# taz.de -- Kommentar Grundrechte-Entzug: Abwegig und gefährlich | |
> Nach dem Lübcke-Mord schlägt der CDU-Politiker Peter Tauber vor, Hetzern | |
> die Grundrechte zu entziehen. Ein Irrweg in die späten 1940er Jahre. | |
Bild: Peter Taubers Vorschlag ist gefährlich | |
Der CDU-Politiker Peter Tauber hat vorgeschlagen, „Feinden unserer | |
Verfassung“ die Grundrechte zu entziehen, wenn sie diese „zum Kampf gegen | |
die freiheitliche demokratische Grundordnung missbrauchen“. Anlass war der | |
Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU). Tauber will | |
Artikel 18 des Grundgesetzes anwenden. Danach kann das | |
Bundesverfassungsgericht einzelnen Personen die Ausübung zum Beispiel der | |
Meinungs- und Pressefreiheit verbieten. | |
Der Vorschlag ist abwegig und gefährlich. Statt Artikel 18 in solchen | |
Konstellationen anzuwenden, sollte er besser aus dem Grundgesetz gestrichen | |
werden. Er stammt aus einer Zeit (1949), als Deutschland noch keine | |
gefestigte pluralistische Demokratie war, sondern eben erst die | |
faschistische Herrschaft überwunden hatte. Ein liberaler demokratischer | |
Staat geht mit seinen Feinden anders um, als ihnen pauschal die Ausübung | |
der Grundrechte zu verbieten. | |
Im demokratischen Staat muss gelten: Wer sich an die Regeln hält, kann am | |
Diskurs teilnehmen. Die Regeln bestimmt der Gesetzgeber, kontrolliert vom | |
Bundesverfassungsgericht. Strafbar ist deshalb die Volksverhetzung, die | |
Holocaust-Leugnung, die Beleidigung, die Verleumdung und vieles mehr. Wer | |
sich verfassungsfeindlich betätigt, kann zudem aus dem öffentlichen Dienst | |
entlassen werden. Die so beschlossenen Einschränkungen der Meinungsfreiheit | |
sind sicher nicht zu wenige. | |
Taubers Vorschlag hat dagegen mit rationaler Politik wenig zu tun. Glaubt | |
wirklich jemand, dass Walter Lübcke noch leben würde, wenn Björn Höcke oder | |
anderen Rechtsextremisten die Ausübung ihrer Grundrechte verboten worden | |
wäre? Auch demokratischer Exorzismus ist ein Aberglauben. | |
## Gewalt erscheint alternativlos | |
Tatsächlich sind manche Diskurse in Deutschland hasserfüllt und explosiv. | |
Aber Träger dieses Hasses sind nicht eine Handvoll Politiker, sondern | |
Hundertausende Bürger. Diesen Hass kann man nicht einfach verbieten. In der | |
Demokratie kann man nur versuchen, ihn in diskursive Formen zu | |
kanalisieren. Wer dagegen allen, die Hass verbreiten, die Grundrechte | |
entziehen will, schützt damit nicht vor Gewalt, sondern legitimiert im | |
Ergebnis Gewalt sogar – weil sie alternativlos erscheint. | |
Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht die Hürden für Artikel 18 bisher | |
hoch gesetzt. Bislang sind alle (vier) Versuche, einzelnen | |
Rechtsextremisten pauschal die Ausübung von Grundrechten zu verbieten, | |
gescheitert. Am bekanntesten ist das Verfahren gegen Gerhard Frey, den | |
Herausgeber der Nationalzeitung. 1974 lehnte das Bundesverfassungsgericht | |
den Antrag der Bundesregierung ab, Frey das aktive und passive Wahlrecht | |
abzuerkennen und seinen Verlag aufzulösen. Eine „ernsthafte Gefahr“ für d… | |
freiheitlich-demokratische Grundordnung sei nicht ersichtlich. | |
Taubers Vorstoß drückt ein Bedürfnis nach Abgrenzung aus. Das ist nicht nur | |
verständlich, es ist auch völlig berechtigt. Adressat dieser Forderung kann | |
aber nicht der demokratische Staat sein. Die Abgrenzung ist Aufgabe der | |
gesellschaftlichen Akteure. Wer menschengefährdenden Hass verbreitet, | |
sollte in demokratischen Parteien ausgeschlossen werden und kann auch kein | |
politischer Partner demokratischer Parteien sein. Tauber hätte genug | |
Anlass, in CDU und CSU für eine klare Linie zu sorgen. | |
20 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Peter Tauber | |
Grundrechte | |
Hetze | |
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke | |
Bundesamt für Verfassungsschutz | |
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke | |
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke | |
Combat 18 | |
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Aktueller Verfassungsschutzbericht: Seehofer will alle Register ziehen | |
Laut Verfassungsschutz ist die Zahl der Rechtsextremisten mit 24.100 auf | |
einem Höchststand. Der Innenminister nennt die Szene „brandgefährlich“. | |
CDU und der Mordfall Lübcke: Wenn ein Politiker ermordet wird | |
Nach dem Lübcke-Mord durch einen Rechtsextremen reagiert die Partei des | |
Opfers, die CDU, verhalten. Warum? | |
Rechte Gruppe „Adrenalin Braunschweig“: Offene Morddrohung gepostet | |
Der Sprecher des Braunschweiger Bündnisses gegen Rechts hat mit Bezug auf | |
den erschossenen Walter Lübcke eine Morddrohung erhalten. | |
Ermittlungen im Mordfall Lübcke: Unter Gewaltbereiten | |
Beging der mutmaßliche Lübcke-Mörder die Tat allein? Eine Zeugenaussage | |
mehrt Zweifel. Er bewegte sich lange in der Neonazi-Szene. | |
Hessens Landtag verurteilt Lübcke-Mord: Zweifel am Beileid der AfD | |
Die Parteien im hessischen Landtag haben den Mord am Walter Lübcke | |
gemeinsam als „Zäsur“ bezeichnet. Nicht alle nahmen der AfD das ab. |