Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tarife im ÖPNV: Michael Müller fährt auf Wien ab
> Der Regierende Bürgermeister spricht sich für ein 365-Euro-Jahresticket
> aus – aber wie realistisch ist das Vorhaben?
Bild: Nahverkehr, billig wie Hundertwasser-Kunst? Könnte auch ein Modell für …
Zwei Sätze, die der Regierende Bürgermeister im fernen Zürich fallen ließ,
hallen in Berlin laut nach: Er habe sich „von diesem 365-Euro-Jahresticket
in Wien anstecken lassen“, sagte [1][Michael Müller im Interview mit der
Neuen Zürcher Zeitung]. „Ich will Schritt für Schritt auch das Ziel
verfolgen, ein Jahresticket für den öffentlichen Personennahverkehr für 365
Euro anbieten zu können.“
365 Euro für ein VBB-Jahresticket AB? Das wäre eine brutale Preissenkung um
fast genau 50 Prozent, gemessen am derzeit billigsten Angebot: der
Umweltkarte im Jahresabo bei Einmalzahlung für 728 Euro. Aber ist Müllers
Versprechen mehr als eine wohlfeile Fensterrede?
Tatsächlich referiert der Senatschef nur einen gültigen
SPD-Parteitagsbeschluss von 2018, der fordert, das „Wiener Modell“ in
Berlin „zur Anwendung zu bringen“. Seitdem hat sich an dieser Front
freilich nicht viel getan. An anderen Preisschrauben wurde durchaus
gedreht: Ab August fahren SchülerInnen kostenlos mit BVG und S-Bahn, und
für Azubis wird das 365-Euro-Ticket tatsächlich Realität. Es gibt eine
Facharbeitsgruppe der Koalition, die die zukünftige Fahrpreisgestaltung
erarbeitet, die wartet aber noch auf eine Machbarkeitsstudie, die bis Ende
2019 vorliegen soll.
Aus der Opposition kommen gemischte Töne: „Könnte den ÖPNV attraktiver
machen“, meint der infrastrukturpolitische Sprecher der FDP-Fraktion,
Henner Schmidt, und auch Oliver Friederici, verkehrspolitischer Sprecher
der CDU-Fraktion, findet das Wiener Modell „interessant“. Allerdings gibt
Schmidt zu bedenken, dass die Attraktivität des Nahverkehrs „nicht nur vom
Preis bestimmt wird, sondern Sicherheit, Sauberkeit und ein gutes Angebot
entscheidend sind“, wofür die Fahrgäste einen angemessenen Preis zu zahlen
bereit seien. Für Friederici ist die Diskussion ein „Sommertheater“, weil
der Entwurf des Doppelhaushalts 2020/21 gar keine Gelder zur Kompensation
vorsehe – und die Verkehrsunternehmen jetzt schon unterfinanziert seien.
Der Linken-Abgeordnete Kristian Ronneburg gibt auf taz-Anfrage zwar zu
bedenken, dass ein solidarisch finanziertes Bürgerticket für alle
möglicherweise der bessere Ansatz wäre – das 365-Euro-Ticket könne hier
aber, metaphorisch gesprochen, als „Brückentechnologie“ dienen. Wichtig sei
bei einer einschneidenden Tarifreform in jedem Fall, die Balance von
Angebot und Preis zu halten: „Damit es für Gelegenheitsnutzer wirklich
attraktiv ist, ganz auf den ÖPNV umzusteigen, müssen auch Taktung und
Fahrzeugpark mitwachsen.“
Bei der BVG und dem Verkehrsverbund VBB heißt es fast unisono, man begrüße
alles, was den Nahverkehr attraktiver mache. Auch hier aber fehlt nicht der
Verweis darauf, dass das mit der Attraktivität ohne deutlich höhere
Investitionen nicht klappt und Mindereinnahmen ausgeglichen werden müssten.
VBB-Sprecherin Elke Krokowski gibt außerdem zu bedenken, dass der Blick
nicht an der Landesgrenze enden dürfe: „Eine Lösung für Berlin kann nicht
isoliert betrachtet werden.“
## Mal genauer nach Wien schauen
Beim flüchtigen Blick gen Wien werden übrigens oft ein paar Details
übersehen: Erstens betrug die 2012 umgesetzte Tarifsenkung beim
Jahresticket nur 19 Prozent, zweitens wurden im Gegenzug alle anderen
Tickets zum Teil deutlich verteuert, so wie die Strafe fürs Schwarzfahren,
die an der Donau saftige 105 Euro beträgt. Drittens wurde alles von einer
massiven Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung begleitet – und die
Einnahmen daraus flossen zweckgebunden in den ÖPNV, was in Deutschland
rechtlich nicht möglich ist.
Mehr noch: Nach einer [2][Studie, die gerade von den Hamburger Consultants
„civity“ vorgelegt wurde], hat das ausgesprochen öffentlichkeitswirksame
365-Euro-Ticket gar nicht für einen überproportionalen Anstieg der
ÖPNV-Nutzung in der wachsenden Stadt Wien gesorgt. Vielmehr seien konstant
hohe Investitionen dafür verantwortlich, dass die Nutzung in den
vergangenen 25 Jahren stetig gewachsen sei.
8 Jul 2019
## LINKS
[1] https://www.nzz.ch/zuerich/corine-mauch-michael-mueller-und-michael-ludwig-…
[2] https://civity.de/de/matters/das-beste-angebot-ist-nicht-der-preis/
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
ÖPNV
Wien
BVG
Michael Müller
BVG
ÖPNV
Öffentlicher Nahverkehr
Mobilitätswende
Kostenloser Nahverkehr
ÖPNV
## ARTIKEL ZUM THEMA
365-Euro-Jahresticket für Nahverkehr: Berliner sollen auf SPD abfahren
Die Berliner SPD spricht sich für ein 365-Euro-Ticket aus – trotz Kritik
aus den eigenen Reihen. Zugleich greift sie die Grünen scharf an.
ÖPNV-Preiserhöhung in Hamburg: SPD sucht Mitreisende
Debatte über Preiserhöhung im HVV: SPD-Bürgermeister Tschentscher will
Tarifdeckel, CDU und Linke verlangen Preiswende, Grüne sagen lieber gar
nichts.
Berliner 365-Euro-Jahresticket: Für einen Euro quer durch die Stadt
Ein BVG-Jahresticket für 365 Euro soll öffentliche Verkehrsmittel
attraktiver machen. Aber genügt der Preisnachlass als Anreiz?
Billigticket nach Wiener Modell: Hoppla, ich bin auch noch da
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller spricht sich für ein
365-Euro-Jahresticket aus. Warum ausgerechnet jetzt? Ein Wochenkommentar.
Bremer Idee zum öffentlichen Nahverkehr: Jeder fährt umsonst und alle zahlen
20 Euro für eine Flatrate in Bus und Bahn für alle BremerInnen? Zwei
Drittel finden das gut, ergab eine repräsentative Umfrage.
Diesel weg, Nahverkehr her: Die Wien-Idee
Bus und Tram umsonst in Deutschland? Ein Blick gen Österreich zeigt: Das
reicht nicht. So sieht das auch Heinrich Strößenreuther.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.