# taz.de -- Medien und Christchurch-Attentat: Der Hass auf Muslime hat Struktur | |
> In vielen Medien fehlte es nach dem Attentat von Christchurch am | |
> Bewusstsein dafür, dass sie selbst Teil des Problems sind. | |
Bild: Viele Medien sagen inzwischen, dass der Täter in Christchurch kein psych… | |
„We are one.“ – „Wir sind eins.“ Diesen Satz hat die neuseeländische | |
Premierministerin Jacinda Ardern infolge der Anschläge auf zwei Moscheen in | |
Christchurch zu einer Art offiziellem Credo erhoben. [1][Sie benennt die | |
Anschläge ganz selbstverständlich als das,] was sie sind: ein Angriff auf | |
die freie, pluralistische Gesellschaft insgesamt. Denn der rechte Terror | |
fängt bei den Muslimen nur an, er wird bei ihnen nicht aufhören. | |
Ardern ist für ihre klare Haltung zu recht viel gelobt worden, auch in | |
Deutschland. Denn sie entlarvte die perfide Logik des Attentäters, er habe | |
sich für islamistischen Terror „rächen“ wollen, als rassistischen Unsinn. | |
Anders sah es bei einigen deutschen Medien aus. Der Täter habe Rache für | |
die Toten vom Breitscheidplatz nehmen wollen, titelte etwa die Berliner BZ. | |
Dass das nur Sinn ergibt, wenn man glaubt, alle Muslime befänden sich in | |
einem Krieg mit dem Westen, fiel der Redaktion zunächst offenbar nicht auf. | |
Immerhin: Viele große Medien sagen inzwischen deutlich, dass der Täter kein | |
psychisch gestörter Einzeltäter war. [2][Der Spiegel widmete globalen | |
rechten Netzwerken eine Titelgeschichte] (kostenpflichtiger Link), auch die | |
ZEIT, die Süddeutsche Zeitung und andere berichteten darüber. Es ist gut, | |
dass es eine neue mediale Wachsamkeit gegenüber rechten Strukturen gibt. | |
Aber es reicht nicht, nur die gewalttätigen Extreme in den Blick zu nehmen. | |
Eine ehrliche Analyse müsste auch die Diskurse anschauen, die das Feindbild | |
Islam insgesamt nähren. Und wir Journalisten müssten dabei auch | |
selbstkritisch die eigene Arbeit in den Blick nehmen. | |
Im australischen Fernsehen fragte kurz nach dem Anschlag die ABC-Talkshow | |
„The Drum“, welche Rolle Politik und Medien beim Erstarken eines weißen | |
Rassismus gespielt haben. Eine derart selbstkritische Auseinandersetzung | |
mit der eigenen Rolle sucht man in Deutschland vergeblich. Um es gleich zu | |
sagen: Nein, rechter Terror lässt sich nicht mit einseitiger | |
Berichterstattung erklären. Aber redaktionelle Medien sind | |
mitverantwortlich dafür, dass in den letzten Jahren ein Klima des | |
Misstrauens und der Ablehnung gegenüber Muslimen gewachsen ist. | |
## Eine Gruppe in Mithaftung | |
Im schlimmsten Fall führe diese Haltung zu Hass und Gewalt, sagt Kai Hafez, | |
Professor für Kommunikation an der Universität Erfurt. „Gewaltsame | |
Übergriffe nehmen mit dem Grad der medialen Thematisierung negativer | |
Fremdbilder zu. Das kollektive Echo wirkt als eine Art Nährboden für | |
Übergriffe.“ | |
Dass über Muslime nur selten Gutes berichtet wird, ist seit Jahren belegt. | |
Etwa 60 bis 80 Prozent der Beiträge in den überregionalen Medien widmen | |
sich dem Islam im Kontext von Themen wie Radikalisierung und Kriminalität. | |
Selbst wenn jeder einzelne dieser Beiträge faktisch richtig wäre, setzt | |
sich so allmählich der Eindruck fest, dass Muslime grundlegend anders sind. | |
Kritiker entgegen darauf gerne, Muslime seien für ihren schlechten Ruf | |
selbst verantwortlich. | |
Angesichts von islamistischem Terror sei es kaum verwunderlich, wenn Medien | |
vor allem Negatives berichten. Dabei schätzt der Verfassungsschutz in | |
Deutschland nicht einmal ein Prozent der Muslime als Gefährder ein. Auch | |
die pauschale Behauptung Muslime seien integrationsunfähig, haben | |
Wissenschaftler längst widerlegt. Natürlich darf man Muslime kritisieren. | |
Doch wer so pauschal argumentiert, nimmt eine ganze Gruppe in Mithaftung | |
für die Taten einer Minderheit. | |
Der Attentäter von Christchurch bezeichnete Muslime und andere Minderheiten | |
als „Invasoren“, die einen Völkermord an den Weißen planten. Sein Manifest | |
basiert auf der rechten Verschwörungstheorie eines | |
„Bevölkerungsaustauschs“, laut der weiße Europäer durch muslimische | |
Einwanderer ersetzt werden sollen. Das alles findet sich so in keinem | |
redaktionellen Medium. Doch die Radikalisierung des Täters basiert auf | |
einem „Feindbild, das um jeden Preis bekämpft werden muss“, schreibt Sascha | |
Lobo [3][in einer kenntnisreichen Analyse auf Spiegel Online.] Es ist | |
dieses „Wir gegen die Gefühl“, das auch traditionelle Medien lange, bewusst | |
oder unbewusst, bedient haben. | |
## Medien als Verstärker | |
Redaktionelle Medien wirken zudem wie eine Art Verstärker: Sie | |
transportieren Ideen von den rechten Rändern in die Mitte der Gesellschaft, | |
sobald es genügend Menschen gibt, die diese äußern. Mandenke nur an die | |
Debatten darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört, Muslime | |
integrationsunwillig sind oder muslimische Zuwanderung per se eine | |
Bedrohung darstellt. Natürlich: Journalisten können nicht jede Debatte | |
ignorieren. Aber ab und zu sollte das möglich sein – zum Beispiel dann, | |
wenn AfD, Pegida und Co. angesichts von knapp sechs Prozent Muslimen im | |
Land von „Islamisierung“ sprechen. | |
Denn wir wissen aus der Framing-Forschung, dass sich das Gehirn das | |
Fragezeichen am Ende von Sätzen wie „Wird Deutschland islamisiert?“ oder | |
„Ist der Islam gefährlich?“ nicht merkt. Was hängen bleibt, ist eine | |
Feststellung. | |
Es ist daher kein Wunder, dass sich die Empathie mit den Opfern von | |
Christchurch in Deutschland bislang in Grenzen hält. Die Stimmung in vielen | |
Kommentarspalten lässt sich mit „selbst schuld“ ganz gut wiedergeben. Doch | |
wer so argumentiert, hat Muslime längst qua Glaubenszugehörigkeit für | |
mitschuldig am Terror erklärt. In letzter Konsequenz gibt man sie damit zum | |
Abschuss frei. | |
Um zu verhindern, dass Anschläge wie der in Christchurch auch bei uns | |
passieren, bräuchte es eine breite Debatte über Islamfeindlichkeit in allen | |
großen Institutionen. Leider sind wir davon weit entfernt. Einigen | |
Politikern fällt es schon schwer, das Motiv des Täters als das zu benennen, | |
was es ist: antimuslimischer Rassismus. Viele Journalisten haben das getan. | |
Es wird Zeit, dass sie auch nach den strukturellen Ursachen dieses | |
Rassismus fragen – und dabei die eigene Arbeit nicht aussparen. | |
28 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Rassistischer-Anschlag-in-Christchurch/!5581194 | |
[2] https://www.spiegel.de/plus/globales-netzwerk-rechtsextremer-terroristen-di… | |
[3] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/christchurch-wie-der-troll-terrorist-sei… | |
## AUTOREN | |
Julia Ley | |
Nabila Abdel Aziz | |
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