# taz.de -- Hongkonger Aktivist Joshua Wong: „Es könnte der letzte Kampf sei… | |
> Der Hongkonger Aktivist Joshua Wong hat die Demos vor fünf Jahren | |
> angeführt. Nachdem er im Gefängnis saß, macht er nun bei den aktuellen | |
> Protesten mit. | |
Bild: „Wir sind mehr als je zuvor“ – Joshua Wong | |
taz: Herr Wong, Sie haben wegen Ihrer Beteiligung an den | |
Regenschirmprotesten vor fünf Jahren einen Monat im Gefängnis gesessen und | |
wurden jetzt vorzeitig entlassen. [1][Die aktuellen Demokratie-Proteste] | |
mit zuletzt zwei Millionen TeilnehmerInnen gehen nicht auf Sie zurück. Wie | |
fühlen Sie sich? | |
Joshua Wong: In Haft habe ich nur manchmal einen Blick auf den Fernseher | |
erhaschen können – der stand im Gemeinschaftsraum, und dort konnten wir | |
Insassen uns nur zum Teil aufhalten. Ich hatte auch kein Smartphone und | |
keinen Internetzugang. Wir mussten die Wächter um Erlaubnis fragen, bevor | |
wir den Fernseher eingeschaltet haben. Doch was ich beim Frühstück von den | |
Demos in den Nachrichten sehen konnte, hat mich sehr beeindruckt. | |
Waren Sie nicht neidisch auf Ihre Mitstreiter? | |
Natürlich wäre ich gern dabei gewesen. Aber das hätte keinen Unterschied | |
gemacht. Anders als vor fünf Jahren gibt es dieses Mal keine Anführer; die | |
Proteste sind spontan entbrannt. Zugegeben, als ich die Haftstrafe Mitte | |
Mai dieses Jahres antrat, hätte ich mir nie erträumt, dass in dieser Zeit | |
so viele Menschen auf Hongkongs Straßen mobilisiert werden können. Nach den | |
Regenschirmprotesten hatten wir zwar gesagt: Wir kommen zurück. Nun sind | |
wir tatsächlich zurück. Und wir sind mehr als je zuvor. | |
Was ist noch anders als bei den Protesten vor fünf Jahren, bei denen es um | |
freie Wahlen ging? | |
Wir sehen hier eine völlig neue Stufe der Mobilisierungsfähigkeit. Zugleich | |
gibt es eine neue Dimension der Polizeigewalt. Vor fünf Jahren setzte die | |
Polizei 98 Kanister Reizgas ein, dieses Mal sollen es über 150 gewesen | |
sein. Auch den Einsatz von Gummigeschossen gab es vor fünf Jahren nicht. Im | |
Gefängnis dachte ich kurz: Was für eine Ironie, ich bin hier sicherer als | |
meine Mitstreiter auf der Straße. | |
Warum ist dieses Mal alles extremer? | |
Es steht mehr auf dem Spiel. Sehen Sie, selbst Sie als Besucher der Stadt | |
könnten willkürlich an die chinesischen Behörden übergeben werden, sollte | |
dieses böse Gesetz durchkommen. Der bloße Verdacht reicht, Beweise bedarf | |
es nicht. Auslieferungen nach China sind ein Thema, das große Ängste weckt | |
– auch in Wirtschaftskreisen. Der gesamte Rechtsstaat ist in Gefahr. Und | |
das trifft die Stadt ins Mark. Hongkong ist schließlich eine | |
Finanzmetropole. Zudem haben wir aus unseren Fehlern gelernt. | |
Inwiefern? | |
Die aktuellen Proteste organisieren sich aus sich selbst heraus. Das war | |
damals noch anders. Wir hatten viel gestritten. Vor allem aber sehe ich | |
eine viel breitere Unterstützung in der Gesellschaft. Vor fünf Jahren waren | |
die Geschäftsleute und der konservative Teil der Gesellschaft noch | |
unschlüssig. Inzwischen überwiegt auch hier die Sorge vor dem bösen Gesetz. | |
Es ist ein symbolträchtiges Ereignis, dass es jetzt auf Eis liegt. | |
Ein Sieg? | |
Einen Sieg würde ich es nicht nennen. Eher eine erste Lektion. | |
Was wollen Sie mehr? | |
Derzeit ist [2][der Gesetzgebungsprozess nur verschoben]. Wir hingegen | |
fordern, dass die Hongkonger Regierung das Verfahren unumkehrbar | |
zurücknimmt. Außerdem verlangen wir eine Neubewertung der Demonstrationen. | |
Die Regierung spricht nach wie vor von „Aufruhr“. Es waren aber Proteste. | |
Sie dürfen keine strafrechtlichen Konsequenzen haben. Eine weitere | |
Forderung ist der Rücktritt von Verwaltungschefin Carrie Lam. Jede | |
Nachfolgerin, jeder Nachfolger wäre zwar auch nur eine Marionette Pekings. | |
Doch wer auf friedliche Demonstranten schießen lässt, muss die politische | |
Verantwortung übernehmen und zurücktreten. | |
Hongkongs Schicksal hängt von der autoritären Führung in Peking ab. Hat | |
Ihre Forderung nach mehr Demokratie überhaupt eine Chance? | |
Wir machen uns keine Illusionen. Peking hat das letzte Wort. Freie Wahlen | |
bleiben aber unser Ziel. Das hatte uns Peking einst vertraglich | |
zugesichert. Wäre der Legislativrat, unser Parlament, frei gewählt, dann | |
gäbe es das böse Gesetz nicht, dann gäbe es keine Einstufung als Aufruhr, | |
dann wären die jungen Leute erst einmal zufrieden. Es gäbe insgesamt in der | |
Stadt viel weniger Unzufriedenheit. Ich hoffe, dass das auch nach oben | |
vordringt. | |
Derzeit sieht es nicht so gut aus. Chinas Präsident Xi Jinping verschärft | |
die Kontrollen eher. | |
Sein Regime erhöht ganz deutlich den Druck auf uns. Viel hängt davon ab, | |
wie lange er regieren wird. | |
Welche Rolle kann das Ausland spielen? | |
Ich fordere einen weltweiten Stopp der Lieferung von Polizeiausrüstung wie | |
Gummigeschossen und Reizgas an Hongkong. Denn das wird ganz offensichtlich | |
zur Unterdrückung einer friedlichen Demokratiebewegung eingesetzt. Das wäre | |
ein starkes Zeichen. | |
Fürchten Sie nicht um Ihre Sicherheit? Haben Sie schon mal mit dem Gedanken | |
gespielt, sich einen ausländischen Pass zuzulegen, um sich notfalls in | |
Sicherheit bringen zu können? | |
Nein. Dann dafür fehlt mir auch das nötige Kleingeld. Ich gehöre hierher. | |
Ich bleibe. | |
Martin Lee, Veteran von Hongkongs Demokratiebewegung, sagt: Wird das | |
Auslieferungsgesetz nicht verhindert, wird es Hongkongs letzter Kampf für | |
Demokratie sein. Hat er Recht? | |
Ja, sollte dieses Gesetz durchkommen, könnte es der letzte Kampf gewesen | |
sein. Uns ist es ja gelungen, dass das Gesetz auf Eis gelegt wurde. Der | |
Kampf ist noch lange nicht vorbei. | |
21 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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