# taz.de -- Die Wahrheit: Rheinische Wüstensöhne | |
> Geheime Planspiele und ein Feldversuch im Braunkohlegebiet: eine | |
> Expedition in die menschenfeindliche Garzweiler-Wüste. | |
Hallo, hier bin ich!“, ruft eine Stimme, die aus der sonnenverbrannten | |
Erdkrume an unser Ohr zu dringen scheint. Und tatsächlich, aus dem Staub, | |
den heiße Sommerwinde über die baumlose Ebene fegen, erhebt sich fröhlich | |
winkend Dr. Heinz-Harald Helmbruch, der designierte | |
Desertifikationsbeauftragte der Bundesregierung. | |
Der Experimentalgeologe hatte sich vor der Hitze des erbarmungslosen | |
mitteleuropäischen Sommers in einer Mulde verborgen, die er mit bloßen | |
Händen in den ausgelaugten Boden des Rheinischen Reviers gegraben hat – | |
jener menschenfeindlichen Wüste, die das Zerstörungswerk der | |
Braunkohlebagger zwischen Bedburg und Erkelenz hinterlassen hat. Doch war | |
wirklich die Ausbeutung des fossilen Energieträgers Grund für die | |
verheerenden Schanzarbeiten in der ehemals fruchtbaren Bördelandschaft, die | |
sich abweisend unter uns erstreckt wie Dust Bowl der amerikanischen Prärie | |
zur Depressionszeit? | |
„Zugegeben, das mit dem Braunkohleabbau war eine Ausrede. Im Grunde | |
brauchte niemand das stinkende Zeug“, sagt Helmbruch und beißt in eine | |
mumifizierte Maus, die er aus seinem Erdloch geklaubt hat. „Aber wir | |
brauchten halt eine halbwegs plausible Erklärung, warum wir hier verbrannte | |
Erde hinterlassen.“ Denn genau so, „Verbrannte Erde“ nämlich, lautete der | |
Codename des geheimen Sandkasten-Planspiels mit Riesenbaggern, mit dem der | |
Desertifikationsexperte Helmbruch die verheerenden Folgen des Klimawandels | |
in unseren Breiten vorwegnehmen konnte. | |
„Absinken des Grundwasserspiegels, Beschleunigung der Erosion, Verödung der | |
Böden“, zählt er nur einige der ökologischen Folgen des Tagebaus für die | |
Region auf. „Das alles sind Phänomene, die uns bald in einem Maße | |
bundesweit beschäftigen werden, wie wir es vor wenigen Jahren noch nicht | |
für möglich gehalten haben, weil wir mit anderem beschäftigt waren. Und | |
Klimawandel-Simulationen am Computer sind gut und schön, aber es geht doch | |
nichts über den guten alten Feldversuch. Ist doch toll geworden, oder?“ | |
Der Geologe weist auf die bleichen Baumgerippe des Hambacher Forsts, dem | |
über Jahre systematisch das Wasser abgegraben wurde. „So sehen Wälder in | |
Zukunft überall aus. Was nicht in der Dürre wegstirbt, wird vom Borkenkäfer | |
erledigt. Irgendwann werden wir sogar Thüringen völlig nackt sehen.“ | |
## Heiße Schwaden am Wadi der Rur | |
Helmbruch saugt die heißen Schwaden ein, die der Schirokko vom Wadi der Rur | |
herüberweht, und stößt sie mit einem trockenen Husten wieder aus, der | |
verdächtig nach Staublunge klingt. „Wir sollten uns an Savannen und Wüsten | |
als neue Habitate gewöhnen. Dass sich der Klimawandel aufhalten lässt, | |
glauben bloß noch Schulkinder. | |
Eine Staubwolke taucht am Horizont auf, womöglich einer jener gefürchteten | |
Staubteufel – ein Wirbelsturm, der bei bodennaher Überhitzung der | |
Atmosphäre auftritt. Doch aus der Windhose schälen sich vermummte | |
Gestalten, die uns misstrauisch beäugen. Die langen Gewänder ihrer | |
braunkohlebraunen Tracht schützen gegen Staub und Hitze, lassen sie doch | |
nur einen schmalen Schlitz um die Augen frei. Behände springen die | |
rheinischen Wüstensöhne von ihren Reittieren, gedrungenen Schweinen, die | |
sofort beginnen, feuchtigkeitsspendende Wurzeln aus dem Boden zu wühlen. | |
„Dr. Helmbruch, nehme ich an“, spricht einer der Vermummten. „Das war der | |
Bürgermeister des weggebaggerten Dörfchens Otzenrath mit seiner | |
Wandergemeinde“, erklärt dieser, als sich die verwegenen Gestalten im | |
Schweinsgalopp entfernt haben. „Ziel des Versuchs war es auch, den | |
Ureinwohnern durch gezielte Zerstörung ihrer Dörfer eine nomadische und | |
damit ressourcenschonende Lebensweise aufzunötigen. Immerhin werden wir | |
künftig alle gezwungen sein, auf der Suche nach Wasser lange Entfernungen | |
zurückzulegen.“ Die Nomaden gehören zur Ethnie der Otzenrather | |
Schweinereiter, die als halbsesshafte Steppenbewohner von Viehdiebstahl und | |
dem Einsammeln überfahrener Wüstenfüchse auf der A61 leben. | |
„Wir sollten uns zurückziehen“, warnt Helmbruch, als eine weitere | |
Staubwolke am Horizont erscheint. „Die Reitermilizen sind auf dem | |
Kriegspfad, seit sie mit ihren Erzfeinden, den Pommenicher Pygmäen und den | |
Buschmännern von Borschemich um die allerletzten Weidegründe für ihre | |
Schweineherden streiten.“ | |
Helmbruch reibt unsere hellen Gesichter zur Tarnung mit einem Stück | |
Braunkohle ab und heißt uns, um unser Leben zu buddeln. Als wir zusammen in | |
der schützenden Mulde liegen und am Mäuse-Pemmikan lutschen, beschreibt uns | |
der designierte Desertifikationsbeauftragte der Bundesregierung seine | |
Vision: Um dem Klimawandel ein Schnippchen zu schlagen, träumt der | |
Experimentalgeologe Helmbruch von der planmäßigen Rodung und Versteppung | |
aller jetzt schon von Trockenheit bedrohten Gebiete. Riesige | |
Schaufelradbagger, die sich bislang bloß durch Braunkohlelagerstätten in | |
Ost und West fräsen, sollen eine breite Schneise der Verwüstung quer durch | |
ganz Deutschland schlagen. | |
## Verdorrte Wälder um Salzseen | |
„Eine menschenfeindliche Sahelzone, die sich von der Senne-Serengeti in | |
Ostwestfalen über die Brandenburger Kalahari bis zu den großen Salzseen der | |
Lausitzer Restlochkette zieht.“ Die entzündeten Augen des Geologen beginnen | |
entsetzlich zu glosen. „Natürlich könnten wir auch einfach warten, bis die | |
allerletzten Wälder von selbst verdorren, aber wir dürfen uns nicht | |
kampflos den Launen der Natur unterwerfen. Wir werden den Klimawandel das | |
Fürchten lehren, indem wir uns mit einem erbarmungslosen Präventivschlag | |
selbst desertifizieren!“ | |
Ängstlich mahnen wir den Mad Max der rheinischen Badlands zur Ruhe, doch | |
der ramentert unverdrossen weiter. „Dass sich die Deutschen mit widrigsten | |
Umweltbedingungen arrangieren können, zeigen die Ergebnisse der hiesigen | |
Maßnahmen wie auch der planmäßige Raubbau in der Lausitz. Es ist deswegen | |
nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das Volk zu seinem primitivsten | |
Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen.“ | |
Es gelingt uns gerade noch, den geifernden Geologen zu knebeln, bevor die | |
Stammeskrieger auf uns aufmerksam werden. Während wir über die humanitären | |
Implikationen dieser „Operation Nero“ getauften Maßnahme nachsinnen, | |
schlagen die Dschandschawid aus den Zülpicher Sicheldünen ihr Lager über | |
unseren Köpfen auf. Ihre fremdartigen Lieder, die von den durstigen | |
Karawanen eines nicht näher benannten Sultans handeln, dröhnen schaurig | |
über das knochentrockene Land. Immerhin, trösten wir uns, wurden bislang | |
nur Gebiete verwüstet, deren Einwohner ohnehin nie über die primitive | |
Kulturstufe des rheinischen Obskurantismus hinausgekommen wären. Und der | |
Schirokko pfeift seine düstere Melodei … | |
10 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Christian Bartel | |
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