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# taz.de -- Anti-Nachhaltigkeits-Tourismus: Insel der Autos
> Sylt ist immer eine Reise wert – falls man nicht mit dem Fahrrad kommt.
Bild: Mit dem Auto nach Sylt? Kein Problem!
Keitum taz | Drei Wochen Mutter-Kind-Kur im Juni auf [1][Sylt]. Herrlich,
dachte ich. Natur und so. Viel Radfahren. So wie auf den anderen
Nordsee-Inseln. Aber Sylt, so hörte ich immer wieder, Sylt soll noch
großartiger sein. Etwas ganz Besonderes. Schließlich sangen die Ärzte ja
auch von ihrer [2][Sehnsucht nach Westerland auf Sylt]. Und nicht Wyk auf
Föhr.
Sylt hebt sich, das weiß ich jetzt, tatsächlich, von den anderen nord- und
ostfriesischen Inseln ab. Wie alle hat sie sich dem Tourismus komplett
verkauft – was auch sonst. Aber Sylt hat es geschafft, sich auf einen
Tourismus zu spezialisieren, der das Gegenteil dessen ist, was landläufig
mit „nachhaltig“ beschrieben wird.
Das beginnt beim Verkehr. Sylt ist selbstverständlich [3][mit dem Flugzeug
zu erreichen]. Und damit sind nicht die Propellermaschinen gemeint, die
auch auf der Nachbarinsel Föhr und einigen ostfriesischen Inseln landen.
Nein, nach Sylt fliegen täglich Airbusse – Plural.
## Der echte Sylt-Tourist nimmt den Autozug
Klar, man könnte aus Düsseldorf oder Berlin auch mit der Bahn anreisen,
schließlich fährt die fast bis an den Strand. Aber der echte Sylt-Tourist
nimmt das Auto mit, denn wozu gibt es sonst einen Autoreisezug? Gleich zwei
Bahn-Unternehmen bieten den Transport über den Hindenburgdamm an. Die
[4][Deutsche Bahn] transportiert jährlich 900.000 Autos und LKW auf die
Insel und wieder herunter, in Spitzenzeiten im Sommer sind das 3.200 pro
Tag. Bei der [5][Konkurrenz], die 2016 eingestiegen ist, sind es 140.000.
Hinzu kommen 140.000 Fahrzeuge, die mit der Fähre aus Dänemark hin- und
zurückbefördert werden.
Dabei berichtete die Wochenzeitung Die Zeit schon 1993 darüber, die Sylter
hätten [6][„von der Autolawine die Nase voll“] und wollten die
Urlauber*innen mit einem „grünen Verkehrskonzept“ dazu bewegen, das Auto zu
Hause zu lassen.
Aber umgesetzt wurde das nie. Laut einer Pressemitteilung der Sylter Grünen
hat sich sogar die Verkehrssituation [7][„in den vergangenen Jahren
verschlechtert“]. Mittlerweile fordert selbst die örtliche CDU ein
[8][Radwegekonzept] für die Insel.
## Ein schmaler Streifen Land
Dass Sylt kein Radlerparadies ist, haben wir erst gemerkt, als wir dort
waren. Unsere aus Bremen mit der Bahn mitgebrachten Räder haben wir selten
genutzt – weil es kaum attraktive Strecken gibt. Das hat auch etwas mit
[9][Geografie] zu tun. Sylt ist in seiner Nord-Süd-Ausrichtung ein schmaler
38 Kilometer langer Streifen Land. Da passt nicht viel mehr als eine Straße
drauf und mit Rundtouren ist es schwierig.
Wer gerne denselben Weg hin und zurück fährt, kann auf der 1970
stillgelegten Trasse der Inselbahn radeln. Von [10][Westerland] in Richtung
Norden ist sie sogar asphaltiert und verläuft den meisten Teil der Strecke
nur in Hör- nicht aber in Sichtweite der Straße.
Und ja, im Osten gibt es Radwege, aber das ist dem Zufall geschuldet, weil
die Landwirt*innen dort Zugang zu den Weideflächen brauchen. Welch Vorrang
der Flug- und Autoverkehr hat, wird deutlich, wenn man wie wir in
[11][Keitum] wohnt. Richtung Norden nach Kampen muss man an der Hauptstraße
entlangfahren, weil der Flughafen so viel Platz einnimmt. Richtung
Westerland gilt dasselbe.
## Trend zum Dritt- oder Vierwagen
Dabei ist es durchaus interessant, sich einmal an die Straße zu stellen und
Luxuskarren zu zählen. Anfangs wunderte ich mich noch über die vielen SUVs
und Porsche Carrera mit Kennzeichen NF für Nordfriesland. Ich staunte
darüber, wie wohlhabend der Tourismus die Sylter macht. Bis mir dämmerte,
dass das die Zweit-, Dritt- und Viertautos derjenigen waren, die auf Sylt
einen Zweit- (Dritt- , Viert-) Wohnsitz unterhalten. Und dort natürlich
auch motorisiert sein müssen. Oder soll der Hamburger Kieferchirurg mit dem
Bus zum Fine Dining in den [12][Söl’ring Hof] fahren?! Der abends nur
stündlich fährt?! Und im Osten gar nicht?!
Zu Hause bleiben ist jedenfalls keine Alternative, denn da fehlt das
puschelige Gefühl, dazu zu gehören. Das gibt es gratis beim Besuch vieler
Edel-Restaurants und Strandbars, die so 90er sind, dass sie es verdient
haben, als „kultig“ bezeichnet zu werden. Die Kellner*innen geben sich
betont kumpelhaft, auf dass der Gast sich einbilden kann, er sei ganz
besonders gern gesehen. So kaschiert das [13][Seepferdchen bei Rantum]
seine mittelmäßige Küche damit, dass die Kellner – ja, nur die Männer –…
Juni Wollmützen tragen wie sonst nur Käpt’n Blaubär.
## Lämmchen, auf dem Deich getötet
Dabei soll wenigstens das Essen in den feineren Etablissements total
regional sein. Lämmchen, das quasi auf dem Deich getötet und zubereitet
wird. Fisch, direkt vom Kutter! Eben hat er noch verzweifelt nach Luft
geschnappt – jetzt brät er schon in der Pfanne. Regional ist eben das neue
exotisch und lässt sich gut verkaufen. „So kommt uns kein Fisch in die
Pfanne, der südlich von Hamburg unterwegs war“, schreibt das
Zweisterne-Restaurant Söl’ring Hof auf seiner Homepage. Einerseits.
Andererseits: „Aber echte Highlights enthalten wir Ihnen natürlich trotzdem
nicht vor.“
Und wer sich das [14][fünfgängige Menü für 184 Euro] nicht leisten kann,
geht in die Fresshallen von [15][Gosch] und futtert, was die Weltmeere –
noch – hergeben.
Dabei kann Sylt sehr schön sein. Einmal war der Seenebel so dicht, dass ich
mich ganz allein am Strand wähnte. Den Zweijährigen, der die gleiche
hochempfindliche Daunenjacke wie Oma und Opa trug, sah ich nicht, auch
nicht das Paar, das gerade mit drei identisch aussehenden Bulldoggen aus
dem Geländewagen gestiegen war. Da waren nur ich und das Meer und der Sand
unter meinen Füßen.
Herrlich, dachte ich, ich bin gar nicht auf Sylt. Dann lichtete sich der
Nebel und ich stieg aufs Rad.
Mehr zur zerstörerischen Macht des Tourismus finden Sie in der gedruckten
taz am Wochenende oder [16][hier] .
28 Jun 2019
## LINKS
[1] https://www.sylt.de/
[2] https://www.youtube.com/watch?v=Acq4odTvLQs
[3] https://www.sylt.de/reise-service/anreise/fluege-nach-sylt.html
[4] https://www.syltshuttle.de/syltshuttle-de/start
[5] https://www.autozug-sylt.de/
[6] https://www.zeit.de/1994/01/gruenes-verkehrskonzept-fuer-sylt
[7] https://gruene-sylt.de/schluss-mit-dem-stau-in-der-sylter-verkehrspolitik/
[8] https://www.sylt-tv.com/cdu-gruene-vereint-fuer-ein-neues-radwegekonzept-au…
[9] https://syltinfo.de.tl/
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Westerland
[11] http://www.sylt.net/orte/keitum.html
[12] https://www.soelring-hof.de/
[13] https://www.tripadvisor.de/Restaurant_Review-g670636-d1351735-Reviews-Samo…
[14] https://www.soelring-hof.de/menue/
[15] https://gosch.de/
[16] /!114771/
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Sylt
Tourismus
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Stadtentwicklung
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