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# taz.de -- Urteil zur Verdachtsberichterstattung: Mafia wohl wieder teurer
> Der BGH urteilt: TV-Sender müssen grundsätzlich Anwaltskosten erstatten,
> wenn ein rechtswidriger Bericht in Online-Netzwerken verbreitet wird.
Bild: Dunkle Wolken über dem schmucken Erfurt: Mehr sagen wir nicht – vorers…
Wenn Fernsehsender die Persönlichkeitsrechte von Betroffenen verletzen,
müssen sie auch für Abmahnkosten gegen Dritte aufkommen, die den
rechtswidrigen Bericht im Internet weiterverbreitet haben. Das entschied
der Bundesgerichtshof (BGH) in einem jetzt veröffentlichten Urteil aus dem
April.
Im konkreten Fall ging es um die MDR-Sendung „Provinz der Bosse – Mafia in
Mitteldeutschland“, die Ende 2015 ausgestrahlt wurde. MDR-Journalisten
stellten dort unter anderem dar, dass [1][Erfurt eine wichtige Rolle] in
den Geldgeschäften der kalabrischen ´Ndrangheta spiele. Erwähnt wurde dabei
auch ein Erfurter Gastronom, der zwar nicht namentlich genannt wurde, aber
für bestimmte Kreise erkennbar war.
Der [2][Gastwirt] erreichte zunächst ein Unterlassungsurteil gegen den MDR.
Eine Verdachtsberichterstattung sei nicht zulässig gewesen, weil sich die
Journalisten nur auf einen bereits jahrealten BKA-Bericht gestützt hätten
und keine neueren Indizien gegen den Mann vorlägen. Auf dieser Grundlage
dürfe der Mann auch nicht verdachtweise in Verbindung mit der Mafia
gebracht werden.
Zusätzlich verlangte der Gastronom als Schadensersatz noch die
Anwaltskosten für die Abmahnung von Dritten, die die MDR-Dokumentation über
soziale Netzwerke weiterverbreitet hatten. Der MDR wollte hierfür aber
nicht zahlen, schließlich habe er mit diesen Personen ja nichts zu tun. Er
sei hier sogar selbst Opfer, weil die unautorisierte Weiterverbreitung das
Urheberrecht der MDR-Journalisten verletze.
## „Einschnürungseffekt“
Beim Oberlandesgericht (OLG) Jena hatte der MDR zunächst [3][Erfolg]. Eine
Haftung für Abmahnkosten gegen Dritte sei „nicht angemessen“, so das OLG,
da sie zu einer Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit führen
könnte.
Der BGH hob dieses medienfreundliche Urteil nun aber auf. Auch die
unerlaubt bei sozialen Netzwerken hochgeladenen Versionen des MDR-Berichts
seien dem MDR zuzurechnen. Die „Vervielfältigung“ eines Fernsehbeitrags in
sozialen Netzwerken sei eine „internettypische“ Gefahr, heißt es im Urteil
des sechsten BGH-Zivilsenats.
Der BGH erkennt zwar, dass es zu einem „Einschnürungseffekt“ führen kann,
wenn das Äußern kritischer Meinungen mit einem finanziellen Risiko belastet
wird. Ein „existenzbedrohender Einschüchterungseffekt“ sei hier aber nicht
zu befürchten. Tatsächlich ging es nur um zwei Abmahnungen, für die der
Gastwirt knapp 4000 Euro Anwaltskosten verlangte.
Der BGH betonte, dass er schon seit 2013 die haftungsrechtliche Zurechnung
der Weiterverbreitung von TV-Beiträgen durch Dritte vertrete. Dies habe –
entgegen der Befürchtungen von Kritikern – keine dramatischen Folgen für
die Pressefreiheit ausgelöst.
## Und wieder zurück nach Jena
Gegen das Urteil kann der MDR keine Rechtsmittel mehr einlegen, weil der
BGH hier die letzte Fach-Instanz ist. Auch eine Verfassungsbeschwerde ist
noch nicht möglich, denn der BGH hat die Sache wieder an das OLG Jena
zurückverwiesen. Dort muss noch entschieden werden, ob es für den Erfurter
Gastronom „erforderlich“ war, mit einem eigenen Anwalt gegen die
Weiterverbreitung der MDR-Dokumentation vorzugehen.
Eigentlich kann ein Betroffener in einer derartigen Situation frei wählen,
so der BGH, ob er selbst Anwälte mit der Abmahnung der Uploader beauftragt
oder ob er das Medium auffordert, sich um die Abmahnung zu kümmern. Wenn
aber das Medium eindeutig bessere Möglichkeiten habe, gegen illegale
uploads vorzugehen (zum Beispiel, weil es über eine eigene Rechtsabteilung
verfügt), dann könne der Betroffene gehalten sein, zunächst das Medium zum
Handeln aufzufordern, argumentierten die Richter. So könnten Kosten
vermieden werden, was auch den befürchteten Einschnürungseffekt für die
Presse verhindere.
MDR-Justiziar Dirk Kremser hält diesen BGH-Hinweis aber für wenig
überzeugend. „Wenn die Kapazitäten der MDR-Rechtsabteilung durch solche
Abmahnungen gebunden werden, ist das auch eine Belastung“, so Kremser. Auch
dann müsse man vor der Ausstrahlung die möglichen materiellen Folgen für
den MDR mitbedenken.
(Az.: VI ZR 89/18) Disclaimer: Der Gastronom führt auch einen Rechtstreit
gegen die taz, weil sie in einem Bericht über obigen Prozess seinen vollen
Namen erwähnte. Das OLG Jena verurteilte die taz im April 2018 zur
Unterlassung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
21 Jun 2019
## LINKS
[1] https://www.mdr.de/thueringen/mafia-geldwaesche100.html
[2] /Organisierte-Kriminalitaet/!5409606/
[3] /Bericht-ueber-Mafiaverdacht-in-Erfurt/!5485664/
## AUTOREN
Christian Rath
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Schwerpunkt Pressefreiheit
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