Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Internet-Aktivist über Hatespeech: „Hetze muss bestraft werden“
> Die Facebookgruppe #ichbinhier kämpft seit Ende 2016 gegen unsachliche
> und aufhetzende Kommentare in sozialen Medien. Ein Admin erklärt, warum.
Bild: Seit 2016 arbeitet #ichbinhier daran, Diskussionskultur im Internet zu ve…
taz: Herr Urban, wie schlimm steht es um das Internet?
Alexander Urban: [1][Für Facebook] kann ich sagen: Es steht nicht wirklich
gut. Es werden Desinformationen gepostet, [2][Stimmung gemacht], gespalten
und gegeneinander aufgehetzt. Und ehrlich gesagt ist keine Besserung in
Sicht.
[3][Ihre Gruppe #ichbinhier] will Hass auf Facebook bekämpfen. Wie machen
Sie das?
Wir haben uns Ende 2016 das Ziel gesetzt, die Diskussionskultur positiv zu
gestalten. Wir agieren auf den Seiten großer Medien mit mehr als 100.000
Followern. In Ausnahmefällen, bei krassen Shitstorms etwa, gehen wir auch
mal auf die Seiten von NGOs oder Personen des öffentlichen Lebens. Wir
scannen fast rund um die Uhr die Kommentare unter den geposteten Artikeln.
Wenn es besonders hässlich wird, starten wir eine Aktion.
Was passiert dann?
Dann rufen wir unsere Mitglieder auf, selbst unter diesem Post zu
kommentieren und sachlich dagegenzuhalten. Inhaltlich machen wir keine
Vorgaben, es soll jeder seine eigene Meinung sagen dürfen.
Wie viele Leute machen mit?
Wir haben ungefähr 45.000 Mitglieder, davon sind aber nicht alle aktiv. Das
Moderationsteam besteht aus 20 bis 25 Menschen. Ein Teil davon übernimmt
das Scannen und das Starten von Aktionen. Dafür haben wir einen festen
Schichtplan.
Welche Medien sind besonders anfällig?
Auf jeden Fall Bild und Focus Online, aber auch „ZDF heute“ und die FAZ. Da
starten wir die meisten unserer Aktionen.
Bild und ZDF heute – das sind sehr unterschiedliche Medien.
Bild und Focus machen Boulevard. Die spielen das Spiel, machen Clickbaiting
und heizen dafür die Spekulation auch gerne mal an. Bei ZDF heute sind die
Beiträge seriös, da wird eher gegen den Inhalt gehetzt.
Können Sie diesen Unterschied an Beispielen verdeutlichen?
Wenn die Bild etwa reißerisch den Artikel über eine Rentnerin ankündigt,
die ins Gefängnis muss, weil sie Flaschen gesammelt hat, dann provoziert
sie geradezu Kommentare, die sagen: „Unseren Rentnern wird nicht geholfen,
aber wir haben 30 Milliarden Euro für Flüchtlinge“. Bei ZDF heute kommen
die Leute eher hervorgekrochen, wenn zum Beispiel über Seenotrettung
berichtet wird. Sie nennen Carola Rackete eine Verbrecherin, die ins
Gefängnis gehört, während Salvini etwas für sein Volk tut. Und zwar in
ziemlich üblen Tönen. Wir starten normalerweise eine bis vier Aktionen am
Tag – als es um Rackete ging, waren es bis zu neun.
Haben Sie Kontrolle darüber, wer in Ihrer Gruppe ist?
Ja, denn unter den Moderatoren sind Türsteher, die die Beitrittsanfragen
abarbeiten. Wer hetzt, beleidigt [4][oder Verschwörungstheorien
verbreitet], kommt nicht rein. Genauso offensichtliche Fake-Profile oder
solche, bei deren Privatsphäreeinstellungen so streng sind, dass wir uns
kein Bild machen können. Ich schätze, wir lehnen vier bis sechs von zehn
Anfragen ab.
Und AfD-Fans?
Das war eine große interne Debatte, und ehrlich gesagt habe ich keine
Antwort parat. Wir sind überparteilich, und die AfD sitzt im Bundestag.
Insofern könnte man sagen, dass zumindest Gemäßigte nicht ausgeschlossen
werden dürften. Andererseits: Gemäßigte AfDler sehe ich momentan keine.
Aber die klopfen ohnehin nicht bei uns an …
Wie viel Zeit verbringen Sie damit, das Netz zu beobachten?
Das sind immer ein paar Minuten hier, ein paar da. Wir fangen morgens gegen
7 Uhr an, gegen 23 Uhr schaue ich das letzte mal rein. Da komme ich auf
drei bis vier Stunden am Tag.
Eigentlich sollte das nicht Aufgabe der Zivilgesellschaft sein, oder?
Nein. Aber wir können auch nicht einfach rausgehen und denen das Feld
überlassen, die die Stimmung vergiften wollen. Ich sehe uns da eher als
Platzhalter für die, die mehr erreichen können.
Wer wäre das? Und wie?
Zum einen müssen die Medien vernünftig unter ihren Posts moderieren. Wenn
Desinformation verbreitet wird muss das richtiggestellt werden. Und was
eindeutig falsch oder Hatespeech ist, muss gelöscht werden. Und: Hetze muss
endlich angemessen bestraft, Opfer müssen geschützt werden.
Und wie? Staatliche Eingriffe in das Internet werden zu Recht auch
kritisch beäugt.
Es geht darum, das geltende Recht im Netz durchzusetzen. Mit Eingriffen in
die Meinungsfreiheit hat das nichts zu tun.
Ist das, was Sie da tun, nicht belastend?
Ja. Aber wir haben uns als Team, wir fangen uns auf. Wichtiger sind die
Mitglieder: Für die haben wir jeden Abend einen „Absacker“, ein Musikvideo
oder einen längeren Post, und die Mitglieder haben Raum, sich
auszutauschen. Der Comiczeichner Ralph Ruthe hat uns einen Comic gemacht,
die Donots ein Video. Diese Wertschätzung ist total wichtig, damit die
Leute mit einem positiven Gefühl schlafen gehen und morgens wiederkommen.
Wird Hassrede im Netz unterschätzt?
Ich denke, ja. Als #ichbinhier arbeiten wir nicht in Gruppen oder auf
privaten Profilen, wo es noch viel übler abgeht. Aber einige von uns sind
auch da unterwegs. Als Merkel jetzt so gezittert hat, hieß es da teils:
Sie soll sterben. Bisher hätte ich nicht gedacht, dass dann jemand losgeht
und versucht, sie zu erschießen. Aber [5][nach dem Mord an Walter Lübcke]
sehe ich das anders. In den Echokammern radikalisieren sich Menschen. Und
am Ende entscheidet dann vielleicht einer von 10.000, auch zu handeln.
22 Jul 2019
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Meta/!t5009279
[2] /Soziale-Medien-bei-Bundestagswahl/!5530176
[3] https://www.facebook.com/groups/718574178311688/about/
[4] /Morde-in-Suedafrika/!5603324
[5] /Schwerpunkt-Mordfall-Walter-Luebcke/!t5600830
## AUTOREN
Dinah Riese
## TAGS
Zivilcourage
Schwerpunkt Meta
Social Media
Hate Speech
Fake News
IG
Schwerpunkt Angela Merkel
Hetze
Fake News
NetzDG
Schwerpunkt AfD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fridays-for-Future-Aktivistin wehrt sich: Neubauer geht gegen Hater vor
Die Klimaaktivistin erwirkt eine einstweilige Verfügung gegen rechten
Blogger, der sie sexistisch beleidigt hatte. Von der Politik fordert Luisa
Neubauer mehr Einsatz.
Stimmungsmache gegen Migration: Offenes lässt sich nicht öffnen
Die Behauptung, Angela Merkel habe „Grenzen geöffnet“ hält sich auch nach
Jahren aufrecht. Doch sie ist falsch und instrumentalisiert Sprache.
Umstrittenes Schwert-Video: Mehr als ein Verkehrsunfall
Vom Schwertmord in Stuttgart zirkuliert ein Video im Netz. Das mag vielen
nicht gefallen, doch die Medien haben kein Monopol mehr.
Sprachforscher über Desinformation: „Keine Zensur, keine Diskriminierung“
Eine neue Software des Fraunhofer Instituts soll in Sozialen Medien
selbstlernend Falschnachrichten finden. Unter anderem sollen Sprachfehler
darauf hinweisen.
Diskussion um NetzDG: Druck von beiden Seiten
Das NetzDG soll Opfern von Hate Speech in Online-Netzwerken helfen. Doch
was passiert, wenn Kommentare zu Unrecht gelöscht wurden?
Rechte Vortragende an der Uni: Meinungsfreiheit oder Hetze?
Ein Philosophieprofessor lädt Thilo Sarrazin und den AfD-Abgeordneten Marc
Jongen zu Vorträgen ein. Die Uni Siegen streicht ihm daraufhin das Geld.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.