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# taz.de -- Mit Notfall ins Krankenhaus: Immer mit der Ruhe
> Mit „Verdacht auf Appendizitis“ kommt unser Autor in die Rettungsstelle
> einer Kreuzberger Klinik und erlebt allerhand. Eine Chronologie.
Bild: Zimmer mit Aussicht: das Patientenzimmer unseres Autors
Liebes Tagebuch, ich war ein paar Tage im Krankenhaus, das erste Mal seit
vielleicht 25 Jahren. Davon möchte ich erzählen. Und am Ende gibt es sogar
eine Art Pointe.
Donnerstag, 16.30 Uhr: Ich sitze in der Rettungsstelle einer bekannten
Kreuzberger Klinik. Mit dabei hab ich einen Überweisungsschein, auf dem
„Notfall“ angekreuzt ist und „Verdacht auf Appendizitis“ steht.
Zur Ersteinschätzung komme ich zügig dran und werde dabei gefragt, wie ich
meine Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10 einschätzen würde. Ich sitze
bequem und bin ehrlich, antworte also wahrheitsgemäß: „Null.“ Gegen 20 Uh…
noch immer im Wartebereich der Rettungsstelle verschimmelnd, geht mir auf,
dass das eventuell nicht die klügste Antwort war. Schließlich werde ich
doch noch untersucht. Blutabnahme, Urintest, Betastung (Schmerzlevel 6–7).
Danach wieder warten.
Ich werde zur Urologin gebeten, Ultraschall an den Nieren. Die sind so weit
in Ordnung, wer hätte das gedacht. Der Vollständigkeit halber sei
konzediert, dass es einen auffälligen Wert gab, der so eine Untersuchung
rechtfertigte, wenn vielleicht auch nicht mit derselben Dringlichkeit wie
ein Ultraschall am Blinddarm (Stichworte: „Notfall“, „Appendizitis“).
## Die Leute sind freundlich …
Gegen 22 Uhr wird mir mitgeteilt, dass ich zur Beobachtung aufgenommen
werde. Auf die chirurgische Station. Gut, dass ich auf dem Weg noch eine
Zahnbürste erworben habe. Am nächsten Morgen liege ich gelangweilt rum, die
Leute sind freundlich, aber niemand kann so recht sagen, was los ist oder
wie es weitergeht. Zu essen bekomme ich nichts, das Pflegepersonal hat
offenbar die Appendizitis-Notiz zur Kenntnis genommen.
Die Oberschwester legt mir meinen Behandlungsvertrag zur Unterschrift vor
und verdunstet dann. Ich lese dort von „Abtretungserklärung“ und immer
wieder: „der privat Versicherte“. Ich hatte mich schon über das
Einzelzimmer gewundert. Im Schwesternzimmer erklärt sich die einzig
anwesende Pflegekraft in der Sache für nicht zuständig und verweist mich an
die Aufnahme. Nicht mein Problem, oder? Ich unterschreibe nichts, ziehe
mich in die Einzelzelle zurück und warte auf die Visite. Die kommt nicht.
Einige Stunden später wird mir beschieden, dass ich einen weiteren
Ultraschalltermin habe. In der dafür zuständigen Abteilung warte ich erneut
anderthalb Stunden. Gegen 13 Uhr – gut 20 Stunden nach Einweisung –, wird
mir dann tatsächlich bescheinigt, dass ich wohl eine akute Appendizitis
habe. Ein „Notfall“!
Dann geht alles ganz schnell. Der leitende Oberarzt klärt mich in meinem
Privatzimmer über die Prozedur auf. Jemand soll mich rasieren. Jemand kommt
nicht. Nachdem ich meine kassenneutralen OP- und Anästhesieerklärungen
signiert habe, geht es los.
## Kein Bein amputiert
Zwei Stunden später wache ich auf. Ich hänge am Tropf für Schmerzmittel und
Antibiotika. Später bekomme ich Tomaten-, Pudding- und Grießsuppe. Alle
sind sehr liebenswürdig. Der Pflegespätdienst ist so nett, in meinen
OP-Bericht zu schauen, und bestätigt: Es wurde ein Blinddarm entfernt. Dass
kein Bein amputiert wurde, hatte ich selber schon mit Freude bemerkt (es
sind die kleinen Dinge, nicht wahr), aber gut zu wissen, dass auch innen
drin alles wie geplant verlief. Am Samstagmorgen kann ich schon wieder
rauchen. Alles wird gut.
Ein Arzt kommt vorbeigeschlendert und liest mir den OP-Bericht vor. Ich
spiele mit, tue so, als ob das alles ganz neu für mich wäre, und danke für
den komplikationslosen Verlauf des Eingriffs. Der Pflasterwechsel ist etwas
unangenehm. Wäre schon gut gewesen, wenn jemand mich rasiert hätte. Die
Antibiotikaabgabe erfolgt weiterhin per Tropf über den inzwischen zweiten
Zugang, die Ventile scheinen Ausschuss zu sein.
Zu essen bekomme ich Weißbrot, Kräuterquark, Frischkäse und Pudding. Die
Tage verfließen, ich lese, schaue dem Hausimker zu, spaziere durch den
wirklich sehr gepflegten Garten der Klinik, lasse mich durch den dritten
Zugang mit Antibiotika volltropfen, esse Weißbrot, Quark, Käse und Pudding.
Und am Montag kommt tatsächlich die erste reguläre Visite.
Dienstag darf ich raus. Vorher werde ich jedoch in ein Zweierzimmer
umgebettet. Alle Pflegekräfte bleiben freundlich. Die sind einfach so, auch
zu gesetzlich Versicherten. Als ich einmal vom Rauchen wiederkomme, stehen
zwei Schwestern zum Feierabend am Fahrstuhl, eine weint. Ich höre nur den
Gesprächsfetzen: „… und dann weiß ich eben nicht, ob ich überhaupt gut
genug für den Job bin.“ Sie ist mir die Zugewandteste von allen.
## Pudding, Käse, Quark!
Später besuche ich meine Mutter in der Rettungsstelle. Sie ist dort mit
einem mies geschwollenen Zeckenbiss. Es geht recht schnell, sie ist
tatsächlich privat versichert. Man will sie gleich dabehalten, aber meine
Mutter ist nicht blöd.
Der Versuch, mir abends einen vierten Zugang zu legen, wird aufgegeben, und
ich werde auf Tabletten gesetzt. Am Dienstag unzeremonielle Entlassung,
weiterhin ohne unterschriebenen Behandlungsvertrag, ohne
Aufenthaltsbescheinigung, also ohne Krankschreibung, aber immerhin mit
Arztbrief und Antibiotika für weitere zwei Tage.
Beim Hausarzt: „Hier steht, dass die Medikamente noch drei Tage genommen
werden sollen.“ Und da es sich um eine Kombination handelt, muss ich
zweimal 5 Euro zuzahlen für eine einzige Tagesdosis. Nun ja. Die
Apothekerin klärt mich außerdem auf, dass die Antibiotika auf keinen Fall
mit Milchprodukten kombiniert werden dürfen, und da muss ich doch ein
bisschen lachen: Pudding, Käse, Quark.
Gelacht habe ich auch herzlich vor vielen Jahren, als C. mal nach Hause kam
und erzählte, wie er am Hermannplatz in der U-Bahn einen Satz zwischen zwei
streitenden Jugendlichen aufgeschnappt hatte: „Isch mach disch Urban,
Alda.“
So lustig das damals schon war, wirklich angefangen, diese Drohung in ihrer
ganzen komplexen Tiefe zu durchdringen, habe ich wohl erst in den vergangen
Tagen.
7 Jul 2019
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
## TAGS
Krankenhäuser
Gesundheitswesen
Notfallversorgung
Gesundheitspolitik
Jens Spahn
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Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Pflegekräftemangel
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