| # taz.de -- Neuseeland nach dem rechten Terror: Sie stehen zusammen | |
| > Christchurch gedenkt der Opfer des Terroranschlags. Doch über allem | |
| > schwebt die Frage: Wie tolerant ist Neuseeland wirklich? | |
| Bild: Solidarität mit den ermordeten Muslimen: Premierministerin Jacinda Adern | |
| Christchurch taz | Am Freitag vor einer Woche schaute Gamal Fouda in die | |
| Augen des Attentäters, der wie besessen auf die Betenden und Flüchtenden | |
| [1][in der Al-Noor-Moschee feuerte]. Exakt eine Woche nach dem | |
| rechtsextremistischen Anschlag in Christchurch, bei dem 50 Menschen | |
| umkamen, blickte der Imam auf rund 15.000 Menschen, die sich im Hagley | |
| Park, dem großen Stadtpark von Christchurch, vor der noch immer gesperrten | |
| Moschee versammelt hatten. Die meisten waren keine Muslime, trugen aber | |
| Kopftücher. | |
| Mit zwei Schweigeminuten wurde im Park und im gesamten Land um 13.32 Uhr | |
| der Opfer des Anschlags gedacht. Auch der Gebetsaufruf davor wurde live auf | |
| allen Sendern übertragen. „Islamophobie ist echt. Islamophobie tötet“, | |
| sagte der Imam danach in seiner Ansprache und dankte den Neuseeländern – | |
| „für eure Trauer, euren Haka, eure Blumen, eure Liebe“. Er wandte sich an | |
| die anwesende Premierministerin Jacinda Ardern: „Danke, dass Sie uns mit | |
| einem simplen Tuch geehrt haben.“ | |
| Am Tag nach dem Anschlag hatte Ardern einen schwarzen Hidschab angelegt, um | |
| die Angehörigen der Opfer zu besuchen. In einem der säkularsten Länder der | |
| Welt, das sich bisher nicht mit Burkaverbot und Kopftuchdebatten befasst | |
| hat, setzte ihr von einem Tuch umrahmtes, von Schock und Trauer | |
| gezeichnetes Gesicht ein starkes Zeichen der Solidarität. Die Geste | |
| berührte, das Bild ging um die Welt, und in die Trauer des | |
| 4-Millionen-Einwohner-Staates mischte sich eine in diesem Moment | |
| beruhigende Gewissheit, vielleicht auch Stolz: So sind wir. | |
| Am schwärzesten Tag ihrer anderthalbjährigen Amtszeit schien die 38-jährige | |
| Premierministerin alles richtig zu machen: Sie nannte den Anschlag des | |
| Einzeltäters [2][einen terroristischen Akt] und hatte die passende Antwort | |
| parat, als US-Präsident Donald Trump sie anrief und fragte, womit er helfen | |
| könne: „Mit Mitgefühl und Liebe für alle muslimischen Gemeinschaften.“ So | |
| simpel, so stark. | |
| Sie fand ebenso deutliche Worte für den australischen Senator Fraser | |
| Anning, der die angeblich zu laxe Einwanderungspolitik für den Mord an 50 | |
| Muslimen verantwortlich gemacht hatte. „Eine Schande“ nannte Ardern das – | |
| und schwor, niemals mehr den Namen des Attentäters in den Mund zu nehmen, | |
| um ihm nicht weiter die von ihm erhoffte Aufmerksamkeit zu geben. | |
| Als die Labour-Chefin nur sechs Tage später [3][das Waffengesetz in | |
| Neuseeland verschärfte], hatte sie die Unterstützung nicht nur der | |
| Opposition, sondern auch international, zum Beispiel von US-Senator Bernie | |
| Sanders: „So sieht die richtige Aktion gegen Waffengewalt aus. Wir müssen | |
| Neuseelands Beispiel folgen“, tweetete der Politiker. | |
| ## Eine „wunderbare Geste“ | |
| Neuseelands Frauen folgten dagegen optisch dem Beispiel von „Jacinda“, wie | |
| sie von allen schlicht genannt wird, und riefen zum „Kopftuch-Freitag“ auf. | |
| Die Aktion „Scarves in Solidarity“ war von einer nichtmuslimischen | |
| Mitarbeiterin der Massey-Universität ausgegangen, die sie so erklärte: | |
| „Wenn wir am Freitag Kopftuch tragen, nur eine Woche nach der Tragödie, | |
| zeigen wir, dass Rassismus und Fanatismus hier nicht toleriert werden. Wir | |
| sind eins mit unseren muslimischen Schwestern.“ | |
| Sie bekam prompt Unterstützung vom Islamischen Frauenrat in Neuseeland und | |
| anderen muslimischen Gruppierungen in dem Land: Dies sei eine „wunderbare | |
| Geste“ nicht nur der Anteilnahme, sondern auch des Schutzes. | |
| Die Ärztin Thaya Ashman aus Auckland, die den Hashtag | |
| [4][#headscarfforharmony] – in etwa „Kopftuch für Eintracht“ – in den | |
| sozialen Medien initiierte, berichtete von verschleierten Frauen, die seit | |
| dem Anschlag Angst hätten, das Haus zu verlassen, weil sie zur Zielscheibe | |
| von Terroristen werden könnten. „Wir wollen damit sagen: ‚Wir sind bei | |
| euch, wir wollen, dass ihr euch auf unseren Straßen daheim fühlt, dass wir | |
| euch unterstützen und respektieren‘.“ | |
| Selbst Neuseelands feministische Zeitschrift Broadsheet, die sich sonst | |
| eher schwertut mit Frauen, die Kopftuch tragen, äußerte sich positiv auf | |
| Facebook: „Wir glauben, dass die Premierministerin das Richtige macht.“ | |
| Nicht einmal fiel das Wort „Frauenunterdrückung“. | |
| ## Beifall und Ablehnung | |
| Eine muslimische Ärztin aus Auckland, Mariam Parwaiz, schrieb jedoch auf | |
| Twitter, sie sei „kein Fan dieser Idee“ – obwohl sie von Ardern begeistert | |
| war, als die damals Hochschwangere beim Antrittsbesuch bei der Queen vor | |
| einem Jahr einen Maori-Umhang aus Federn trug. Damit wollte sie auch die | |
| Urbevölkerung ihres bikulturellen Landes repräsentieren. „Einmalig ein | |
| Kopftuch zu tragen und dann wieder zur normalen Kleidung zu wechseln zeugt | |
| nur vom eigenen Privileg“, schrieb Parwaiz. „Die meisten Frauen, die ein | |
| Tuch tragen, tragen es jeden Tag. Um zu verstehen, wie das Leben der | |
| muslimischen Frauen in Neuseeland ist, muss man mehr tun, als sich einen | |
| Tag lang zu verkleiden.“ | |
| Sie bekam Beifall von der jungen Ägypterin Sabrina Abdelaal Selim aus | |
| Christchurch, die dort mit vier Jahren einwanderte und die Kopftuchbewegung | |
| als kulturelle Aneignung und Effekthascherei bezeichnete. „Malen wir uns | |
| alle ein Maori-Tattoo ins Gesicht, wenn der Anschlag auf einem Marae | |
| passiert wäre?“, also der traditionellen Versammlungsstätte der Maori. | |
| Während Videos und Tipps zum korrekten Anlegen eines Hidschabs gepostet | |
| wurden und Fernsehmoderatorin Samantha Hayes trendgerecht ein Glamourbild | |
| von sich mit schwarzem Hidschab auf Instagram stellte, begann eine Woche | |
| nach dem Anschlag die Kopftuchdebatte. Empörung löste es aus, dass eine | |
| christliche Mädchenschule in Auckland keine Kopftücher zulassen wollte, | |
| weil die Kleiderordnung diese seit je verbiete. | |
| Der türkische Nachrichtenkanal TRT World hatte berichtet, dass eine | |
| Schülerin der vornehmen Privatschule Diocesan School for Girls am Mittwoch | |
| ein selbst geschriebenes Gedicht mit dem Titel „Leben unter dem Schleier“ | |
| in der Schulversammlung vortrug, das aber später mitsamt der Facebook-Seite | |
| der Schule aus dem Netz genommen wurde. | |
| ## Symbol der Unterdrückung? | |
| Christchurchs Tageszeitung The Press, die am Freitag nach dem Anschlag mit | |
| einer weißen Titelseite mit Trauerrand aufmachte, auf der lediglich der | |
| arabische Schriftzug „Salam“ – Frieden – stand, ließ die Ägypterin Ab… | |
| Selim auf einer ganzen Seite zu Wort kommen. Sie prangerte die | |
| Kopftuchaktion als Ausdruck der „weißen Rettermentalität“ an, die wiederum | |
| ins Denkschema der White Supremacists passe. „Einige Muslime leben hier | |
| länger als viele Neuseeländer aus Europa, aber sind trotzdem nicht genug | |
| ‚Kiwi‘ “, schrieb sie. „Hört lieber die Stimmen der jungen Muslime, der | |
| feministischen Muslime, der Regenbogenmuslime, der behinderten Muslime.“ | |
| Auf der Wiese des Hagley Parks saßen am Freitag auch drei | |
| Hebammenschülerinnen mit gemusterten Tüchern, keine von ihnen Muslima, aber | |
| alle bewegt vom Freitagsgebet, das über Lautsprecher im Park übertragen | |
| wurde. Die Freundinnen waren sich am Morgen noch nicht ganz sicher, ob sie | |
| freiwillig etwas anlegen sollten, was in westlichen Ländern oft als Symbol | |
| der Unterdrückung angesehen wird. „Es kommt auf den Kontext an“, sagte eine | |
| der drei. „Wir sind das erste Land der Welt, das Frauen das Wahlrecht | |
| gegeben hat, und wir haben eine unverheiratete fortschrittliche | |
| Premierministerin mit Baby. Damit ist doch klar, warum wir und sie das | |
| tragen, oder?“ | |
| 26 Tote – auch ein Dreijähriger – wurden nach dem offiziellen Freitagsgebet | |
| in Christchurch beigesetzt. Bewacht wurde der Friedhof von schwer | |
| bewaffneten Polizisten. Darunter eine junge Beamtin mit Sturmgewehr, die | |
| die Stimmung des Inselstaates verkörperte: An der kugelsicheren Weste trug | |
| sie eine Rose, um ihren Kopf hatte sie ein schwarzes Tuch gelegt. | |
| 22 Mar 2019 | |
| ## LINKS | |
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| [2] /Der-Rechtsterrorist-von-Christchurch/!5580888 | |
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| [4] https://twitter.com/hashtag/headscarfforharmony?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctw… | |
| ## AUTOREN | |
| Anke Richter | |
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