# taz.de -- Italiens M5S nach der Europawahl: Di Maio will interne Bestätigung | |
> Bei der Europawahl erlitt die 5-Sterne-Bewegung massive Verluste. Nun | |
> stellt sich ihr Chef einer parteiinternen Vertrauensabstimmung. | |
Bild: Kaum noch zu sehen? Italiens 5-Stelle-Chef Luigi Di Maio | |
Rom taz | „Ich verlange, dass die registrierten Mitglieder über meine Rolle | |
als politischer Chef abstimmen. Die Frage ist: Bestätigst du Luigi Di Maio | |
als politischen Chef der 5-Sterne-Bewegung?“ Di Maio, Anführer von Italiens | |
Movimento5Stelle (M5S), tritt mit dem für diesen Donnerstag angesetzten | |
Onlinevertrauensvotum die Flucht nach vorne an, denn in seiner Bewegung | |
liegen die Nerven blank. | |
Seit einem Jahr ist sie der Seniorpartner der Regierung in Rom unter dem | |
parteilosen Giuseppe Conte. Di Maio ist einer von zwei Vizepremiers und | |
zugleich Arbeits- und Wirtschaftsminister. Die Europawahlen wurden [1][für | |
M5S zum Desaster]: Auf 17,1 Prozent stürzte die Partei ab, während sie noch | |
bei den nationalen Wahlen vom 4. März 2018 stolze 32,7 Prozent geholt | |
hatte. | |
Der Aderlass ist auf die Wählergunst für eine andere Partei zurückzuführen: | |
die rechtsnationalistisch-fremdenfeindliche Lega unter Parteichef Matteo | |
Salvini, dem Koalitionspartner Di Maios in Rom. Von 17,4 Prozent im | |
vergangenen Jahr katapultierten die Wähler die Partei auf 34,3 Prozent nach | |
oben. Damit haben sich die Kräfteverhältnisse in der Koalition klar | |
umgekehrt. | |
Das M5S musste noch eine weitere Demütigung hinnehmen: Die gemäßigt linke | |
Partito Democratico (PD) konnte ihren Stimmenanteil von 18,7 Prozent in | |
2018 auf 22,7 steigern – damit findet sich das M5S, noch vor einem Jahr die | |
weitaus stärkste Partei des Landes, nur noch auf Platz drei. | |
## Die Fäden des Salvini | |
Wenig ist von der Euphorie des vergangenen Jahres geblieben, als die M5S | |
den Italienern eine „Regierung des Wandels“ versprachen, eine Regierung, | |
die die Bürgerinteressen in den Mittelpunkt stellen, die mit der Einführung | |
der Grundsicherung „die Armut abschaffen“ werde. Die Grundsicherung – etw… | |
irreführend „reddito di cittadinanza“, „Bürgereinkommen“ genannt – … | |
tatsächlich eingeführt. Ansonsten aber war es Salvini, der sich in den | |
letzten zwölf Monaten in der Regierung zum Anwalt der Bürger aufschwang – | |
in ganz anderer Weise allerdings, als es Di Maio und seiner Partei | |
vorschwebte. | |
Auch der Lega-Chef sitzt als Vizepremier im Kabinett und zudem als | |
Innenminister. Er hatte begriffen, dass die Italiener vor einem Jahr mit | |
ihrem Votum für das M5S und die Lega vor allem ihrer Wut, ihrem Misstrauen | |
gegen die alte politische Klasse Ausdruck verleihen wollten. | |
Das Land hat mehr als zehn Jahre der Krise hinter sich, mit tiefen | |
Einschnitten bei Einkommen und Arbeitsplätzen, mit einer | |
Jugendarbeitslosigkeit von über 30 Prozent, mit einem BIP pro Kopf, das – | |
einziger Fall in der EU – mit heute 26.000 Euro pro Jahr um 1.000 Euro | |
unter dem Pro-Kopf-BIP vom Jahr 2000 liegt. Zum Vergleich: Im selben | |
Zeitraum konnten Deutschland und Frankreich eine Steigerung um etwa 25 | |
Prozent verbuchen. | |
Salvini antwortete mit rüdem nationalistischen Rechtspopulismus, der unter | |
dem Slogan „Prima gli italiani!“ („Italiener zuerst!“) das Verlangen na… | |
Schutz bediente. Kaum als Innenminister im Amt, proklamierte er die Politik | |
der „geschlossenen Häfen“, kein NGO-Schiff sollte mehr Italien anlaufen, | |
kein Flüchtling mehr seinen Fuß auf den Boden des Landes setzen. Außerdem | |
rief er den Kampf gegen die angeblich ausufernde Kriminalität aus (in einem | |
Land, das zu den sichersten der Welt zählt und zum Beispiel mit 330 Morden | |
nur auf die Hälfte Deutschlands kommt!) und verschärfte zum Beispiel das | |
Notwehrgesetz mit fast völliger Freigabe des Schusswaffengebrauchs gegen | |
Einbrecher. | |
Das brachte ihm und seiner Lega umgehend rasant wachsende | |
Popularitätswerte. Di Maios M5S dagegen fand kein Mittel, um diesen | |
Höhenflug zu stoppen. Das M5S, erst 2009 gegründet, hatte sich immer als | |
radikale Protestbewegung gegen die alte politische Kaste mit einer stark | |
ökologischen und sozialen Komponente aufgestellt, nicht jedoch als | |
rechtsnationalistisch-populistische Kraft. | |
In der Regierung aber ließen die Fünf Sterne Salvini gewähren, darauf | |
hoffend, ihrerseits mit ihren Projekten wie der Grundsicherung zu punkten. | |
Und Di Maio, im Herbst 2017 per Onlinevotum zum Chef der Bewegung („capo | |
politico“) gewählt, setzte diesen Kurs mit quasi diktatorischen Vollmachten | |
durch. Erst wenige Wochen vor der Europawahl vollzog er den Schwenk, ging | |
auf Konfliktkurs zur Lega und kritisierte zum Beispiel Salvinis „Fixierung | |
auf die Flüchtlinge“. | |
## Tiefste Krise seit der Gründung | |
Dessen Vormarsch konnte er so allerdings nicht aufhalten. Die Lega, die | |
einmal als Partei nur des reichen Nordens (Lega Nord) angefangen hatte, | |
schaffte es vor allem, sich im ganzen Land auszudehnen. Sie holte jetzt im | |
Norden etwa 40 Prozent, in Mittelitalien um die 30 Prozent, im Süden – wo | |
sie noch letztes Jahr einstellig war – 23 Prozent. Zum Erfolg trug | |
entscheidend bei, dass sie binnen eines Jahres dem M5S etwa 1,7 Millionen | |
Wähler abspenstig machte. | |
Das M5S stürzt seinerseits in die tiefste Krise seit der Gründung. Das | |
interne Vertrauensvotum wird Di Maio wohl überstehen. Die gesamte | |
Fünf-Sterne-Prominenz, angefangen beim Gründer, dem Komiker Beppe Grillo, | |
hat sich auf seine Seite gestellt. Doch wie es weitergehen soll, weiß | |
keiner in der Bewegung. | |
Update, 31.05.: Luigi Di Maio ist an Donnerstagabend in seinem Amt als | |
Parteichef der M5S bestätigt worden. 80 Prozent der Parteimitglieder | |
sprachen ihm das Vertrauen aus. (dpa) | |
30 May 2019 | |
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[1] /Rechte-Parteien-bei-der-Europawahl/!5595295 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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