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# taz.de -- Die Wahrheit: Schrumpfhoden und Fasziitis
> Nach der Studie der Bertelsmann-Stiftung liegen die Nerven blank: Das
> Gesundheitssystem weigert sich, gesundzuschrumpfen.
Bild: Die Schwarzwaldklinik – steht gar nicht in der Eifel. Aber wo dann?
„Bei denen würde ich nicht mal Fieber messen, wenn man mir das Thermometer
auf die Nase bindet“, schimpft Chefarzt Doktor Holmar Sellerich aus dem
Eifelort Krulm und stößt einen derben hippokratischen Fluch aus, der für
medizinische Laien kaum verständlich ist. Ahnungsweise soll die
Bertelsmann-Stiftung darin zum Kassenpatienten degradiert und dann mit
Schrumpfhoden, Nekrotisierender Fasziitis und Trimethylaminurie geschlagen
werden.
Seit ebendiese Stiftung in einer [1][Studie] jüngst empfohlen hat, gut die
Hälfte der bundesweit etwa 1.400 Krankenhäuser zu schließen, da man die
Patienten in spezialisierten Großspitälern fachgerechter versorgen könne,
liegen die Nerven im deutschen Gesundheitswesen blank. Gerade in kleineren
Häusern mit weniger als einhundert Betten, die den Autoren der Studie
besonders entbehrlich scheinen, geht die Angst um. Dabei ist
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für die medizinischen
Nahversorger in die Bresche gesprungen und hat großmütig erklärt, dass
Krankenhäuser „für viele Bürger ein Stück Heimat“ sind – wenn auch nu…
die defizitären Ranzbuden endlich ins Heimatressort des Kollegen Seehofer
abschieben zu können.
„Wir haben einen Nierenstein, der ist seit 1979 hier“, bestätigt Doktor
Sellerich und winkt einem nikotingelben Greis zu, der im Zeitlupentempo
durch die Innere Station von Sankt Drosofila schlurft, doch dann stutzt er.
„Ach. Das ist doch bloß unser Internist.“
Sellerich steht dem Sankt-Drosofila-Hospital in Krulm in zwölfter
Generation als Chefarzt, Nachtschwester, Abdecker und Hausmeister vor. Das
traditionsreiche Haus wurde 1623 vom Orden der Minderbemittelten
Kalvarienbrüder gegründet, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten,
schutzlose Reisende nicht bloß mit Waffengewalt in dunklen Eifelwäldern
auszurauben, sondern auch beim Genesungsprozess danach. Heute gehört das
Spital einer Holding, an der nicht nur der Heilige Stuhl und die Hohe
Pforte, sondern auch einige windige Buchmacher des Lateran beteiligt sind –
die Kosten für die 11 Betten trägt jedoch hauptsächlich die öffentliche
Hand. „Wir mögen keine blinkenden Apparate besitzen wie die Krankenhäuser
in den Großstädten, aber dafür nehmen wir uns Zeit, unseren Patienten
zuzuhören“, erklärt Doktor Sellerich und beugt sich über einen Notfall, den
ein Rettungswagen abgeladen hat. „Glglgl“, antwortet der schwer verletzte
Motorradfahrer, denn ein mutmaßlicher Schädelbasisbruch verhagelt ihm die
Artikulation. „Ganz richtig, mein Guter. Die Zeit heilt alle Wunden“,
säuselt der Doktor. Dann ruft er Gattin Corinna in die Notaufnahme, damit
die ein Aquarell der Verletzung anfertigt, das der Krankenakte und gegen
Aufpreis sogar der Traueranzeige beigefügt werden kann.
## Eine Hand wäscht die andere
„Wildblumensträuße und Kopfwunden sind ihre Spezialität“, beschwärmt
Sellerich das bildgebende Verfahren der Hobbymalerin, die in Sankt
Drosofila den teuren Computertomografen ersetzen muss. Anschließend
entschwindet er zur Visite, denn auch die ist im Krulmer Krankenhaus
Chefsache. Der Doktor spricht aufmunternde Worte, die er aus einem Kalender
der Apotheken Rundschau vorliest, und nimmt von Patienten, die ins
moderne Spital der Kreisstadt überstellt werden wollen, Almosen entgegen.
„Eine Hand wäscht die andere. Wir sind eine große Familie“, meint
Sellerich, und da neben Gattin Corinna auch Söhnchen Kilian den weißen
Kittel trägt, ist die Drohung unbedingt ernst zu nehmen. „Der Junge hat
sich schon immer für Betäubungsmittel begeistert“, stellt der stolze Vater
den Anästhesisten mit den glasigen Augen vor. „Mir war immer klar, dass er
einmal Arzt wird, auch wenn das nicht ganz billig war.“ Die Schädel-OP des
Unfallopfers überlässt Chefarzt Sellerich indes den erfahrenen Händen
seines Chirurgen, eines melancholischen Syrers, der sein blutiges Handwerk
auf den Schlachtfeldern von Homs gelernt hat, wenn man den
Sprachkenntnissen Sellerichs trauen mag. „Schneidi, schneidi, zackzack!“,
weist der Klinikchef seinen Chirurgen im typisch verknappten
Mediziner-Jargon an, und der Angesprochene lässt prompt den Wischmop
fallen, mit dem er gerade die Instrumente sterilisiert hat. Wir haben genug
gesehen, befinden wir spontan.
Natürlich kann man einwenden, dass es in kleinen Häusern wie Sankt
Drosofila hier und da Modernisierungsbedarf gibt, doch überzeugt uns das
ganzheitliche, dem Menschen zugewandte Behandlungskonzept der kleinen
Eifel-Klinik mehr als die Vorschläge der Bertelsmann-Stiftung. Die
Empfehlungen der Studie setzen ausschließlich auf anonyme Bettenburgen mit
600 Plätzen sowie auf Mammuteinrichtungen mit 1.300 Betten, die teilweise
erst aus dem Boden gestampft werden müssten. Um diesen Strukturwandel zu
schaffen, sollen angeblich aufgelassene Schweinemastbetriebe in der Provinz
aufgekauft und zu Behandlungszentren für den ländlichen Raum umgebaut
werden. Sie sollen sogar bis zu 5.000 Stück Patienten fassen, wenn man die
vorhandenen Mastboxen als Bemessungsgrundlage annimmt.
## Brigitte Mohn erhebt ihr Haupt
Zu denken gibt auch, dass ausgerechnet die Niederlande als positives
Beispiel für effizientere Patientenversorgung herangezogen werden, denn
dort kürzt ein großzügiges Euthanasiegesetz die Krankenhausaufenthalte auf
ganz natürliche Weise ab. So kann in Holland schon ein einfacher Schnupfen,
gekoppelt mit einer ungünstigen Sozialprognose und ein paar patzigen
Antworten des Patienten, letal im Abschiedsraum enden. Wer zwischen Maas
und IJsselmeer ernsthaft krank wird, sucht aus Angst vor der ortsüblich
hyperaktiven Sterbehilfe statt eines Krankenhauses lieber die alternativen
Palliativmedizinmänner in den Coffeeshops auf – das entlastet natürlich das
niederländische Gesundheitssystem, doch scheint dieser pragmatische Ansatz
in der empfindsamen Hypochonder-Nation Deutschland kaum umsetzbar.
Zuletzt geriet die Studie in Verruf, [2][als bekannt wurde], dass die
Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann-Stiftung, Brigitte Mohn, auch im
Aufsichtsrat der Rhön-Privatkliniken AG sitzt, die von einer massenhaften
Schließung der medizinischen Konkurrenz profitieren könnte. Die Stiftung
sieht indes keinen Interessenkonflikt und verweist auf die unabhängige und
evidenzbasierte Arbeit ihrer Experten. Demnächst will die
Bertelsmann-Stiftung prüfen lassen, ob sich im deutschen Verlagswesen
wirklich derart viele Anbieter tummeln müssen oder ob man die mediale
Versorgung der Bevölkerung nicht lieber einem einzigen Großkonzern aus
Gütersloh überlassen sollte. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.
22 Jul 2019
## LINKS
[1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2019/juli/…
[2] https://www.rf-news.de/2019/kw29/brigitte-mohn-ist-auch-im-vorstand-der-rho…
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
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