# taz.de -- Framing mit dem Begriff „Schicksalswahl“: Wahlen sind nie Schic… | |
> Ein Unwort ging um bei der Europawahl: „Schicksalswahl“. Das ist nicht | |
> nur unlogisch, sondern auch auf eine gefährliche Weise bequem. | |
Bild: Keine höhere Macht entscheidet, was in diesen Ländern passiert, sondern… | |
Worte können in Mode sein – nicht nur in der Jugendsprache und unter den | |
Unwörtern des Jahres, sondern auch in den Nachrichten. Je nach | |
Großwetterlage tauchen Begriffe immer wieder auf – oder eben gar nicht. In | |
unregelmäßigen Abständen nimmt unser Kolumnist die Modewörter der News | |
auseinander | |
Unwörter sind euphemistisch, verschleiernd, irreführend. Die EU-Wahl | |
bescherte uns [1][ein Unwort namens „Schicksalswahl“]. In Umlauf gebracht | |
wurde es zwar von den Politikmachenden selbst, aber sogleich dankbar | |
aufgenommen von der gesamten Medienlandschaft bis zur letzten Lokalseite. | |
Eine kleine Auswahl: „Wende in der Schicksalswahl“ (FAZ), „Die | |
Schicksalswahl: Ist Europa wirklich in Gefahr?“ (Maischberger, ARD), „Eine | |
Schicksalswahl“ (Süddeutsche), „Warum die Europawahl am Sonntag eine | |
Schicksalswahl ist“ (Westdeutsche Zeitung). | |
Zugegeben, die EU-Wahl war eine wichtige Wahl. Denn in vielen europäischen | |
Ländern wächst [2][der Einfluss rechter Populisten], bei denen die Stärkung | |
des einzelnen Nationalstaats auf der Agenda steht – und nicht die eines | |
gemeinsamen Europas. Doch der irreführende Begriff „Schicksalswahl“ | |
verkennt, dass auch die Wählerinnen von Rechtspopulisten eine demokratische | |
Wahl treffen. | |
Wahlen sind das genaue Gegenteil von Schicksal. Wahlen sind menschliche | |
Entscheidungen, die am Ende zu einem demokratischen Beschluss führen | |
sollen. Damit es eben nicht Götter oder Kaiser sind, die das Schicksal der | |
Menschen bestimmen, sondern diese Menschen selbst. | |
## Ein bequemer Begriff | |
Das Wort „Schicksalswahl“ erhebt die Gegner Europas zum einzigen Fixpunkt | |
der Orientierung. Es ruft die Vorstellung eines europäischen Schlachtfeldes | |
hervor. Wer sich aber nur an seinem Gegner orientiert, hat keine eigene | |
Agenda. Vielleicht vermochte die „Schicksalswahl“ sogar wahlfaule Europäer | |
mobilisieren. Langfristig aber zementiert das Wort Europas Spaltung und | |
übergeht seine Stärken. Es lenkt davon ab, dass Europa auch Menschen von | |
sich überzeugen muss, die es ablehnen. | |
„Schicksal“ ist ein bequemer Begriff. Schafft man es nicht, den | |
Rechtspopulismus aufzuhalten, dann war es eben das Schicksal. Die Wörter | |
„Wahl“ und „Schicksal“ sind ein Gegensatz an sich, ein Oxymoron, wie | |
„bittersüß“. Der inflationäre mediale Wortgebrauch von „Schicksalswahl… | |
entwirft ein Europa der Befürworter und Gegner. Das ist womöglich auch für | |
die Journalisten dieses Landes, nun ja, unangenehmbequem. | |
1 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Kommentar-Europas-Rechte/!5597992 | |
[2] http://xn--Einmarsch%20mit%20halber%20Truppenstrke-91c | |
## AUTOREN | |
Eric Wallis | |
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