Autor | |
> schätzt literarische Reisebegleiter, aber er liebt vor allem das | |
> Kontrastprogramm. | |
Bild: Strandlektüre | |
Mit Goethe geht es an den Gardasee, für Paris passt immer Proust, Bali | |
schreit nach Vicky Baum. Wenn wir Bildungsbürger verreisen, dann nie ohne | |
den passenden literarischen Wegweiser im Gepäck. Feinschmecker suchen auch | |
16 Jahre nach dem Tod von Vázquez Montalbán mit seinem Detektiv Pepe | |
Carvalho Barcelonas beste Kutteln. Die Feinsinnigen irren verzweifelt durch | |
den Bois de Bologne, auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Die | |
Feinfühligen quälen sich mit John Steinbeck durch Monterey und finden und | |
finden auf Cannery Row keine Ölsardinen mehr. | |
Damit wir uns recht verstehen: Daran ist nichts Ehrenrühriges. Große | |
Dichter wie kleine Krimiautoren sahen oft sehr genau hin, sie kannten sich | |
gelegentlich ganz gut aus, und sie fanden hin und wieder die passenden | |
Worte.Literatur kann die Sinne schärfen und Hintergründe vermitteln, die | |
eigene Wahrnehmung ersetzt sie nicht. | |
Vielleicht lernen wir von lokalen Autoren viel über korrupte Bürgermeister, | |
kindliche Taschendiebe oder die Hölle einer Zwangsehe – ob das irgendetwas | |
mit dem jungen Mann mit den glasigen Augen neben uns an der Bar zu tun hat, | |
müssen wir ihn schon selber fragen. Paul Theroux hat die Mosquito Coast mit | |
all ihren Blattschneidermeisen und Brüllaffen eindrucksvoll festgehalten. | |
Doch vor Ort in Honduras erweisen sich die Vögel als viel lärmender, der | |
Rasiermesserbambus als weitaus tückischer und der spülwasserfarbene Himmel | |
als viel düsterer als beschrieben. | |
Wer reist und liest, weiß um die Macht der Literatur. Aber auch um ihre | |
Grenzen. Und also suchen wir weiterhin mit Elena Ferrante nach dem wahren | |
Neapel, robben neben Theodor Fontane durch den märkischen Sand. Und ein | |
Skandinavienurlaub beginnt für uns erst richtig, wenn wir kurz hinter | |
Lillehammer die CD mit Peer Gynt in den Rekorder schieben und uns, den | |
Blick versonnen ins Gudbrandsdalen gerichtet, der Begleiterin zuwenden: „In | |
den letzten Tagen dachte und dachte ich an des Nordlandsommers ewigen Tag.“ | |
Geht nichts über einen Lokaltermin mit Knut Hamsun. | |
Auch ich schätze gedruckte Reisebegleiter, ziehe allerdings ein | |
Kontrastprogramm vor. In Singapur blätterte ich begeistert in Peter | |
Dörflers beschaulicher „Allgäu-Trilogie“, im Regenmatsch von Neufundland | |
versicherte ich mich bei Reggie Nadelsons New-York-Krimis, dass es jenseits | |
aufgequollener Füße und Trockensuppe ein Leben mit frischen Austern, gut | |
gekühlten Weißweinen und wohlriechenden Frauen gibt. Während ich im weichen | |
Pfuhl eines Boutiquehotels keine entspannendere Gute-Nacht-Lektüre kenne | |
als Rüdiger Nehbergs gesammelte Survival-Tipps. | |
Welches Buch ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde? Den | |
Weltbevölkerungsbericht der UNO wahrscheinlich. Oder das Telefonbuch von | |
Berlin. | |
28 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Franz Lerchenmüller | |
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