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# taz.de -- Gewalteskalation im Sudan: Gewehre und Gerüchte
> Allmählich wird das Ausmaß der Gewalt klar, mit der Sudans Militär die
> Protestbewegung zerschlagen hat. Sudans Hauptstadt lebt jetzt in Angst.
Bild: Die Stille nach dem Sturm: Barrikaden in Sudans Hauptstadt zeugen von Wid…
Nairobi taz | Wie Geiseln fühlen sich die Einwohner von Khartum. Sie wagen
sich nicht auf die Straße aus Angst vor der Rapid Support Force (RSF), der
Miliz, die vor allem verantwortlich ist für das Blutbad von Montag. Nach
neuesten Erkenntnissen sind mindestens 100 Menschen getötet worden. Noch am
Mittwoch wurde in Teilen der sudanesischen Hauptstadt geschossen.
Fernsehberichte zitieren eine Frau, derzufolge Milizionäre drei junge
Männer erschossen haben, die sich hinauswagten, um Essen zu kaufen.
Die Erwartung ist, dass die Todeszahl noch steigen wird, ebenso die Zahl
der mehr als 350 Verletzten in übervollen Krankenhäusern. „Manche Patienten
sind schwer verwundet“, sagt ein Arzt, der anonym bleiben will. Er meldet
ein großes Defizit an medizinischem Personal und an Blutkonserven. Zudem
schlügen Milizionäre Ärzte und umzingelten Krankenhäuser.
[1][Am 11. April hatte das Militär unter dem Druck wochenlanger
Massenproteste] den langjährigen Diktator Omar Hassan al-Bashir abgesetzt
und selbst die Macht übernommen. Bis zum 3. Juni tolerierten die Generäle
noch die Protestkundgebungen, mit denen die Opposition eine zivile
Übergangsregierung durchsetzen wollte. Jetzt ist das vorbei.
[2][Junge Demonstranten in Khartum] wie auch in der Zwillingsstadt Omdurman
auf der anderen Seite des Nils errichten immer wieder Barrikaden, berichten
Augenzeugen, und verschwinden anschließend wieder, aus Angst vor der RSF.
Die Milizen schießen nicht nur ohne Vorwarnung auf mutmaßliche
Demonstranten, sondern verwunden und töten auch Alte und Kinder. Auch wird
geplündert. „Ich fuhr in meinem Auto und wurde angehalten von der RSF. Ich
musste aussteigen und dann schlugen sie mich. Sie stahlen mein Handy und
nahmen mir meine Autoschlüssel ab. Ich konnte am Ende wegrennen“, erzählt
ein Einwohner aus Omdurman.
## Rhetorische Kehrtwende
Der herrschende Militärrat hat das Internet abgeschaltet. Medien wurden
verboten, außer die staatlichen. Trotzdem gelang es Aktivisten, Videos und
Fotos mit oft grausamen Gewaltszenen zu veröffentlichen. In den sozialen
Medien kursiert eine Videoaufnahme, auf der RSF-Kämpfer die Leiche eines
von ihnen augenscheinlich erschossenen Mannes noch mit Stöcken verprügeln.
Einige internationale Journalisten sind wieder ins Land gekommen, aber sie
können nicht arbeiten, weil sie kein Akkreditierung bekommen. „Selbst die
Beamten im Informationsministerium gehen nicht zur Arbeit. Die haben
wahrscheinlich wie der Rest der Bevölkerung Angst, auf die Straße zu
gehen“, sagt eine Journalistin, die anonym bleiben möchte, der taz am
Telefon eines Hotels in Khartum. Sudanesen, die telefonisch noch erreichbar
sind, wollen jetzt anonym bleiben, nachdem sie in den vergangenen zwei
Monaten offen und ohne Furcht sprachen. „Die Gewalt ist fast noch schlimmer
als während 30 Jahren Diktatur unter Bashir“, sagt eine Akademikerin.
Im Staatsfernsehen bot Abdel Fattah al-Burhan, Vorsitzender des
Militärrats, am Mittwoch an, den Dialog für eine Übergangsregierung wieder
aufzunehmen. Alle bereits erreichten Übereinstimmungen mit der
Oppositionsallianz hat er dabei verworfen.
Burhans rhetorische Kehrtwende sollte wohl westliche Kritik abwehren. Zwar
gelang es dem UNO-Sicherheitsrat am Dienstag nicht, die Armee einstimmig zu
verurteilen, weil China und Russland die Resolution blockierten und auch
die USA nicht mitmachten. Aber acht EU-Länder, darunter Deutschland,
verurteilten das Vorgehen des Militärs.
## Wütende Offiziere
Durch den Mangel an Informationen gibt es viele Gerüchte, die schwer zu
verifizieren sind. So schreibt die sudanesisch-britische Journalistin
Yousra Elbagir vom britischen Fernsehsender Channel 4 auf Twitter, dass der
Angriff auf die Demonstranten am Montag eine koordinierte Aktion von
Geheimdienst und Milizen war. Der Militärrat habe die Armee am Sonntag vom
Militärhauptquartier, wo die Proteste stattfanden, abgezogen und durch
RSF-Einheiten ersetzt, bis das Gelände am Montag morgen gestürmt und der
Protest zerschlagen wurde. Viele Armeeoffiziere, die den Protest
unterstützt hatten, seien jetzt wütend.
Die Journalistin beruft sich auf den langjährigen ehemaligen Direktor des
Geheimdienstes NISS, Generalmajor Salah Abdallah, besser bekannt als Gosh.
Er gilt als wichtigster Rivale des RSF-Kommandanten Hametti, der starke
Mann im herrschenden Militärrat. Während Hametti nach Bashirs Sturz in die
Regierung aufrückte, wurde Gosh unter Hausarrest gestellt und floh
angeblich nach Kairo. „Ich höre, dass Gosh den ganzen Angriff aus Kairo
orchestriert hat“, so Cameron Hudson, ein ehemaliger Mitarbeiter des
US-Geheimdienste CIA, auf Twitter.
„Im Sudan ist momentan alles und nichts möglich“, sagt ein
Oppositionsaktivist.
5 Jun 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Ilona Eveleens
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