| # taz.de -- Merkels Sommer-Pressekonferenz: Endzeitstimmung vertagt | |
| > Schon bald stehen wichtige Wahlen im Osten an – für die CDU steht dabei | |
| > viel auf dem Spiel. Doch die Kanzlerin bleibt gelassen. Erstmal gibt's | |
| > Ferien. | |
| Bild: Stimmung wie am letzten Schultag vor den Ferien: Angela Merkel auf der Bu… | |
| Berlin taz | Die Kanzlerin trägt leuchtendes Rot. An diesem Freitag ist | |
| sie zur traditionellen Fragerunde in die Bundespressekonferenz gekommen – | |
| der Saal mit der blauen Wand ist voll besetzt, die Stimmung ein bisschen | |
| wie am letzten Schultag vor den großen Ferien. Und tatsächlich ist diese | |
| Verabredung der Kanzlerin mit der Hauptstadtpresse vergleichbar. In den | |
| zurückliegenden Wochen wurden politikseitig noch mal ein paar richtig fette | |
| Prüfungen abgelegt. Konferenzen haben stattgefunden, Einzelgespräche wurden | |
| geführt, am Ende standen Bilanzen und Personalentscheidungen. Angela | |
| Merkel, so viel steht fest beim Blick in ihre müden Augen, hat sich ihre | |
| Ferien verdient. | |
| Gerade die letzte Woche hatte es in sich. In Brüssel hat Merkels | |
| [1][Vertrauensfrau Ursula von der Leyen um das Amt der | |
| EU-Kommissionspräsidentin gekämpft] und – unter Mithilfe der deutschen | |
| Regierungschefin – gewonnen. In Berlin hat Merkels Kandidatin fürs | |
| Kanzleramt die Bundesverteidigungsministerin abgelöst. [2][Annegret | |
| Kramp-Karrenbauer ist nun nicht mehr nur „zu 100 Prozent | |
| Parteivorsitzende“, sondern auch noch Ministerin] – was nicht allen in der | |
| CDU gefällt. | |
| Aber all dies war nur ein Klacks angesichts dessen, was auf die | |
| Regierungschefin und deren Kabinett nach der sitzungsfreien Zeit zukommt. | |
| Am 20. September soll das Klimakabinett entscheiden, ob es eine Bepreisung | |
| von Kohlendioxid-Emissionen geben soll. Der Bundestag soll die teilweise | |
| Abschaffung des Solidaritätszuschlags beschließen und ein | |
| Bürokratieentlastungsgesetz angehen. Zwischendurch werden in Brandenburg, | |
| Sachsen und Thüringen Landtagswahlen abgehalten – es wird mit Zugewinnen | |
| der AfD gerechnet, die CDU könnte abschmieren. | |
| Und dann wäre da noch die SPD, die bekanntlich gerade einen oder zwei neue | |
| Vorsitzende sucht. Gut möglich, dass KandidatInnen sofort aus dem Rennen | |
| sind, die nicht den Gang aus der Koalition versprechen. Soll heißen: Alles, | |
| was Angela Merkel an diesem Julitag in Berlin verspricht, könnte – mangels | |
| Regierungspartner – schon bald ohne Belang sein. | |
| ## Zack, Armageddon wäre vergessen | |
| Es wäre also eigentlich alles angerichtet für Endzeitstimmung vor den | |
| letzten großen Ferien vor dem Weltuntergang. Aber Krisen konnten Merkel | |
| bekanntlich noch nie etwas anhaben, zumindest nicht so, dass es für | |
| Außenstehende sichtbar wird. Falls irgendwann einmal ein riesiger Asteroid | |
| auf die Erde zustürzt, wäre die Kanzlerin für die letzten Stunden die | |
| denkbar angenehmste Gesellschaft – das ist der Eindruck, den die 65-Jährige | |
| an diesem Vormittag hinterlässt. Womöglich würde sie das Fernsehprogramm, | |
| den Busfahrplan oder den Wetterbericht vorlesen. Zack, Armageddon wäre | |
| vergessen. | |
| Als die Pressekonferenz eine Stunde läuft, spricht ein Journalist die | |
| Situation der SPD an – und deren Sehnsucht danach, die Koalition bald zu | |
| sprengen. Ob Merkel nicht die Sozialdemokraten bei der Stange halten könne? | |
| „Wir haben einen Koalitionsvertrag und der bleibt die Grundlage“, antwortet | |
| die Kanzlerin. Da stünden Projekte drin und die setze man durch. Die SPD | |
| mache übrigens auch nach dem Rücktritt von Andrea Nahles alles ganz | |
| hervorragend. Der Interimsvorstand sei sehr verlässlich, man könne die | |
| Regierungsarbeit sehr wohl weiterführen. Und dass SPD-Politiker der CDU | |
| Wortbruch vorwerfen, weil Kramp-Karrenbauer ins Kabinett eintritt, obwohl | |
| sie das erst ausgeschlossen hatte? „Wissen Sie, es wird so viel | |
| gesprochen.“ Asteroid? Pff, welcher Asteroid? | |
| Am Ende dieser Woche sieht es erst mal so aus, als ob Merkel mit den | |
| Personalwechseln in Brüssel und Berlin ein Erfolg gelungen wäre. Ihre | |
| aktuelle Wunschnachfolgerin Kramp-Karrenbauer in eine gute Startposition | |
| gehievt: Zwei Jahre bleiben der Saarländerin maximal, um sich als | |
| Ministerin zu profilieren und fürs Kanzleramt zu empfehlen. | |
| Die Realität könnte von dieser Vorstellung freilich sehr schnell abweichen. | |
| Im Verteidigungsministerium warten allerhand Probleme auf | |
| Kramp-Karrenbauer: Nach der Sommerpause stehen Haushaltsverhandlungen im | |
| Bundestag an. Nach bisherigen Planungen wird der Militäretat weniger stark | |
| ausfallen als zuletzt – Union und Bundeswehr könnten das der Ministerin | |
| direkt als Niederlage anlasten. Im Beschaffungswesen der Armee hakt es noch | |
| immer. Und auch das Pannenschiff „Gorch Fock“ hat von der Leyen ihrer | |
| Nachfolgerin überlassen. Nebenbei muss sich Kramp-Karrenbauer als | |
| CDU-Chefin um die Landtagswahlen im Osten kümmern – und hinterher womöglich | |
| die Niederlagen schönreden. Ziemlich viel für eine Person. | |
| ## „Man war ja fleißig in der DDR“ | |
| Aber auch das bringt Merkel heute nicht aus der Ruhe. „Ich glaube, dass man | |
| ein Staatsamt sehr wohl mit dem Vorsitz einer Partei verbinden kann“, sagt | |
| sie. Die Doppelbelastung wird Kramp-Karrenbauer schon aushalten. Nächste | |
| Frage. | |
| Nur wenige hundert Meter vom Haus der Bundespressekonferenz entfernt | |
| spricht zur selben Zeit Greta Thunberg. Die schwedische Klimaaktivistin ist | |
| nach Berlin gekommen, um beim Friday for Future vor 2.000 UnterstützerInnen | |
| zu sprechen. Die 16-Jährige kritisiert Entscheidungsträgerinnen wie die | |
| deutsche Kanzlerin: Diese würden ihrer Verantwortung im Kampf gegen die | |
| Klimakrise nicht gerecht. Merkel wiederum geht auf die Proteste ein. Greta | |
| und Co. hätten die Bundesregierung „sicherlich zur Beschleunigung | |
| getrieben“, sagt sie. Jede Entscheidung müsse aber zuvor bedacht und | |
| abgeklopft werden. „Es gibt niemanden in der Bundesregierung, der die | |
| Klimaziele in Frage stellt.“ | |
| Anderthalb Stunden dauert die Pressekonferenz. Thematisch geht es quer | |
| durch den Gemüsegarten. Steuerpolitik und Seenotrettung, das | |
| Dublin-Abkommen, Gesundheitspolitik („Er schafft ’ne Menge weg“, sagt | |
| Merkel [3][über Minister Jens Spahn]), Italiens Regierungskrise und der | |
| Iran, Verkehrspolitik und Waffenexporte. | |
| Für ihre Verhältnisse in Fahrt kommt Merkel beim Thema Ostdeutschland, das | |
| sie beharrlich „neue Länder“ nennt. Die Menschen in der DDR hätten | |
| Techniken fürs Leben entwickelt, die man heute nicht mehr brauche. „Schnell | |
| gucken, ob es noch Tempotaschentücher gibt und dann zugreifen – oder | |
| Tomatenmark hamstern“ – jüngere oder ausländische ZuhörerInnen dürften … | |
| Bahnhof verstanden haben, als Merkel von Mangelwirtschaft und Vorratskultur | |
| erzählt. „Und das bekümmert einen natürlich manchmal“, sagt sie. „Wir … | |
| ja, man war ja fleißig in der DDR.“ Viele Menschen, die vielleicht nach | |
| der Wende arbeitslos geworden seien, fragten sich, was sie für die | |
| Gesellschaft beitragen könnten. „Und das kann man nicht einfach mit einem | |
| Federstrich wiedergutmachen.“ | |
| Schließlich, ganz am Ende, fährt die Kanzlerin noch eine diplomatische | |
| Breitseite gegen Donald Trump. Auf die Frage, ob sie an der Seite der vom | |
| US-Präsidenten rassistisch angegriffenen Kongressabgeordneten stehe, sagte | |
| sie: „Ja. Ja, ich distanziere mich davon entschieden und fühle mich | |
| solidarisch mit den drei attackierten Frauen.“ Donald Trump, der – | |
| eigentlich: vier – nichtweißen Abgeordneten geraten hatte, doch dahin | |
| zurückzugehen, „wo sie herkommen“, dürfte nicht erfreut sein. Es wird wohl | |
| dieses „Ja“ sein, das von der 2019er Sommerpressekonferenz bleibt. | |
| Ob Angela Merkel die Herausforderungen der kommenden Monate meistert, wird | |
| man sehen. Sie erweckt nicht den Eindruck, als habe sie genug von der | |
| Politik. Aber – das hinzuzufügen gebietet die Pflicht – dieses Gefühl hat | |
| man praktisch jedes Jahr nach der Sommerpressekonferenz. | |
| 19 Jul 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Von-der-Leyen-als-EU-Kommissionschefin/!5612319 | |
| [2] /Neue-Verteidigungsministerin/!5612244 | |
| [3] /Jens-Spahn/!t5026593 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
| Tobias Schulze | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Landtagswahlen | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
| Schwerpunkt Angela Merkel | |
| CDU | |
| Donald Trump | |
| Schwerpunkt Landtagswahlen | |
| Frauenquote | |
| Schwerpunkt Angela Merkel | |
| AKK | |
| Schwerpunkt Angela Merkel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| AktivistInnen über Einsatz gegen rechts: „Wir können viel bewegen“ | |
| Wer sich in den AfD-Hochburgen zivilgesellschaftlich engagiert, stößt oft | |
| auf Widerstand. Vier AktivistInnen von #unteilbar setzen auf die | |
| Solidarität der Linken. | |
| Fehlende Frauenförderung in der CDU: Quote statt Seilschaft | |
| Das CDU-Damentrio soll für Feminismus stehen? Nein. Die drei verfolgen ihre | |
| individuelle Karriere, sie sorgen nicht für strukturelle Veränderung. | |
| Merkels Sommer-Pressekonferenz: Sie zeigt sich optimistisch | |
| Es könne nicht bei jedem Schiff mit Flüchtlingen über Einzellösungen | |
| verhandelt werden, sagt Merkel. Und: Die Koalition sei handlungsfähig und | |
| sie selbst ebenso. | |
| Hohe Positionen in der Politik: So geht weibliche Macht | |
| Weniger laut, aber mit genialen Strategien: Drei Frauen haben es an | |
| zentrale politische Stellen geschafft. Sie zeigen: Macht kommt von machen. | |
| Merkels Macht: Sieg auf den vorletzten Metern | |
| Pünktlich zu ihrem Geburtstag sind der Kanzlerin gleich mehrere Coups | |
| gelungen. Zwei enge Verbündete bekleiden bald mächtige Ämter. |